Stefan Heinlein: Die Gewaltenteilung ist ein Fundament jeder Demokratie. In den USA nennt man das Checks and Balances, Überprüfung und Ausgleich. Die gegenseitige Kontrolle der Verfassungsorgane ist ein Wesensmerkmal des politischen Systems der Vereinigten Staaten. Tatsache ist allerdings: Ein US-Präsident hat seit jeher großen Einfluss auf die Besetzung der Richterposten am US-Supreme Court, dem obersten Gericht des Landes. Auch Donald Trump macht wie alle seine Vorgänger von diesem Recht Gebrauch. In der Nacht seine Nachfolgeentscheidung; sie könnte die Machtverhältnisse dauerhaft verändern. In Berlin begrüße ich jetzt Tyson Barker vom Aspen-Institut, einer US-amerikanischen Denkfabrik. Good Morning! Guten Morgen nach Berlin.
Tyson Barker: Guten Morgen!
Heinlein: Herr Barker, welche Bedeutung hat diese Trump-Entscheidung für das politisch-gesellschaftliche Klima in den USA?
Barker: Man könnte sagen, das ist die wahrscheinlich [die] allerbedeutsamste Entscheidung, die er bis jetzt in der amerikanischen politischen Landschaft getroffen hat. Der Oberste Gerichtshof ist, wie erwähnt wurde, eine der drei Säulen der amerikanischen Demokratie und ist eine unabhängige Säule, und die Komposition, wie der Oberste Gerichtshof aussieht, wird das wesentlich ändern, und das für eine Generation.
Kavanaugh würde lebenslang berufen
Heinlein: Erklären Sie uns Deutschen, Herr Barker: Warum ist diese Entscheidung so bedeutend, wie Sie sagen?
Barker: Es gibt wie gesagt neun Richter in diesem Gremium und die sind lebenslang berufen. Man kann davon ausgehen, dass Kavanaugh – der ist jetzt 53 – wahrscheinlich mindestens 30 Jahre lang dort bleiben wird, wie gesagt lebenslang, und sein Vorgänger, der jetzige Inhaber dieser Stelle, ist Anthony Kennedy. Der war der einzige, sagen wir mal, Wechselwähler beim Obersten Gerichtshof. Er war derjenige, der entscheidend war bei so vielen wichtigen Fällen, sei es Homoehe, sei es Abtreibung, sei es das Recht von Universitäten und dem amerikanischen Bildungssystem, sich zu entscheiden, ob zum Beispiel Schwarze oder Latinos bevorzugten Zugang zu Universitäten haben. Er war derjenige, der, sagen wir mal, mit den Progressiven zusammengestimmt hat, Anthony Kennedy, und man könnte sehr zuversichtlich davon ausgehen, dass in vielen dieser Felder neue Entscheidungen getroffen werden können von Brett Kavanaugh.
Mehrheit der Obersten Richter steht hinter Trump
Heinlein: Um es auf den Punkt zu bringen: Kann nun Trump tatsächlich künftig entscheiden, was und wie er will? Er wird in der Regel immer die Unterstützung der Verfassungsrichter erhalten?
Barker: Wie schon die letzte Periode des Obersten Gerichtshofs aussieht, wird er mehr Unterstützung vom Obersten Gerichtshof bekommen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Fall der Zulassung von Immigranten oder Migranten aus anderen Ländern. In dieser Situation hat man eine sehr umstrittene Politik vorangetrieben, was muslimische Länder angeht, das Verbot der Zulassung von vielen Leuten aus muslimischen Ländern. Das sind sehr umstrittene Entscheidungen der Administration. Viele haben gedacht, dass das verfassungswidrig ist, aber mit einer knappen Mehrheit von fünf Richtern im Obersten Gerichtshof, inklusive Anthony Kennedy, haben sie gesagt, dass Trump die Macht hat, das zu entscheiden. Und wir können davon ausgehen, dass diese Macht umso solider wird unter einem Obersten Gerichtshof mit Brett Kavanaugh an der Macht.
"Die Parteien wählen sehr sorgfältig aus"
Heinlein: Welche Rolle spielt denn die Parteinähe im Alltag der Richter? Wie unabhängig sind diese amerikanischen Obersten Richter in ihren Urteilen?
Barker: Auf der einen Seite sind sie ziemlich unabhängig. Wie gesagt, das ist eine lebenslange Berufung. Aber auf der anderen Seite und gerade deswegen sind sie sehr sorgfältig ausgewählt von den Parteien, um zu versichern, dass sie wirklich, sagen wir mal, treue Wähler werden, wenn sie da berufen sind. Diejenigen, die am Obersten Gerichtshof landen, die haben eine lange Karriere hinter sich und sie haben sich schon bewiesen, dass sie normalerweise treue parteipolitische Wähler sind. Im Fall von Brett Kavanaugh ist das umso mehr der Fall. Der wurde berufen von George W. Bush. Jemand hat gesagt, er ist der Forrest Gump der republikanischen Politik. Er war dabei, als die Republikaner versucht haben, Bill Clinton aus dem Amt zu treiben, ihn zum Rücktritt zu zwingen. Er war 2000 in Florida, als die Wahl so umstritten war, und viele Demokraten haben gesagt, dass er einfach zu parteipolitisch und umstrittig [gemeint: umstritten ... Anm. d. Red.] war, als er zu einem niedrigeren Gerichtshof berufen wurde.
Vorwurf der "politischen Justiz" ist berechtigt
Heinlein: Herr Barker, ist es übertrieben, wenn wir jetzt aus europäischer Perspektive urteilen, das ist eine Art politische Justiz in den USA?
Barker: Es wird immer politischer. Der Oberste Gerichtshof ist eine der Institutionen, die die Amerikaner am meisten respektieren. Sie trauen den Entscheidungen, die dort getroffen werden. Allerdings seit 2000, seit Bush wie Gore in vielen Feldern es erlaubt haben, dass sie eine größere Rolle in der Politik spielen, mit vielen Entscheidungen wird es politischer und die Europäer haben recht, wenn sie das denken.
Heinlein: Unterscheidet sich denn Trump mit seinem Verhalten, mit seiner Entscheidung jetzt von seinen Vorgängern? Auch Obama hat ja die Richterposten ganz nach eigenem politischen Gusto vergeben.
Barker: Ja, das kann man schon sagen, und sie haben natürlich das Recht dazu. Das ist in der Verfassung so geschrieben. Der Präsident ist derjenige, der die Richter nennt. Allerdings viele Demokraten denken, dass ein Sitz aus dem Obersten Gerichtshof von ihnen gestohlen wurde. Anfang 2016, als Obama immer noch Präsident war, ist Antonin Scalia, ein sehr konservativer Richter, gestorben. Obama hat versucht, einen neuen Richter zu nennen, und das wurde blockiert von den Republikanern, die gesagt haben, wir müssen warten bis nach der Wahl.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.