"Ich bin immer mal wieder 'neu', und darüber beschwere ich mich nicht. Manche Leute entdecken mich jetzt erst, aber ich mache das schon lange, und ich bin sehr dankbar dafür, wie erfolgreich ich geworden bin, viel erfolgreicher, als ich je gedacht hätte. Es ist o.k., ich bin mal wieder neu. Gut."
Joe R. Lansdale freut sich durchaus, mit 62 Jahren wieder einmal als Neuentdeckung zu gelten. Bei uns in Deutschland erscheint zurzeit fast jeden Monat ein Lansdale – Neuübersetzungen älterer Bücher oder auch Erstausgaben. Er liegt im Trend. Mehr als 30 Romane hat Joe Lansdale in seinem Leben geschrieben, zahlreiche Kurzgeschichten, Comics, Hörspiele, Drehbücher. Zuletzt eine Abenteuergeschichte um drei Heranwachsende im Texas der 1930er-Jahre: "Dunkle Gewässer".
"Mein Vater war 45, als ich geboren wurde, meine Mutter 38. Zur Zeit der großen Depression in den 30er-Jahren waren die beiden in ihren Zwanzigern. Diese Wirtschaftskrise war viel schlimmer als die heute. Ich bin mit ihren Geschichten über die Depression groß geworden, diese Zeit hat mich immer interessiert. Und ich habe immer gern über junge Leute geschrieben. Weil wir uns alle daran erinnern können, wie es war, als wir jung waren. Erinnern wir uns nicht alle an die Momente, als wir entdeckten, dass die Welt nicht ganz so war, wie sie sein sollte?"
Dieser Moment kommt für die Hauptfigur und Ich-Erzählerin von "Dunkle Gewässer" in dem Jahr, in dem sie 16 wird. Es ist der Sommer, in dem Sue Ellens Vater beginnt, sie zu begrabschen, in dem ihre Mutter sich mit Laudanum betäubt, und dann findet sie beim Fischen am Fluss auch noch die Leiche von May Linn, dem hübschesten Mädchen im Ort. Offenbar ermordet, doch dafür scheint sich niemand zu interessieren. May Linn hatte immer von Hollywood geträumt, und so macht sich Sue Ellen mit zwei Freunden auf den Weg, um dort wenigstens ihre Asche zu verstreuen. Für die drei Teenager beginnt eine Odyssee durch ein feindliches, verarmtes Land. Dabei bekommen sie es mit einem unheimlichen Auftragskiller zu tun und müssen am Ende ihre Kindheit hinter sich lassen. "Dunkle Gewässer" ist eine brillante Mischung aus Entwicklungsroman, Krimi, Abenteuer- und Schauergeschichte. Ein typischer Lansdale.
"Ich sortiere mich selbst in kein Genre ein, außer in das Lansdale Genre. Das ist mein Genre. Ich mache einfach, was ich machen möchte. Ich schreibe nicht für andere Leute, nur für mich. Oder ich stelle mir tote Leute vor, meine Großmutter zum Beispiel, die kann nichts mehr dazu sagen. Aber wenn ich fertig bin, hoffe ich sehr, dass es irgendwem gefällt."
Tatsächlich ist Joe Lansdale ein einzigartiger Erzähler, der sich in keine literarische Schublade stecken lässt. Doch wenn man ihn vergleichen will, landet man bei Namen wie Mark Twain und William Faulkner. Allerdings auch bei Stephen King – oder bei dem blutrünstigen Quentin Tarantino. Denn Lansdale ist im historischen Jugendroman ebenso zuhause wie im Horrorthriller. Große amerikanische Erzähltradition trifft Splatterpunk. Das gilt auch für "Dunkle Gewässer" – eine fantastische Geschichte über das Erwachsenwerden, poetisch schön und brutal schrecklich zugleich. Mit vielschichtigen, glaubwürdigen Charakteren – und einem monströsen Mörder, der einem Alptraum entstammen könnte.
"Ich habe keine Alpträume! Wahrscheinlich, weil das Schreiben die erledigt. Wenn ich überhaupt träume, dann fange ich oft mittendrin an, die Geschichte umzuändern wie ein Filmregisseur. Und die kann ich dann benutzen. Zumindest als Impuls für eine Geschichte, die ich dann niederschreibe. Träume sind wichtig für mich","
sagt der weißhaarige Mann aus Osttexas mit dem unverkennbaren Texas-Twang, dem Sprachklang der Gegend, der auch die Melodie aller seiner Bücher prägt. Sie spielen immer im Süden der USA, fast alle in Texas, geschrieben in der Sprache der Unterschicht, der Arbeiter oder Arbeitslosen.
""Weil ich daher komme. Ich bin Arbeiterklasse. Und ich wollte immer für Leute wie mich schreiben, aber so, dass es jeder lesen und mögen konnte. Ich finde außerdem, dass die Sprache der Südstaaten etwas Poetisches hat, einen Rhythmus, auf und ab, das hat nicht jeder amerikanische Dialekt. Ich denke, das hat mit der King James Bibel zu tun, die weit verbreitet bei uns war, man ist mit diesem Rhythmus aufgewachsen, dieser Kadenz."
