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Obdachlosigkeit
Ein Wohnungsloser am Berliner Ensemble

Das Theaterstück "Auf der Straße", das gestern im Berliner Ensemble Premiere hatte, handelt von Obdachlosigkeit. Mit auf der Bühne: René Wallner - selbst seit mehreren Jahren wohnungslos.

Von Anja Nehls |
    Bettina Hoppe (von links), Alexandra Zipperer, René Wallner und Nico Holonics während der Probe zum Stück "Auf der Straße" im Berliner Ensemble
    Bettina Hoppe (von links), Alexandra Zipperer, René Wallner und Nico Holonics während der Probe zum Stück "Auf der Straße" im Berliner Ensemble (Imago)
    "Hier Isomatte, im Winter ein bisschen brauchbar, nicht wirklich. Und dann habe ich hier zwei kleine Ikea-Decken. Die eine kommt hier drunter, dann liegst du ein bisschen weicher und die zweite rolle ich mir hier so zusammen als Kopfkissen. Ja mein Schlafsack, brauchst du ja auch…"
    René Wallner bereitet sein Nachtlager vor. Auf einer Holzbank mitten auf der drehbaren Bühne im Berliner Ensemble. René Wallner, der eigentlich anders heißt, muss das nicht spielen, er muss nur er selbst sein und das tun, was er jeden Abend ohnehin tut. Als Obdachloser wohnt er auf den Treppen im Eingang einer Kirche in Berlin Mitte. Er ist Mitte 50, hat studiert und ist dann beruflich in der Musikszene gescheitert. In Berlin ist er hängengeblieben, seit über vier Jahren ist er obdachlos. Jetzt wirkt er mit im Stück "Auf der Straße" einer Produktion des Berliner Ensembles. Gemeinsam mit einer Frau, der von der Grundsicherung nach Abzug aller Kosten 70 Euro zum Leben bleiben und einem jungen Mann, der erst im Heim lebte und dann lange auf der Straße.
    Gute Resonanz beim Publikum
    Dass Betroffene selber mitspielen finden die begeisterten und auch ein wenig betroffenen Premierenzuschauer gerade beim Thema Wohnungslosigkeit besonders wichtig:
    "Wenn einer weiß wie Obdachlose wirklich leben und empfinden, dann sind das eben die Obdachlosen selber, das ist unbedingt ein Thema fürs Theater."
    "Dass die Leute zum nachdenken animiert werden, das ist wichtig"
    "Ich denke, dass es authentischer ist und näher am Leben dran ist".
    "Man sollte das noch deutlicher in die Öffentlichkeit bringen und wenn die sich selbst dafür engagieren, das finde ich super."
    Auf den obdachlosen René Wallner wurde die Regisseurin Karen Breeze durch einen Bericht im Deutschlandfunk aufmerksam. Er hat sich dann bereit erklärt, mitzuspielen und aus seinem Leben erzählt:
    "Ja die Texte haben wir gemeinsam erarbeitet aus Gesprächen, Karen hat immer ihr Mikro dabeigehabt und es ist sehr subtil geschrieben. Da erste Mal hat sie mir meine Passagen sozusagen vorgelesen, ich musste lachen, weil es so baff, ja genau so war, weil es stimmte und abends saß ich auf meinem Treppchen und habe geheult und habe gedacht, es kann nicht sein, dass ich über mein eigenes Leben lache, das geht nicht. Deshalb nenne ich mich in dem Stück auch René Wallner, weil als wir das erarbeitet haben, war mir das zu nah an mir dran."
    Abbild der Wirklichkeit
    Nichts ist ausgedacht in dem Stück, alles ist selbst erlebt, geschickt verwoben und schonungslos erzählt gemeinsam mit zwei professionellen Schauspielern:
    "Wann gehst Du immer so schlafen? Na, nicht vor zwei, drei Uhr, weißt du, da unten, da bei den Bänken, saufen sie, kiffen sie, bist nicht sicher, also das ist dann wie neulich Holzmarktstraße, da haben sie auch einen zusammengetreten, der lag da auch nur rum, vier Tage später war er tot. Oder in Schöneweide, ja Schöneweide, die zwei, die da gerade mal angefackelt wurden, kann man ja mal machen, sind ja nur Leute die da so liegen. Ja, Platte machen ist hart."
    Und Platte machen und gleichzeitg Schauspieler zu sein, ist noch härter. Allein schon, weil er jeden Probentag seit Juni pünktlich um zehn oder elf Uhr am Theater war, sagt Karen Breeze:
    "Ich bin begeistert, wie er das hinkriegt, ganz ehrlich, weil wir ja alle wissen, wann er ins Bett geht, weil er früher nicht ins Bett gehen kann, weil er einfach auch Angst hat, früher ins Bett zu gehen, weil er sich bedroht fühlt. Und insofern bleiben ihm nicht so viele Stunden. Wir haben natürlich bei den Proben nicht immer so früh angefangen, deshalb aber manchmal ließ es sich nicht vermeiden und dann mussten einfach alle anwesend sein."
    René Wallners Leben hat eine andere Struktur bekommen. Uneingeschränkt gut findet er das nicht. Während der Proben blieb zum Beispiel keine Zeit mehr zum Flaschensammeln - die Bezahlung vom Theater soll den Verlust auffangen.
    Kein Weg aus der Obdachlosigkeit
    Sein Leben hat René Wallner nicht geändert. Nach der Vorstellung fährt er mit dem Fahrrad wieder zu seinem Nachtlager im Kircheneingang . Natürlich haben ihm die Menschen vom Theater Hilfe angeboten, aber er hat abgelehnt:
    "Warum soll sowas nur aus Mitleid, nur weil sich jetzt ein Obdachloser unter Künstlern und Intellektuellen befindet und die jetzt meinen, ihm da irgendwie ein Bett besorgen zu müssen. Das passt nicht, das passt nicht, da würdest du dich auch nicht wohlfühlen, garantiert nicht, geht nicht."
    Dennoch habe die gemeinsame Arbeit auf Augenhöhe stattgefunden, betont Regisseurin Karen Breeze. Man habe gemeinsam gegessen, geprobt, gelacht und sei ehrlich miteinander umgegangen:
    "Es geht letztlich auch genau darum zu sagen, ein Mensch ist ein Mensch und es geht um diesen Menschen und nicht um seinen Status."
    Und wenn im Zuschauerraum das Licht ausgeht, jeder seinen Platz kennen und seinen Text wissen muss, dann sind sowieso alle gleich. René Wallner wirkt am Ende zufrieden- und auch ein bisschen stolz:
    "Also die Erfahrung, wie so eine Produktion entsteht, also diese Geburt, die zu begleiten, da ist schon cool. Die Chance muss man doch mitnehmen oder nicht? Ich wäre doch blöd, wenn ich das nicht gemacht hätte."
    Und wer weiß, was daraus noch wird – vielleicht.
    "Wenn ich Angebote kriege, gehe ich nach Hollywood, gestern hat mir jemand gesagt ,ich wäre der zweite Otto Sander. Otto Sander hat richtig viel Geld verdient, hat der zu mir gesagt, du redest wie Otto Sander."