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Nutzerdaten für Werbung
Google streut Sand in die Augen der Netzwelt

Stoppt Google die personalisierte Werbung? So verkürzt geben aktuell viele Medien die Ankündigungen des US-Unternehmens wieder. Doch Expertinnen warnen: Das Tracking von Daten wird weiter stattfinden - und damit auch desinformierende oder diskriminierende Werbung ermöglichen.

Text von Michael Borgers / Frederike Kaltheuner im Gespräch mit Brigitte Baetz |
Das Hauptquartier von Google in New York
Das Hauptquartier von Google in New York (IMAGO / Levine-Roberts)
"Auf dem Weg zu einem datenschutzfreundlicheren Web" – so lautet die Überschrift eines Blog-Eintrags vom 3. März, der seinen Weg in Nachrichtenmeldungen weltweit gefunden hat. In knapp 700 Wörtern beschreibt Google-Produktmanager David Temkin, wie sich sein Unternehmen künftig "mehr für den Schutz der Privatsphäre" einsetzen werde. Und das bedeute "nicht nur ein Ende der Cookies von Drittanbietern, sondern auch jeglicher Technologie, die dazu verwendet wird, einzelne Personen zu verfolgen, während sie im Internet surfen".
Neu waren diese Ankündigungen allerdings nicht wirklich. Ein Aus der sogenannten "Third-Party-Cookies" im eigenen Chrome-Browser hatte Google bereits Januar 2020 verkündet und zuletzt in Pressemitteilungen angedeutet, keine alternativen Trackingtechnologien mehr zu entwickeln. Anfang der Woche hatte der Deutschlandfunk auch deshalb schon über das Märchen der "Privacy-Sandbox" – so nennt Google seine Initiative – berichtet.
Monopolisten-Märchen
Mit Internetsuchen, auf deren Basis noch über Wochen hinweg Werbung angezeigt wird, soll bei Google bald Schluss sein. Das US-Unternehmen will Daten mit einer "Privacy-Sandbox" besser schützen. Doch Kritiker erkennen darin vor allem eigene Interessen.
In dem Artikel spricht Thorsten Strufe, Professor für Informationssicherheit am Karlsruher Institut für Technologie, von einem "Privacy-Hokuspokus", den Google nun um seine Browserhistory baue. Denn genau dort – in Chrome, dem beliebtesten Browser weltweit – werde Google künftig an die Daten seiner Userinnen und User gelangen, so Strufe.

Expertin: Werbung ist das Geschäftsmodell des Internets

"Das ist sehr positiv im Hinblick auf Datenschutz und Privatsphäre, das heißt aber nicht, dass die Werbung von Google weniger zielgerichtet sein wird", erwartet Frederike Kaltheuner vom European AI Fund, einer Initiative, die sich die Gestaltung der Richtung der KI in Europa auf die Fahnen geschrieben hat: Google mache nun, was Apple auf seinem Browser Safari oder Firefox schon länger anböten.
Die Netzexpertin sagte dem Deutschlandfunk, beim Thema Werbung handele es sich um das Geschäftsmodell des Internets. Werbung im Internet beeinflusse alles – auch die Schattenseiten der digitalen Welt, wie etwa Desinformation, politische Werbung oder Diskriminierung. So gäbe es beispielsweise diskriminierende Werbung, die sich bei Immobilien oder Jobs eher an Männer als Frauen richte. "Das Problem der Werbung geht weit über die Privatsphäre hinaus."
Das Werbesystem im Internet müsse grundsätzlich reformiert werden, fordert Kaltheuner. Es fehle eine "europäische Vision".

BDZV warnt vor Googles Marktmacht

Die EU-Kommission in der Pflicht sieht der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). In einer Stellungnahme hieß es: "Jetzt bewahrheitet sich, wovor kleinere digitale Unternehmen seit Jahren gewarnt haben: Dass Google aufgrund seiner Marktmacht nicht mehr auf Cookies angewiesen ist."
BDZV-Präsident (und Springer-Chef) Mathias Döpfner hatte jüngst in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen gefordert, die EU müsse Konzerne wie Google beim Umgang mit privaten Nutzerdaten strengeren Regeln unterwerfen.

Experte: Auch auf Verlage verteiltes Tracking

Torsten Kleinz, freier Autor mit den Schwerpunkten Netzpolitik und Verbraucherschutz, hatte daraufhin für den Deutschlandfunk getestet, wie sich Döpfners eigener Verlag bei dem Thema verhält. Das Ergebnis, am Beispiel von Welt.de: Innerhalb einer Minute hatte der Journalist über 170 Cookies auf seinem Rechner. Ein Großteil des Geschäfts mit Internetwerbung beruhe darauf, dass Verlage wie Springer Daten der Leser an Google und andere Werbenetzwerke weitergäben, erklärte Kleinz.
Döpfners Kritik an Datenkraken
In einem offenen Brief an die EU-Kommissionspräsidentin fordert Springer-Chef Mathias Döpfner, Konzerne wie Google beim Umgang mit privaten Nutzerdaten strengeren Regeln zu unterwerfen. Doch wie sieht es bei Springers Onlinezeitungen selbst aus?
Durch die aktuellen Google-Ankündigungen würden Publisher nun "ermuntert, die Aktivitäten ihrer Nutzer zu analysieren und das Ergebnis einzubringen", schrieb der Fachjournalist nun auf Twitter. "Das Ergebnis würde ich nicht als ‚kein Tracking‘ charakterisieren, sondern eher als verteiltes Tracking."
Der Gegenentwurf zu Google seien Konzepte wie Unified oder Advertising ID, wo es verkürzt darum gehe: "Wir sind bei jeder Aktivität im Netz eingeloggt und die Werbeindustrie verspricht die Daten nicht zu missbrauchen. Die Grundüberzeugung ist: Personalisierte Werbung ist besser für alle." Konsumenten würden so weniger mit irrelevanten Werbebotschaften belästigt, und die Werbetreibenden gäben Geld nur für wirklich erfolgversprechende Werbung aus, so Kleinz.
Dass Google nun eine neue Strategie vorgestellt hat, deuten Beobachter auch als Signal an die Politik. Der politische Druck auf die großen Digitalkonzerne, mehr für Datenschutz zu tun, wächst seit Jahren.