"…Erstmal gibt’s Suppe, ja. Draußen Anstellen! Nicht hier den Weg versperren! Kann man sitzen? Nein, wir dürfen ja gar nicht uns so versammeln, wie wir uns jetzt versammeln. Wir müssen jetzt super Abstand halten, hier rum, um die Ecke. Ok danke…"
Heute gibt es Bohneneintopf mit Speck. Drei Dutzend Obdachlose warten vormittags um zehn vor einem Kiosk am Boxhagener Platz in Berlin Friedrichshain, in dem die Hilfsorganisation Karuna Essen austeilt. Das mit den zwei Meter Abstand zum Nächsten nehmen sie hier nicht allzu genau:
"Wir kennen uns alle, wir sind gesund", sagt Bella. Sie ist schwanger und lebt mit ihrem Freund Kurt auf der Straße. Vor einer Infektion hat sie keine Angst. Lebensbedrohlich sei Corona für die Obdachlosen aber trotzdem: "Corona macht alles kaputt, mein Freund sagt schon Killervirus."
"Die Leute draußen trauen sich nicht mehr zu uns"
Dennis nickt zustimmend. Genauso wie Bella und ihr Freund nutzt er normalerweise in Frostnächten die Notübernachtungsplätze der Berliner Kältehilfe. Inzwischen sind wegen des Coronavirus aber schon einige geschlossen. Genauso wie Tagesstätten und Cafés für Obdachlose, Suppenküchen und Kleiderkammern. Bei der Bahnhofsmission am Zoo gibt es etwas zu Essen nur noch durchs Fenster. Wegen des Virus sei das Leben nun noch schwieriger geworden, meint auch Dennis:
"Ja, vieles hat sich geändert. Die Leute draußen trauen sich nicht mehr zu uns, um irgendwas abzugeben. Da wo wir Klamotten gekriegt haben und so weiter., gibt’s auch nichts, ist alles zu. Die Obdachlosen sind auch, wie soll ich sagen, verrückt geworden, schlagen sich untereinander und beklauen sich. Also ich wurde selber zweimal beklaut."
Dennis stammt aus Kroatien, lebt seit 25 Jahren in Deutschland. Seit einer Trennung vor einem Jahr ist er obdachlos:
"Ich hatte alles: Auto, Wohnung, bin Lkw gefahren. Von heute auf morgen. Weil ich auf der Straße gelandet bin, hat der Chef zu mir gesagt, Dennis, tut mir leid, aber du riechst ein bisschen, ja dann bin ich in Tränen ausgebrochen, weil ich keine Möglichkeit hatte, mich zu duschen, umzuziehen, bla, bla. Dann habe ich die Arbeit einfach verlassen und seitdem, als Hilfsarbeiter, spachteln, mal Trockenbau gemacht, mal Fassade, dann wurde ich verarscht fürs Geld, es wurde nicht bezahlt, ja."
Seitdem schlägt er sich irgendwie durch. Weil er lange gearbeitet hat, hätte er sogar Anspruch auf Sozialleistungen, sagt er. Aber so einfach sei das zurzeit nicht.
"Ansprüche habe ich, aber da meine Papiere geklaut worden sind, jetzt muss ich verlängern alles und kann ich nicht verlängern, weil ich kann mich nicht ausweisen. Ohne, wie soll ich sagen, ohne Ausweis bin ich nirgendwo."
Und schließlich haben fast alle Ämter für Publikumsverkehr momentan geschlossen. Wie er in Zukunft überleben soll, weiß er noch nicht. In den Mülleimern gibt es nur noch wenige Pfandflaschen, auf der Straße sind keine Menschen mehr, die ihm Geld zustecken, die Busse und Bahnen haben kaum noch Fahrgäste, die Obdachlosenzeitungen kaufen könnten. Auch die Geschäfte haben größtenteils geschlossen, mitsamt ihren sanitären Einrichtungen:
"Wo gehen wir jetzt auf die Toilette? Genau! Wegen Coronavirus sind alle Toiletten zu."
