Es ist kühl geworden in Hongkong. Die verbliebenen Demonstranten vor dem Regierungssitz haben ihre Zelte mit Metallfolie beklebt und Decken herangeschafft. Abgekühlt hat sich auch die Stimmung. Seit den gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei am frühen Montagmorgen scheint aus den Protesten die Luft zu entweichen. Die Gründer der Occupy-Central-Bewegung stellten sich am Mittwoch der Polizei. Studentenvertreter wollen in der kommenden Woche ebenfalls über einen freiwilligen Rückzug entscheiden. Der 18-jährige prominente Wortführer Joshua Wong ist mit einigen Mitstreitern seiner Schülervereinigung Scholarism in den Hungerstreik getreten. Auch er denkt über ein Ende der Straßenblockaden nach.
"Scholarism wird die Frage unter den Mitgliedern besprechen. Ich glaube, eine öffentliche Diskussion mit der Regierung wäre der beste Ausweg. Wir hoffen immer noch auf ein Treffen."
Mit Hungerstreiks auf Zugeständnisse hoffen
Es ist ein letzter Versuch, der Regierung ein Zugeständnis abzutrotzen. Dass dies gelingt, ist äußerst unwahrscheinlich. Und so dürften die Proteste zunächst ohne konkretes Ergebnis zu Ende gehen. Zur Ruhe wird Hongkong aber wohl trotzdem nicht finden. Denn die Konflikte und Probleme der Jugend bleiben ungelöst:
"Die Jungen wissen genau: Wenn sie jetzt einfach alles laufen lassen, wird Peking die Daumenschrauben anziehen und weiter die Kontrolle über die meisten Bereiche des Lebens übernehmen, sagt der Politologe Willy Lam. Dabei geht es auch um die ökonomische Zukunft: Die Hongkonger Wirtschaft wird immer mehr von Chinas Staatkonzernen kontrolliert. Die besten Jobs gehen mittlerweile an Festlandchinesen. Den jungen Demonstranten geht es also zum einen um Hongkongs Freiheiten und um freie Wahlen, zum anderen aber auch um ihre wirtschaftliche Zukunft."
Zukunft der Proteste
Und so überlegen die Demonstranten auch schon, wie sie den Protest nach dem Ende der Straßenblockaden weiterführen können. Vorschläge hat nun der Gründer der Occupy-Central-Bewegung gemacht, Benny Tai. Er regt an, dass die Bevölkerung der Regierung die Zusammenarbeit aufkündigt, konkret: Etwa keine Steuern mehr zahlt und für staatliche Wohnungen keine Mieten mehr überweist. Gleichzeitig plädiert er für Demokratieforen in den Stadtvierteln und freiwillige Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung.
Unklar ist, ob die Regierung nach dem Ende der Besetzungen zurückschlagen wird. Gerüchten zufolge sollen die Behörden eine schwarze Liste mit 200 Namen von Aktivisten führen, die bestraft würden. Die Regierung bestreitet das.
Proteste sind für China Gesichtsverlust
Entscheidend wird sein, was Peking will. Die kommunistischen Führer sehen im halbautonomen Hongkong mittlerweile eine Brutstätte für antikommunistische und antichinesische Machenschaften, sagen China-Beobachter. Für Staatspräsident Xi Jinping persönlich sind die Proteste ein Gesichtsverlust. Und sie könnten ihn im harten Pekinger Machtgerangel schwächen. Sein Ziel dürfte es sein, die Stadt unter Kontrolle zu bringen, also wohl auch die Freiheiten zu beschneiden. Doch das ist schwierig. Peking hat einen Großteil der Jugend gegen sich. Ein Eingriff mit Brachialgewalt könnte nach hinten losgehen.
"Langfristig könnte das dazu führen, dass noch mehr junge Leute zu Anti-Peking-Aktivisten werden", glaubt Willy Lam. "Hongkong könnte unregierbar werden."
Wirtschaft wird von Tycoons beherrscht
Vielleicht setzt Peking deshalb auf einen langfristigen Plan und kümmert sich zumindest um die ökonomischen Sorgen der Jugend in einer Stadt, in der selbst in den Vororten ein Quadratmeter Wohneigentum 8000 Euro kostet. Dafür wäre aber ein Komplettumbau der Hongkonger Wirtschaft notwendig. Diese gilt zwar als turbokapitalistisch und frei. Tatsächlich aber, sagt der Soziologe Michael DeGolyer von der Hongkonger Baptistenuniversität, ist sie abgesehen vom chinesischen Staat beherrscht von den Hongkonger Tycoons, den großen Geschäftsmagnaten und ihren Familien.
"Die Tycoons haben Monopole gebildet und ein Beziehungsgeflecht. Sie sprechen sich untereinander ab und hebeln den Wettbewerb aus. Die Wirtschaft ist zementiert. Auch deshalb sind die Jungen auf der Straße. Sie haben keine Chance. Wenn sie versuchen, dagegen in den Wettbewerb einzutreten, werden sie von den Tycoons zerquetscht."
Um Hongkongs kritische und jetzt hoch politisierte Jugend dauerhaft unter Kontrolle zu bringen, müsste Peking demnach die Macht der Tycoons brechen und die Wirtschaft öffnen. Denn wer die Chance auf Geld und gute Jobs hat, protestiert auch weniger, wenn ihm die Freiheiten genommen werden. Dieses Prinzip funktioniert auf dem chinesischen Festland schon seit vielen Jahren.