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Oberhausener Kurzfilmtage
Musikvideos zwischen Avantgarde und Kommerz

Die Sender MTV und Viva kennen Jugendliche heute vermutlich nicht mehr. Videoportale im Internet haben die Musiksender von damals längst abgelöst. An Bedeutung verloren haben sie deshalb aber nicht. Bei den Internationalen Filmtagen in Oberhausen ist für sie sogar eine eigene Kategorie reserviert. Das Publikum entscheidet darüber, welches Video das Beste ist.

Von Azadê Peşmen |
    Ausschnitt des Musikvideos zum Song "Blacktivist" von "Flatbush Zombies". Das Video ist für den MuVi-Preis bei den Oberhausener Kurzfilmtagen 2016 nominiert.
    Ausschnitt des Musikvideos zum Song "Blacktivist" von "Flatbush Zombies". Das Video ist für den MuVi-Preis bei den Oberhausener Kurzfilmtagen 2016 nominiert. (Internationale Kurzfilmtage Oberhausen/Mario Pfeifer)
    "The Buggles" - als Band vergessen, aber ihr einziger Hit läutete am 1. August 1981 die Geburtsstunde des Musiksenders MTV in den USA ein. Video killed the Radiostar. Dem Musikclip-Fernsehen sei Dank, bekamen auch in Deutschland Künstler eine weitere Plattform, sich auszuprobieren. Filmwelt inclusive. Zu den Hochzeiten des Musikvideos richteten die Oberhausener Kurzfilmtage eigens eine Kategorie dafür ein.
    "Und da hat man gesehen, dass die sehr experimentierfreudig sind", so Jessica Manstetten, die das Programm in diesem und in den vergangenen Jahren zusammengestellt hat. Sie sieht Gemeinsamkeiten zwischen Kurzfilmen und Musikvideos:
    "... sich auch filmischen Techniken bedienen, die auch an Avantgarde und Experimentalfilm erinnern und da eigentlich fast spannender waren als der klassische Kurzfilm, der ja auch sehr oft klar an Genres sich orientiert und weniger grenzgängerisch arbeitet als das Musikvideo und im Zuge dessen war das der Grund zu sagen, wir wollen zeigen, dass Musikvideos für uns eine besondere Form des Kurzfilms ist."
    Eigene Kunstform? Auf wenig Gegenliebe stieß diese Anerkennung in den ersten Jahren des Musikvideo-Preises. Das Fachpublikum befürchtete eine Kommerzialisierung des Festivals - nicht unbegründet, immerhin nahmen vor allem internationale Medienkonzerne viel Geld in die Hand, um die Songs ihrer Künstler zu visualisieren.
    Aber das sind nicht die Videos, die auf der Liste des Musikvideo-Preises landeten und landen. Den Regisseuren geht es nicht darum bewegte und bebilderte Verkaufsargumente für ein klingendes Produkt zu schaffen. Die meisten sind auch keine klassischen Musikvideo-Regisseure. Mario Pfeifer etwa, visueller Künstler. Während seine Arbeiten sonst in Ausstellungsräumen zu sehen sind, ist das Video zum Song "Blacktivist", der New Yorker Gruppe "Flatbush Zombies" mittlerweile auf YouTube abrufbar.
    Das Musikvideo als Ausdruckmittel im politischen Diskurs
    Ungefilterte Aufnahmen von Überwachungskameras. Beamte prügeln auf Schwarze Menschen ein. Das Video soll auf rassistische Polizeigewalt und die ausufernde Waffennutzung in den USA aufmerksam machen. Der Regisseur spielt mit dem Begriff des Terrors: In einer Szene kniet der noch amtierende US-Präsident Barack Obama vor einer abgewandelten IS-Flagge, im Hintergrund die rappenden Bandmitglieder der "Flatbush Zombies". Kontrovers ist das Video allemal, die Resonanz bei YouTube: Zweieinhalb Millionen Klicks. Und das ist auch ein Grund, weshalb Mario Pfeifer sich zum ersten Mal für das Medium "Musikvideo" entschied:
    "Es geht eigentlich eher darum, ein Format zu finden, womit ich mein Publikum vergrößere, wo ich aber auch konzeptuelle, künstlerische Ansätze in einen anderen Kontext stelle. Man muss sich also vorstellen, man kann dieses YouTube-Video im Internet sehen, aber man kann es auch im Museum sehen und dadurch entstehen zwei Wertigkeiten. Man müsste sich die über 4.000 YouTube-Kommentare mal anschauen, das ist sehr interessant, wie da über das Musikvideo über die Performance, über die Texte nachgedacht wird."
    Das Musikvideo nicht nur als Plattform, auf der sich Künstler ästhetisch ausprobieren können und mit Bildsprache und -montage experimentieren, sondern auch als Mittel, den aktuellen politischen Diskurs zu beeinflussen. Nicht nur für "Macher" wie Mario Pfeifer ist das wichtig. Auch für die Künstler steht das auf der Agenda.
    Entscheidungsträger ist das Publikum
    Im Video zu "If I were a sneaker" der deutschen Band "Die Goldenen Zitronen" ist die Gruppe nicht zu sehen. Stattdessen ausschließlich Menschen, die aufgrund ihrer äußerlichen Merkmale oft als "nicht Deutsch" angesehen werden. Allerdings sehen wir keine Reinigungskräfte oder Menschen im Schlauchboot. Stattdessen sehen wir sie - ganz selbstverständlich - in profitablen Unternehmen arbeiten und ganz oben mitmischen. Schorsch Kamerun, von den Goldenen Zitronen:
    "Wer wird eigentlich wie benannt? Und in dem Fall geht es natürlich darum, dass es hier um Menschen geht, die bestimmte Titulierungen bekommen. Die wir als wirklich falsch erleben. Ich finde sogar den Begriff der Integration irgendwie idiotisch, also wer will hier wen integrieren und das war so die Grundidee dieses Videos, das wir einfach sagen, das ist doch längst passiert."
    Der Diskurs um die Musikvideos kommt heute nicht mehr durch die Musiksender zustande, sondern findet in den Kommentaren auf den jeweiligen Videoportalen statt. Vielleicht ist das mit ein Grund, weshalb es in der Kategorie Musikvideo auch einen Publikumspreis gibt. Die User entscheiden, wer am Samstag die Auszeichnung bekommt.