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Obdachlose in Berlin
Campen am Bahnhof Zoo

Sie leben von der Hand in den Mund, campieren am Bahnhof Zoo und hausen zwischen Müllbergen: Die Obdachlosen im Tiergarten kämpfen täglich ums Überleben. Die zuständigen Behörden lassen sie weitestgehend in Ruhe - denn alternativen Wohnraum gibt es nicht.

Von Anja Nehls |
    Ein Obdachloser liegt am 24.01.2013 in Berlin am Bahnhof Zoo auf dem Boden.
    "In der Regel sind das ja auch friedliche Leute, die tun mir auch leid", sagt ein Passant über die Obdachlosen am Bahnhof Zoo. (picture-alliance / dpa / Paul Zinken)
    Der ICE schießt nur wenige Meter über Dieters blaues Zelt hinweg. Auf dem Parkweg davor sind Spaziergänger mit Hunden, Touristen, Radfahrer und Berliner auf dem Weg zur Arbeit. Knapp dahinter hört man ab und an die Ziegen aus dem Berliner Zoo. Seit mehreren Wochen wohnt Dieter hier, zusammen mit rund 20 Menschen in gut einem Dutzend Zelten:
    "Hier sind weitgehend Polen und auch Russen, aber die verstehen sich gut, aber da ist Dennis und ick, wir sind Deutsche, ja, ja, vorher Franklinstraße Notübernachtung, da kann man ja nur eine Woche bleiben."
    Deshalb ist er jetzt hier. 63 Jahre alt, vernarbt und unrasiert, seinen letzten Job hatte 1973. Auf einem kaputten Tischchen vor dem Kuppelzelt pflegt er eine krüppelige Zimmerpalme. Im Müll gefunden. Seine feuchten dreckigen Sachen hängen an einer Leine vor der graffitiverschmierten Mauer zum Bahndamm. Im Zelt sammelt er eimerweise Kippen für den Eigenbedarf oder zum Weiterverkaufen. Den kleinen Grill hat er vorsichtshalber hinter einem Pfeiler versteckt:
    "Ja, nee, Kochen ist verboten, offenes Feuer darf man nicht, nee nee."
    Übernachten in der Grauzone
    Eigentlich ist das Zelten auch verboten – das Übernachten im öffentlichen Straßenraum nicht, in Grünanlagen aber schon:
    "Da hätte man eine rechtliche Handhabe dagegen vorzugehen. Man tut es nicht, weil man auch nicht weiß, welche Alternativen man den Menschen anbieten kann. Und wenn Sie natürlich sagen, Sie tolerieren die Übernachtung und nehmen jemandem dann den Regenschutz weg, also in welche Bredouille kommt man da."
    Stephan von Dassel, Sozialstadtrat im zuständigen Bezirk Mitte weiß auch nicht, was er mit den Menschen machen soll. Die meisten haben hier keinen Anspruch auf staatliche Hilfen, also campieren sie weiter. Die Polen sitzen mit Schlafsack über den Knien ganz dicht an der Mauer: Wer dicht genug sitzt, wird im Regen wenigstens nicht nass. Sie haben eine Schüssel an den öffentlichen Weg gestellt, daneben hockt ein Plüschhase mit einem Pappschild. "Wir sammeln für Essen".
    "Zehn Euro, 15 Euro pro Tag, Essen kaufen, kein Problem, scheiße, scheiße."
    Kein schöner Zustand
    Das ist hier sogar wörtlich zu nehmen. Einige Obdachlose gehen ab und zu zum Duschen und zur Toilette in die nahe Bahnhofsmission. Die meisten gehen in die Büsche. Ein paar Meter weiter hinter den Zelten stinkt es erbärmlich und es sieht auch so aus. Das ist es auch, was die Passanten am meisten stört:
    "Das sind eben Leute, die hier auch in die Büsche gehen müssen, weil es nichts anderes gibt, das finde ich nicht so toll." - "Heute sieht es einigermaßen aus, letztens war wirklich überall so Müllberge." – "Ich wundere mich, dass das hier geduldet wird und wie." – "In der Regel sind das ja auch friedliche Leute, die tun mir auch leid. Ich habe da mal mit der Polizei geredet, kein schöner Zustand, es gibt da im Moment keine Lösung für."
    Also bleibt alles wie es ist. Dieter ist zufrieden, weil man ihn hier weitgehend in Ruhe lässt:
    "Ab und zu kommt die Polizei, mich haben sie gefragt, ob ich zur Fahndung ausgeschrieben bin, natürlich nicht, da ist ja klar, dann wird man mitgenommen, aber hier sind keine Straftäter. Das sind ganz arme Menschen, das Obdach nimmt sie nicht auf, das ist ja total überfüllt, überall pennen sie, schlafen unter der Brücke und ach, Franklinstraße und Notübernachtung. Ne im Moment werden wir nicht vertrieben, in keiner Weise."
    Das scheint sich rumzusprechen. Neben dem blauen Zelt von Dieter steht seit gestern noch ein weiteres, ein silbernes. Mal abwarten, wie es weiter geht, meint ein Spaziergänger mit Hund und zieht an der Leine, weil der Hund sich für den Müll rund um Dieters Grill interessiert:
    "Naja, das werden wohl immer mehr werden und dann ist hier ein ganzes Lager, schätze ich mal so."
    Könnte sein. Vielleicht will Dieter im Winter wieder in die Obdachlosenunterkunft, dann könnte hier wieder ein Zelt weniger stehen. Vielleicht. Aber erst einmal kommt der Sommer.