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Odyssee zu neuen Sternen

Das Berliner Jazzfest ist eines der umfangreichsten und modernsten seiner Art: Weltstars wie Bobby McFerrin wurde hier zum internationalen Durchbruch verholfen. Dieses Jahr steht der kulturelle Dialog unterschiedlicher Länder und Regionen im Mittelpunkt des Festivals.

Von Georg Friedrich Kühn |
    Er gilt als neuer Shooting Star, der Finne Kalle Kalima. In Helsinki und Berlin hat er an den Musikhochschulen studiert. An vier Abenden darf er dem Jazzfest Berlin mit seinem "Omnibus"-Projekt den Stempel des immer noch ein bisschen "Avantgardischen" aufdrücken.

    Zurückgezogen hat man sich dafür in einen Club seitlich des Kuhdamm, ins "A-Trane". Vier Musiker sitzen da am ersten Abend auf der Bühne. Ein Saxofonist, ein Akkordeon-Spieler, einer am Kontrabass und eben Kalle Kalima an der E-Gitarre. Sie begeben sich auf eine Odyssee zu Stanley Kubrick.

    Alle vier mühen sie sich, ihren Instrumenten unvertraute Klänge zu entlocken. Kalima tastet seine E-Gitarre schon mal mit merkwürdigen Fühlern ab, und die Saiten beginnen plötzlich ganz anders als gewohnt zu vibrieren. Oder er klemmt eine Wäscheklammer auf den Steg, und der Klang trocknet gleichsam aus.

    Das Akkordeon fiept in den höchsten Lagen oder brummelt in den Tiefen, der Kontrabasskörper dient auch schon mal als Resonanzboden für Trommelschläge, das Saxofon - und manchmal werden gleich zwei bespielt - gerät mit gestoßenen Attacken wie in Atemnot.

    Das Jazzfest Berlin macht sich klein, und will doch groß sein, indem es in die Hinterhöfe und Nischen leuchtet. Zum Teil aus finanziellen Gründen, zum Teil aber auch aus Prinzip. Das Neue, sagt Jazzfest-Leiter Peter Schulze, mischt sich abseits des Rampenlichts.

    So gibt es große Namen nur selten. Im Haus der Festspiele, dem Stammquartier, aber etwa den Posaunisten Ray Anderson. Er tritt auf in einem Trio "BassDrumBone" - wie der Name schon sagt mit Kontrabass und Drums als Partnern.

    Etwas ganz Besonderes hatte Schulze sich ausgedacht für den Auftakt des letzten von ihm programmierten Festivals mit "Chaabi"-Musik. Chaabi ist eine Mischung aus jüdischen und arabischen Elementen, entstanden in der algerischen Kasbah. Eine Art Volksmusik. Sie spiegelt Migration, Integration und Exil.

    Die Juden brachten im 19. Jahrhundert ihre Musik aus Andalusien nach Nordafrika. Dort mischte sie sich mit der Arabiens und hatte ab den 1930er Jahren ihre große Zeit. Sie verschwand, als nach der Unabhängigkeit Algeriens 1962 immer mehr Juden auswanderten, sich zerstreuten meist nach Frankreich.

    Jetzt haben die alten Männer sich wieder neu gefunden, einige junge sind dazu gekommen: Ein Orchester von 37 Männern, keine Frau. Doch eine Frau, eine Dokumentarfilmerin, brachte sie zusammen aufgrund einer Recherche zu dieser verschütteten musikalischen Tradition.

    Eine wilde Mischung aus Gitarren, Mandolinen, Banjos, Kniegeigen, Hackbrett, Klavieren, Schlagwerk und einem Rundgesang, bei dem fast jeder mal Solist mal Chorist sein darf, sieht und hört man da nun auf der Bühne.

    "El Gusto" nennt sich die Gruppe. Ihr Wieder-Zusammenkommen hat etwas von Nostalgie aber auch von Hoffnung. Abdelmadjid Meskoud, ihr führender Kopf, sagt in einer Diskussion am Rande, man wolle mit dieser Neuformierung der Truppe auch protestieren gegen die Politik - eine falsche Politik, die einen Keil treibt zwischen Juden und Arabern.

    "Dass sich mit dem gemeinsamen Musizieren die Verhältnisse umkehren lassen, glaubt niemand. Und die jüdischen Musiker wagen sich auch noch nicht wieder zurück nach Algerien. Man trifft sich in England, in Frankreich. Aber es ist ein Zeichen - wie etwa auch Daniel Barenboims West-Ost-Diwan-Orchester."