Viele Obdachlose haben Vorerkrankungen
Erst im Januar zählte Berlin erstmals seine Obdachlosen – 2.000 Menschen leben demnach in der Hauptstadt dauerhaft auf der Straße. Hilfsorganisationen gehen eher von der doppelten Zahl aus. Diese Obdachlosen müssen nun dringend weg von der Straße, sagt Jörg Richert von der Hilfsorganisation Karuna. Nicht nur, aber auch wegen des Coronavirus. Denn so sicher vor dem Virus, wie sich viele fühlen, seien die Menschen keinesfalls:
"Wir machen uns natürlich Sorgen, weil ich glaube, dass wir eine hohe Infektionsrate bereits haben. Denn viele der Menschen auf der Straße haben Vorerkrankungen, die nicht behandelt sind. Sie rauchen sehr viel, sie trinken sehr viel, nehmen Drogen, und sie haben ein bestimmtes Alter, da vorne sitzt sogar eine Schwangere. Also wir haben Hochrisikopersonen, und insofern müssen wir uns jetzt sehr schnell was einfallen lassen, damit die Leute safe kommen."
"Safe" bedeutet: weg von der Straße. Wer Krankheitsanzeichen hat, müsse isoliert werden. Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach will deshalb jetzt schnell handeln. Eine Jugendherberge mit 200 Betten soll den Obdachlosen zur Verfügung stehen, und eine bereits bestehende Notunterkunft mit 150 Plätzen soll umgebaut und vergrößert werden. Bisher wurden in dem Haus zwei Etagen für die Unterbringung von Obdachlosen genutzt, künftig sieben. Es soll eine Quarantänestation entstehen, und die Belegung insgesamt entzerrt werden, so dass sich die Menschen besser aus dem Weg gehen können. Außerdem soll hier auch eine soziale Betreuung angeboten werden. Die Obdachlosen sollen dort dann den ganzen Tag verbringen – und nicht nur, wie sonst üblich, die Nacht:
"Wo sie eben auch sich zurückziehen können, wo sie erstmal leben können und dort einen Schutzraum dann auch haben. Denn wenn wir davon reden, dass wir soziale Kontakte einschränken sollen und zuhause bleiben sollen, dann ist das natürlich für Menschen, die auf der Straße leben müssen, ein Hohn."
Personell sei der Betrieb einer solchen Unterkunft kein Problem, so Breitenbach. Mitarbeiter gebe es jetzt genug, weil viele Kältehilfeeinrichtungen wegen der Ansteckungsgefahr bereits geschlossen haben. Darüber hinaus würde die Kältehilfesaison im April ohnehin enden:
"Je nachdem, wie Kapazitäten über die Schließung von Kältehilfeeinrichtungen frei werden, werden eben auch Sozialarbeitende und weitere freigesetzt, die eine solche Unterkunft, die ja dann sieben Tage die Woche 24 Stunden lang betrieben wird, dann auch betreuen."
Verbesserte Versorgung durch die Krise
Es klingt zynisch, aber in Zeiten des Coronavirus scheint auf einmal das zu funktionieren, was Hilfsorganisationen schon lange fordern, sagt Jörg Richert von Karuna: Nämlich, ein besseres Angebot für die Obdachlosen, als das, was ihnen im Rahmen der Kältehilfe bis jetzt angeboten wird.
