Fatoumata friert. Obwohl die Tagesstätte der Hilfsorganisation Emmaüs gut geheizt ist, zieht sie ihre Daunenjacke nicht aus. Die Frau aus Mali sitzt beim Frühstück, ihr einjähriger Sohn schläft im Kinderwagen.
"Wir haben im Krankenhaus übernachtet. In der ersten Notaufnahme hatten sie keinen Platz mehr für uns. Vor uns standen zwei schwangere Frauen, die hatten Priorität. Ich wurde dann in ein anderes Krankenhaus geschickt, da durfte ich mit meinem Sohn im Wartesaal schlafen."
Um 23 Uhr konnte sich Fatoumata endlich ausruhen. Früh um halb sieben wurden sie und ihr Baby aber wieder in die Kälte geschickt. Die junge Mutter ist schon seit drei Monaten obdachlos, jeden Abend muss sie nach einem Schlafplatz suchen. Genau wie Bintou. Die Frau aus Guinea ist mit drei Kindern unterwegs, die beiden älteren sind 9 und 7 Jahre alt.
"Ich habe sie in der Schule angemeldet, aber was soll ich tun? Ich kann sie da nicht hinbringen, solange wir auf der Straße leben müssen."
Schlafen auf dem Bürgersteig
Die Pariser Krankenhäuser haben Mitte Dezember eine Erhebung gemacht, wie viele Menschen bei ihnen Zuflucht suchen - die Ergebnisse wurden noch nicht veröffentlicht. Fest steht, dass es in der Hauptstadt an Notunterkünften mangelt. Obwohl der Staat eigens für den Winter 7.300 zusätzliche Plätze geschaffen hat, sind jede Nacht fast 500 Menschen obdachlos. Zwei Drittel davon sind Kinder mit ihren Eltern, sagt die Leiterin der Tagesstätte, Nathalie Martz.
"Das ist neu in Frankreich: Familien auf der Straße. Vor wenigen Jahren war das unvorstellbar. Inzwischen handelt sich um ein strukturelles Problem, ganz unabhängig von der Jahreszeit. Manche müssen bis zu vier Monate ausharren. Wir raten den Menschen, die tagsüber zu uns kommen, in Krankenhäuser oder auf den Flughafen zu gehen. Und wir sagen ihnen, dass wir jeden Morgen ab 10 Uhr für sie da sind."
Insgesamt gibt es etwa 15 Tagesstätten für Obdachlose in Paris, aber nur zwei, die Familien mit Kindern vorbehalten sind. Nathalie Martz hat allein im Monat November 2.000 Besuche verzeichnet.
Hunderte Obdachlose in Paris
Einzelne Mütter oder Väter seien körperlich derart am Ende gewesen, dass sie ihr Kind nicht mehr richtig versorgen konnten, und der ärztliche Notdienst kommen musste, erzählt sie.
Neben Afrikanern sind an diesem Morgen auch einige Osteuropäer gekommen: Moldawier, Albaner, Rumänen. Dumitru braucht Hilfe bei der Arbeitssuche. Zusammen mit Frau und zwei kleinen Kindern hat der Rumäne einen Monat lang auf dem Bürgersteig vor einer großen Kinderklinik gezeltet.
"Wir durften das Zelt aber erst um 20 Uhr aufbauen, um 5 Uhr mussten wir wieder zusammen packen und abziehen. Das 15. Arrondissement ist ein reiches Stadtviertel, die Leute wollen so etwas nicht sehen, deshalb mussten wir in der Früh gehen."
Dumitru hat Glück: Die Stadt Paris hat ihn und seine Familie soeben in einer Notunterkunft einquartiert. Er ist überzeugt, dass für sie nun ein besseres Leben beginnt. Als Bürger der Europäischen Union hat er nichts zu befürchten. Anders steht es um Fatoumata, Bintou und die übrigen so genannten Wirtschaftsflüchtlinge: Selbst wenn sie eine Notunterkunft fänden, so droht ihnen neue Gefahr: Die Regierung will jetzt mit "mobilen Brigaden" kontrollieren, ob die Bewohner der Obdachlosenheime legal in Frankreich sind. Um dort Platz zu schaffen für rechtmäßige Asylbewerber.
Florent Gueguen vom Verband der Solidaritäts-Vereine ist entsetzt. "Das ist eine Logik, wo um Plätze gekämpft und das Elend der einen mit dem Elend der anderen in Konkurrenz gesetzt wird. Für uns sind alle Obdachlosen gleich. Wir wollen sie unterbringen und beschützen." Die Hilfsorganisationen haben jetzt den nationalen Ombudsmann für die Verteidigung der Grundrechte angerufen.