Biblische Anklänge finden sich viele in Lansdales neuem Buch. Sie schlagen sich nieder in Sprachbildern und Metaphern – beispielsweise wenn die Ich-Erzählerin sich beklagt, dass in ihrer Gegend Jobs, besonders für Frauen, so selten seien "wie getaufte Klapperschlangen". Zudem spielt ein Prediger eine wichtige Nebenrolle während der beinahe apokalyptischen Flussfahrt der jungen Protagonisten. Der Baptist schleppt eine alte Schuld mit sich herum. Als Junge hatte er einen schwarzen Freund fälschlich des Diebstahls beschuldigt. Im rassistischen Klima der Südstaaten in den 30er-Jahren das Todesurteil für das Kind. Eine todtraurige Szene. Auch das kann Joe R. Lansdale: Zu Tränen rühren, und eine Seite später brachial komisch werden. Seine erzählerische Kraft bezieht er auch aus Wut. Seit 40 Jahren schreibt er zornig an gegen Rassismus und Gewalt. Nicht selten mit Hilfe starker weiblicher Charaktere wie der der jungen Sue Ellen in "Dunkle Gewässer".
"Ich bin Feminist. Meine Mutter war eine unabhängige Frau, meine Frau ist auch sehr unabhängig, ebenso wie meine Tochter. Aber ich persönlich halte das auch für sinnvoll. Warum sollte man nicht für gleiche Rechte sein' Frauen und Männer sind nicht gleich, aber wir wollen das Gleiche, haben dieselben Ziele, wir verdienen es, gleich bezahlt zu werden. Darüber muss ich doch gar nicht nachdenken. Als ich jung war, war das anders. Meine Mutter war so was wie eine Aktivistin, ohne es zu wissen. So wie viele starke Frauen in Texas."
Joe R. Lansdale: Dunkle Gewässer.
Aus dem Amerikanischen von Hannes Riffel
Tropen Verlag, 320 Seiten, 19,95 Euro
Weitere Romane von Joe R. Lansdale, die in den vergangenen Monaten neu- oder wiedererschienen sind:
Kahlschlag.
Aus dem Amerikanischen von Katrin Mrugalla
Suhrkamp, 460 Seiten, 9,99 Euro
Ein feiner dunkler Riss.
Aus dem Amerikanischen von Heide Frank
Golkonda Verlag, 275 Seiten, 16,90 Euro
Schlechtes Chili.
Aus dem Amerikanischen von Christian Jentzsch
Dumont Verlag, 318 Seiten, 9,99 Euro
Joe R. Lansdale freut sich durchaus, mit 62 Jahren wieder einmal als Neuentdeckung zu gelten. Bei uns in Deutschland erscheint zurzeit fast jeden Monat ein Lansdale – Neuübersetzungen älterer Bücher oder auch Erstausgaben. Er liegt im Trend. Mehr als 30 Romane hat Joe Lansdale in seinem Leben geschrieben, zahlreiche Kurzgeschichten, Comics, Hörspiele, Drehbücher. Zuletzt eine Abenteuergeschichte um drei Heranwachsende im Texas der 1930er-Jahre: "Dunkle Gewässer".
"Mein Vater war 45, als ich geboren wurde, meine Mutter 38. Zur Zeit der großen Depression in den 30er-Jahren waren die beiden in ihren Zwanzigern. Diese Wirtschaftskrise war viel schlimmer als die heute. Ich bin mit ihren Geschichten über die Depression groß geworden, diese Zeit hat mich immer interessiert. Und ich habe immer gern über junge Leute geschrieben. Weil wir uns alle daran erinnern können, wie es war, als wir jung waren. Erinnern wir uns nicht alle an die Momente, als wir entdeckten, dass die Welt nicht ganz so war, wie sie sein sollte?"
Dieser Moment kommt für die Hauptfigur und Ich-Erzählerin von "Dunkle Gewässer" in dem Jahr, in dem sie 16 wird. Es ist der Sommer, in dem Sue Ellens Vater beginnt, sie zu begrabschen, in dem ihre Mutter sich mit Laudanum betäubt, und dann findet sie beim Fischen am Fluss auch noch die Leiche von May Linn, dem hübschesten Mädchen im Ort. Offenbar ermordet, doch dafür scheint sich niemand zu interessieren. May Linn hatte immer von Hollywood geträumt, und so macht sich Sue Ellen mit zwei Freunden auf den Weg, um dort wenigstens ihre Asche zu verstreuen. Für die drei Teenager beginnt eine Odyssee durch ein feindliches, verarmtes Land. Dabei bekommen sie es mit einem unheimlichen Auftragskiller zu tun und müssen am Ende ihre Kindheit hinter sich lassen. "Dunkle Gewässer" ist eine brillante Mischung aus Entwicklungsroman, Krimi, Abenteuer- und Schauergeschichte. Ein typischer Lansdale.