Die Notübernachtungsheime gibt es nur im Winter, und die Obdachlosen müssen sie am Morgen stets wieder verlassen. Ein Tagesangebot gibt es meistens nicht. Mitunter gibt es nur Matratzenlager am Boden statt Zimmer mit wenigen Einzelbetten oder sogar Einzelzimmer. Und: Eine soziale Betreuung und Beratung der Menschen, um ganz individuell Hilfsangebote zu finden und die Lebenssituation auch dauerhaft zu verbessern, gibt es im Rahmen der Kältehilfe auch nicht. Jetzt aber bieten sogar Hotels an, die Obdachlosen unterzubringen. Die einen wollen einfach Gutes tun, die anderen ihre Einnahmeausfälle kompensieren – schließlich zahlt die Senatsverwaltung für jedes belegte Zimmer. Einige wollten sich deshalb an der Situation bereichern. Dafür hat Jörg Richert kein Verständnis:
"Also, wer jetzt ein Angebot macht mit 41 Euro pro Nacht, pro Bett, den würde ich jetzt mal als... weiß nicht. Es gibt eine neue Zeitrechnung, das heißt vor der Epidemie und nach der Epidemie. Und wer sich jetzt nicht ordentlich verhält, wir können auch – schönen Gruß an die Hotellerie – wir können auch beschlagnahmen, wenn wir wollen."
Die Unterbringung von Obachlosen in leerstehenden Privatwohnungen oder Hotels durch die Polizei oder Ordnungsämter ist rechtlich theoretisch jederzeit möglich.
Aber in Berlin scheint das vorerst nicht nötig zu sein. Auch weil bisher nicht klar ist, wie viele Obdachlose das Angebot der Sozialsenatorin überhaupt annehmen. Richerts Kollege Lutz Müller- Bohlen sieht ein paar Probleme, die dringend im Vorfeld geklärt werden müssten:
"Etliche Leute auf der Straße haben bekanntermaßen ein Alkoholproblem, in den Notunterkünften ist Alkoholverbot. Und wenn die Leute jetzt von der Straße zum Teil gegen ihren Willen isoliert werden, dann haben wir nochmal ein großes Problem, was Umgang mit Alkohol anbelangt, was bei Leuten, die substanzabhängig sind, die Substitution anbelangt. Und das ist es, was schwer vermittelbar ist, einem Alkoholiker Alkohol zukommen zu lassen, aber qualifizierte Entzüge unter solchen Bedingungen sind in der Form gar nicht möglich, und Alkoholentzug oder Drogenentzug ist in der Situation einfach eine existenzielle Gefährdung der Menschen."
Das Alkohol- und Drogenproblem kennt auch Senatorin Elke Breitenbach und möchte das bei den neuen Angeboten berücksichtigen. Wie die Sache nun ganz genau geregelt werden soll, steht aber noch nicht fest:
"Wir wissen, dass viele obdachlose Menschen aber auch weitere Probleme haben, deshalb gibt es eine sehr enge Kooperation mit Drogenprävention und Drogenprojekten. Und es wird eine psychologische Beratung auch geben, weil viele obdachlose Menschen mit der Situation, erstmal viel in Räumen zu sein und dort auch bleiben sollen, vermutlich nicht besonders gut klarkommen."
Das Lager in der Rummelsburger Bucht
Denn viele haben sich – ob zwangsweise oder freiwillig – dem Leben auf der Straße angepasst. Zu beobachten ist das anderthalb Kilometer vom Boxhagener Platz entfernt in der Rummelsburger Bucht. Ca. 50 Obdachlose hausen hier auf einer Brache, groß wie ein halbes Fußballfeld. In Zelten, in selbstgebauten Verschlägen aus Paletten und kaputten Plastikplanen oder einem alten Wohnwagen. Zwischen zerbrochenen Wodkaflaschen, leeren Joghurtbechern und Bergen von Müll und Unrat:
"Er steht gerade auf ganz viel Scheiße, ich habe einen Stein draufgemacht, aber es ist Fakt, es ist einfach nur Kacke, hier ist alles scheiße", sagt ein Mann mit viel zu dünner Jacke, bevor er sich einen Weg zu seinem Zelt bahnt. Zum Glück ist es kalt. Da stinken die vielen Kothaufen von Hunden und Menschen nicht ganz so sehr. Es gibt keinen Strom, kein fließendes Wasser und keine sanitären Anlagen, dafür Millionen von Ratten, sagt Lutz Müller-Bohlen, der sich, so gut es geht, um die Menschen in der Bucht kümmert:
"Ratten sieht man jetzt nicht, die sieht man immer wenn es dunkel wird, Heerscharen von Ratten, die zum Teil auch in die Unterkünfte kriechen, auch in die Schlafsäcke kriechen und vieles andere mehr."
In einem alten Wohnwagen ganz hinten wohnt Frieda. Frieda ist 36 Jahre alt, stammt vom Bodensee, trägt Rastalocken und kam nach Berlin, um Modedesign zu studieren. Das ging schief. Seit einem Jahr wohnt sie nun hier. Die Ratten stören sie gar nicht so sehr, die fehlenden Toiletten schon eher:
"Wir haben drei Varianten, wir haben ein Steinhaus da hinten, das wird als Toilette genutzt, wie so ein Gitter, wo man draufstehen kann und dann, ja. Und die einen machen das halt überall, die anderen nur in dem Haus, die anderen wie ich anfangs haben immer Löcher gebuddelt und mittlerweile Plastiktüten und Container."
Nicht nur die Empfehlung, sich häufig die Hände zu waschen, um eine Ansteckung mit dem Coronavirus zu vermeiden, klingt hier wie ein Witz, sagt Lutz Müller-Bohlen:
"Also die persönliche Hygiene ist die eine Geschichte, und bei unserer Notrufnummer ploppen jetzt vermehrt die Anrufe auf: Wo soll ich mich duschen? Die Arztpraxen für Obdachlose sind zum Teil geschlossen, und die sind hier nochmal umso mehr betroffen davon, dass bei Norma um die Ecke gehamstert wird, Wasser ausverkauft ist, andere Sachen ausverkauft sind, auch was jetzt die Ausweispflicht anbelangt, stellt viele vor ein großes Problem, der Zugang zu den Behörden oder zu den Ämtern ist massiv erschwert."
Auf der Brache in der Rummelsburger Bucht verstecken sich Flüchtlinge mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus, Südosteuropäer, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, linke Aktivisten, die die Brache vor dem Zugriff von Investoren schützen wollen, Menschen, die psychisch krank, alkohol- oder drogenabhängig sind, und solche, die aus irgendeinem anderen Grund aus dem System gefallen sind. Gemeinschaftsunterkünfte, in denen strenge Regeln befolgt werden müssen, kommen für viele hier nicht in Frage:
"Ich liebe einfach dieses Leben, verstehst du, ich habe meine Ruhe hier, ich bin frei."
"Und einmal Musik hören und dann, hey, Ruhestörung und dann: Polizei, Polizei, nein das geht nicht."
"Na wenn man mir so ein altes Fabrikloft hinstellt, wo ich meinen Wohnwagen reinstellen kann, dann ist alles gut." "Den willst du nicht hergeben?" "Na ungern, ich mag ihn schon recht gerne."
Wenigstens ist zurzeit nicht von Räumung die Rede, insofern habe Corona auch etwas Gutes, meint einer der Obdachlosen. Denn das Gelände ist an einen Investor verkauft worden. Hier soll ein ganz neues Stadtquartier entstehen. Mit Polizeigewalt räumen lassen wollte die linke Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach die Menschen nicht. Stattdessen verkaufte das Land das Grundstück einfach mitsamt dem Obdachlosencamp. Die zuständige Lichtenberger Bezirksstadträtin Birgit Monteiro von der SPD findet: Das Land hat den schwarzen Peter einfach an den Investor weitergereicht:
"Also wir verkaufen das als Land und schaffen ja Baurecht, wir haben ja sogar vertraglich aufgefordert, dann und dann mit dem Bau zu beginnen, und dann muss er das natürlich irgendwie schaffen. Die Investoren haben auch kein Interesse, da mit Pauken und Trompeten jemanden zu räumen, aber sie sind auch hilflos und da sieht der Staat ja dann auch vor, dass man Grundstücke räumen lassen kann."