"Ich sortiere mich selbst in kein Genre ein, außer in das Lansdale Genre. Das ist mein Genre. Ich mache einfach, was ich machen möchte. Ich schreibe nicht für andere Leute, nur für mich. Oder ich stelle mir tote Leute vor, meine Großmutter zum Beispiel, die kann nichts mehr dazu sagen. Aber wenn ich fertig bin, hoffe ich sehr, dass es irgendwem gefällt."
Tatsächlich ist Joe Lansdale ein einzigartiger Erzähler, der sich in keine literarische Schublade stecken lässt. Doch wenn man ihn vergleichen will, landet man bei Namen wie Mark Twain und William Faulkner. Allerdings auch bei Stephen King – oder bei dem blutrünstigen Quentin Tarantino. Denn Lansdale ist im historischen Jugendroman ebenso zuhause wie im Horrorthriller. Große amerikanische Erzähltradition trifft Splatterpunk. Das gilt auch für "Dunkle Gewässer" – eine fantastische Geschichte über das Erwachsenwerden, poetisch schön und brutal schrecklich zugleich. Mit vielschichtigen, glaubwürdigen Charakteren – und einem monströsen Mörder, der einem Alptraum entstammen könnte.
"Ich habe keine Alpträume! Wahrscheinlich, weil das Schreiben die erledigt. Wenn ich überhaupt träume, dann fange ich oft mittendrin an, die Geschichte umzuändern wie ein Filmregisseur. Und die kann ich dann benutzen. Zumindest als Impuls für eine Geschichte, die ich dann niederschreibe. Träume sind wichtig für mich","
sagt der weißhaarige Mann aus Osttexas mit dem unverkennbaren Texas-Twang, dem Sprachklang der Gegend, der auch die Melodie aller seiner Bücher prägt. Sie spielen immer im Süden der USA, fast alle in Texas, geschrieben in der Sprache der Unterschicht, der Arbeiter oder Arbeitslosen.
""Weil ich daher komme. Ich bin Arbeiterklasse. Und ich wollte immer für Leute wie mich schreiben, aber so, dass es jeder lesen und mögen konnte. Ich finde außerdem, dass die Sprache der Südstaaten etwas Poetisches hat, einen Rhythmus, auf und ab, das hat nicht jeder amerikanische Dialekt. Ich denke, das hat mit der King James Bibel zu tun, die weit verbreitet bei uns war, man ist mit diesem Rhythmus aufgewachsen, dieser Kadenz."
Biblische Anklänge finden sich viele in Lansdales neuem Buch. Sie schlagen sich nieder in Sprachbildern und Metaphern – beispielsweise wenn die Ich-Erzählerin sich beklagt, dass in ihrer Gegend Jobs, besonders für Frauen, so selten seien "wie getaufte Klapperschlangen". Zudem spielt ein Prediger eine wichtige Nebenrolle während der beinahe apokalyptischen Flussfahrt der jungen Protagonisten. Der Baptist schleppt eine alte Schuld mit sich herum. Als Junge hatte er einen schwarzen Freund fälschlich des Diebstahls beschuldigt. Im rassistischen Klima der Südstaaten in den 30er-Jahren das Todesurteil für das Kind. Eine todtraurige Szene. Auch das kann Joe R. Lansdale: Zu Tränen rühren, und eine Seite später brachial komisch werden. Seine erzählerische Kraft bezieht er auch aus Wut. Seit 40 Jahren schreibt er zornig an gegen Rassismus und Gewalt. Nicht selten mit Hilfe starker weiblicher Charaktere wie der der jungen Sue Ellen in "Dunkle Gewässer".
"Ich bin Feminist. Meine Mutter war eine unabhängige Frau, meine Frau ist auch sehr unabhängig, ebenso wie meine Tochter. Aber ich persönlich halte das auch für sinnvoll. Warum sollte man nicht für gleiche Rechte sein' Frauen und Männer sind nicht gleich, aber wir wollen das Gleiche, haben dieselben Ziele, wir verdienen es, gleich bezahlt zu werden. Darüber muss ich doch gar nicht nachdenken. Als ich jung war, war das anders. Meine Mutter war so was wie eine Aktivistin, ohne es zu wissen. So wie viele starke Frauen in Texas."
Joe R. Lansdale: Dunkle Gewässer.
Aus dem Amerikanischen von Hannes Riffel
Tropen Verlag, 320 Seiten, 19,95 Euro
Weitere Romane von Joe R. Lansdale, die in den vergangenen Monaten neu- oder wiedererschienen sind:
Kahlschlag.
Aus dem Amerikanischen von Katrin Mrugalla
Suhrkamp, 460 Seiten, 9,99 Euro
Ein feiner dunkler Riss.
Aus dem Amerikanischen von Heide Frank
Golkonda Verlag, 275 Seiten, 16,90 Euro
Schlechtes Chili.
Aus dem Amerikanischen von Christian Jentzsch
Dumont Verlag, 318 Seiten, 9,99 Euro