Lockere Regeln sollen Obdachlose anlocken
Die Idee von Sozialsenatorin Elke Breitenbach ist eine andere: Sie hofft die Obdachlosen wegzulocken, um Ärger zu vermeiden. Seit ein paar Wochen gibt es ein paar Kilometer weiter eine Gruppenunterkunft, die die Menschen aufnehmen soll:
"Genau, die sind im Zimmer 2.20, schreiben wir das aktuelle Datum, nehmen wir zurück, die alten Bänder…" Einchecken in einer ehemaligen Flüchtlingsunterkunft in Karlshorst. Im Unterschied zu anderen Notunterkünften in Berlin gibt es hier tagsüber einen Aufenthaltsraum mit Fernseher und soziale Beratung. Sogar Hunde und Alkohol sind erlaubt. Eine Gruppe Roma ist tatsächlich von der Rummelsburger Bucht hergekommen. Knut Fischer von Tamaja, der Betreiber der Unterkunft, versucht jetzt alles so zu organisieren, dass sich hier möglichst niemand anstecken kann.
"Die Situation hier in der Notunterkunft ist so, dass eigentlich hier in den Räumen, in den Schlafräumen relativ viel Platz ist, so dass auch die Vorgaben, was Hygiene und Abstand betrifft, eingehalten werden können. Und einzig im Speisesaal, sozusagen Cafébereich, da ist es etwas enger, da kann zumindest der Abstand nicht eingehalten werden, da gibt es im Moment aber auch keine andere Möglichkeit für uns zu reagieren."
Die Angst der 30 Bewohner vor Corona sei aber auch hier nicht besonders groß. Ihr Immunsystem sei durch das Leben auf der Straße abgehärtet und den Rest desinfiziere der Alkohol, meinten viele Obdachlose, erzählt Fischer. Deshalb werde es wohl auch schwierig, ihnen zu vermitteln, dass sie auch tagsüber hier bleiben sollen:
"Spannend wird der Bereich für uns, wenn dann tatsächlich eine Ausgangssperre verhängt werden sollte, dann haben die Menschen tatsächlich nicht mehr die Möglichkeit, sich eben frei zu bewegen, das heißt zu gehen und zu kommen. So dann ist die große Frage, ob sie sich dann an die Vorgaben halten. Bis jetzt bewegen die sich noch in der Stadt so, oder im Bezirk so, wie sie eben wollen."
Oder auch so, wie sie müssen, denn ihre Wege werden immer länger, weil immer mehr Hilfseinrichtungen schließen. Dass es jetzt am Boxhagener Platz warme Suppe gibt, hat sich unter den Obdachlosen blitzschnell herumgesprochen. Außerdem versucht die Hilfsorganisation Karuna, Bargeld an die Menschen auszugeben. Das locke noch mehr Menschen hierher. Ohne Bargeld geht es seit Corona nicht mehr, sagt Jörg Richert von Karuna:
"Was vorher Betteln ermöglicht hat, so über den Tag zu kommen mit drei, vier, fünf Euro. Deswegen geben wir jetzt auch Geld aus, zehn Euro pro Person, mal gucken, wie weit wir kommen. Das funktioniert nur, wenn jetzt Spenden reinkommen."
Am von Karuna betriebenen Kiosk am Boxhagener Platz wird auch Informationsmaterial verteilt. In mehreren Sprachen erklärt die Obdachlosenzeitung, wie sich die Symptome von Corona von denen der Grippe oder einer Erkältung unterscheiden, welche Nummer bei Fragen gewählt werden kann, und dass man weder Bierflaschen noch Zigaretten noch Schlafplätze mit anderen Menschen teilen soll. In vielen Notunterkünften sei Abstand halten bisher aber schwierig, erzählt der Obdachlose Kurt.
Abstand halten ist noch nicht möglich
Er selbst hat mit seiner Freundin Bella und knapp 100 anderen Menschen zusammen in der vergangenen Nacht in der Notübernachtung am Velodrom geschlafen. Jener Unterkunft, die Senatorin Breitenbach jetzt Corona-tauglich umbauen will. Noch sei es dort aber unmöglich, Abstand zu halten, sagen die beiden:
"Vom Vier-Bett-Zimmer über Acht-Bett Zimmer, die Dusche ist auch nicht zu, ist offen, komplett offen, alles offen bei Frauen. Es wird kälter, da kommen die Leute mehr rein. Das war gestern mit tausend Menschen, das war nicht schön, ja auf einem Zimmer mit drei, vier Menschen auf einem Zimmer, alle eng auf einem Raum. Vor allem die Klos sind auch nicht sauber, klar ich habe da Angst, dass ich irgendwann krank werde."
Denn außer Corona gebe es ja auch noch andere Krankheiten. Die fange man sich allerdings beim Übernachten draußen auf der Straße auch ein, widerspricht Dennis, der Obdachlose aus Kroatien. Er ist mit dem Angebot und den Hygienebedingungen der Notübernachtungsplätze eigentlich ganz zufrieden:
"Wir werden alle so ein bisschen bla, bla gecheckt, wir werden schon getestet hier, so Fieber, dies, das, so Körper, Läuse und so weiter. Das ist gut, da ist es viel besser als auf der Straße. Wo wir auf der Straße waren, sind wir auf Matratzen geschlafen, die wir von Menschen geschenkt gekriegt haben, und dadurch haben wir auch Infektionen gekriegt und so weiter."
Jugendherbergen wären schon gut, finden Bella und Dennis. Hotels natürlich noch besser. Theoretisch. Denn so wie es sich Sozialsenatorin Breitenbach vorstellt, gefällt es hier auch nicht allen. Auch unter den Obdachlosen kann und will nicht jeder mit jedem:
"Ich hoffe, dass Hotel geöffnet wird, das wäre toll."
"Das nutzt uns nicht viel, weil man braucht eine Unterkunft, wo keine Besoffenen und keine Junkies kommen, damit man seine Ruhe hat."
Ob er deshalb in eine der neuen Unterkünfte einziehen wird, ist unklar. Auch wenn es die meisten hier irgendwie freut, dass es überhaupt welche geben wird, vielleicht sogar Hotels, und dass man ihnen Bargeld in die Hand drückt – so wie sie es sich eigentlich schon vor der Ausbreitung des Corona-Virus gewünscht hatten. Einige hoffen nun, dass die neuen Unterkünfte nun auch wirklich bald bezogen werden können, andere bleiben an ihren angestammten Schlafplätzen, zum Beispiel in der Rummelsburger Bucht, unter einer Brücke am Bahnhof Zoo oder auf Bänken im Park. Dass die Obdachlosen jetzt besonders auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, hat sich allerdings bei den Berlinern herumgesprochen.
Am Boxhagener Platz gibt es genauso wie an anderen Orten in der Stadt inzwischen einen Gabenzaun. Dort hängen beschriftete Tüten: Duschgel steht darauf, Socken, Damenbinden, oder auch mal Zigaretten. Die Obdachlosen Menschen bedienen sich. Jörg Richert von Karuna ist angesichts der Hilfsbereitschaft der Nachbarn fast ein bisschen gerührt. Denn nicht alle hielten in der Coronakrise aus Angst mehr Distanz zu den Obdachlosen als vorher:
"Die Leute sprechen auch jetzt komischerweise viel mehr als vorher mit Obdachlosen. Ich glaube es kommt langsam an bei uns, dass das eine Gruppe ist, die ja gar keinen Schutz hat und draußen ist und jetzt nicht einfach in ein Zimmer gehen kann, um dort 14 Tage zu bleiben. Insofern sind hoffentlich die schnellen Angebote dann zielführend, und ich kann nur hoffen, dass viele von denen, die heute hier stehen, auch ein Zimmer, ein Bett nehmen."