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OECD-Bericht zu Migration
"Kräftiger Anstieg in der Beschäftigungsquote"

Die derzeitigen Neuzuwanderer in Deutschland haben einen wesentlich höheren Bildungsstand als die Migranten noch vor wenigen Jahren, sagte OECD-Mitarbeiter Thomas Liebig im Deutschlandfunk. Allerdings arbeiten einem nun veröffentlichen Bericht zufolge viele Einwanderer hierzulande unter ihrem Qualifikationsniveau.

Von Jörg Biesler im Gespräch mit Thomas Liebig |
    Thomas Liebig, Mitarbeiter der OECD
    Thomas Liebig: "Was auffällt in Deutschland, ist, dass drei Viertel der dauerhaften Migration nach Deutschland aus dem Bereich der erweiterten EU kommen." (picture-alliance/ dpa - Klaus-Dietmar Gabbert)
    Jörg Biesler: Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD beobachtet kontinuierlich die Migrationsbewegungen im und in den OECD-Raum. Heute legt sie in Berlin und Paris ihren aktuelle Bericht vor, und darin geht es auch um die Fragen der Integration von Migranten, beispielsweise in den Arbeitsmarkt in Deutschland. Thomas Liebig ist Wissenschaftler bei der OECD und einer der Autoren der Studie. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt, was sich denn verändert hat in der Zuwanderung nach Deutschland durch die weltweiten Flüchtlingsbewegungen, die Eurokrise und das vergleichsweise gute Abschneiden Deutschlands in dieser Krise.
    Thomas Liebig: In der Tat ist Deutschland zum zweitwichtigsten Destinationsland für Migration in der OECD geworden, durch die Krise oder mit der Krise. Noch vor wenigen Jahren hatte Deutschland den siebten, achten Rang inne, und jetzt mittlerweile ist Deutschland zum zweiten Mal in Folge auf dem zweiten Platz, direkt nach den USA, und ist auch das Land, was eine sehr große Dynamik hat im Hinblick auf die neuen Migrationsflüsse. Wir beobachten für das Jahr 2013 in der dauerhaften Zuwanderung – also die Leute, die auch tatsächlich in Deutschland bleiben – zum dritten Mal in Folge einen zweistelligen Anstieg, also in zweistelliger Prozentzahl. Das ist eine Verdopplung gegenüber noch vor wenigen Jahren, und damit der höchste Anstieg in der OECD.
    Biesler: Für Deutschland heißt das, dass mehr Zuwanderer kommen, die dem oft beklagten Fachkräftemangel möglicherweise abhelfen könnten. Welche Zuwanderer kommen denn, woher, und wie sind sie qualifiziert?
    Liebig: Was auffällt in Deutschland, ist, dass drei Viertel der dauerhaften Migration nach Deutschland aus dem Bereich der erweiterten EU kommen, hauptsächlich im Übrigen aus Mittel- und Osteuropa, also nicht so stark aus Südeuropa, mit Polen und Rumänien als den wichtigsten Ursprungsländern der Migration nach Deutschland. Damit verbunden im Übrigen, mit dieser Verstärkung der innereuropäischen Migration nach Deutschland sehen wir auch eine bessere Arbeitsmarktintegration: Die Neuzuwanderer sind wesentlich besser integriert in Bezug auf Beschäftigung, aber auch in Bezug auf Bildungsstand, sie haben einen wesentlich höheren Bildungsstand als noch die Neuzuwanderer vor wenigen Jahren.
    Biesler: Willkommenskultur heißt ein neues Schlagwort. Das Bundeswirtschaftsministerium wirbt dafür aktuell mit einer Werbekampagne. Das hört sich bei Ihnen jetzt so an, als ob das schon ganz gut klappt mit der Integration von Migranten aktuell in Deutschland, auch in den Arbeitsmarkt. Gibt es Felder, wo Verbesserungsbedarf, Verbesserungsmöglichkeiten existieren?
    Hochqualifizierte Zuwanderer arbeiten oft unter ihrem Qualifikationsniveau
    Liebig: In der Tat. Auch wenn wir die Arbeitsmarktsituation von Migranten beobachten, stellen wir fest, dass sich die in keinem anderen Land so stark verbessert hat wie in Deutschland: seit 2007 ein kräftiger Anstieg in der Beschäftigungsquote von Migranten von über fünf Prozentpunkten. Allerdings sehen wir ein Problemfeld, das ist aber kein deutsches Spezifikum, aber es ist ein Punkt, an dem gearbeitet werden muss. Und zwar geht es hier um die Qualifikationen und deren Nutzung gerade auch der hoch qualifizierten Zuwanderer: Nur jeder zweite hoch qualifizierte Zuwanderer in Deutschland ist auch in einer hoch qualifizierten Beschäftigung, der Rest ist entweder nicht in Beschäftigung oder in einem Beruf unterhalb seines oder ihres Qualifikationsniveaus.
    Biesler: Das hat möglicherweise ja auch etwas mit der Anerkennung dieser Qualifikationen zu tun. Wie ist denn da der aktuelle Stand in Deutschland?
    Liebig: Richtig, das Anerkennungsgesetz in Deutschland, das ja seit dem Jahre 2012 existiert und jetzt auch langsam auf Länderebene umgesetzt wird, hat hier sicherlich einen wichtigen Impuls gegeben. Jetzt ist es wichtig, dass auch diese Anerkennungsthematik verbunden wird mit Brückenangeboten und mit berufsspezifischen oder Sprachförderung für diejenigen Migranten, die das erforderlich haben, damit die Qualifikationen von Migranten noch besser genutzt werden können. Im Übrigen aber kann man feststellen, dass das neue Anerkennungsgesetz in Deutschland von vielen Ländern als vorbildlich angesehen wird und auch ... Wir haben ja hier gerade ein Treffen der OECD-Migrations- und Integrationsminister – Frau Nahles wird heute am Abend direkt nach dem Integrationsgipfel zu uns stoßen als Vizevorsitzende dieses Treffens, und dort wird es auch darum gehen: Was können andere Länder lernen von den Erfahrungen, die Deutschland gemacht hat mit der Anerkennung von Qualifikationen und deren Nutzung im Arbeitsmarkt?
    Biesler: Das ist ja schön, dass Deutschland mittlerweile auch Integrationskultur exportieren kann. Es gibt aber ja doch auch eine Meinung hier in Deutschland, die von einigen sehr lautstark vertreten wird: Migranten lebten wesentlich von staatlicher Unterstützung. Das hört man ja immer wieder. Wie sieht das tatsächlich aus? Ist der Anteil arbeitsloser Migranten signifikant höher?
    "Bessere Arbeitsmarktintegration lohnt sich auch für den Fiskus"
    Liebig: Ja. Wir stellen zwar schon fest, dass der Anteil von Migranten, die arbeitslos sind, höher ist als von Nicht-Migranten. Aber was wir generell feststellen, ist, dass die Migranten nicht stärker Sozialleistungen in Anspruch nehmen als die Nicht-Migranten. Das gilt im Übrigen nicht nur für Deutschland, sondern auch für fast alle OECD-Länder. Es lässt sich nicht nachweisen, dass Migranten überproportional stark vom Sozialstaat profitieren im Sinne von, dass sie mehr konsumieren. Allerdings zahlen sie weniger Steuern, weil sie weniger häufig in Beschäftigungen sind und auch weniger häufig in guten Beschäftigungen sind. Deshalb lohnt sich eine bessere Arbeitsmarktintegration auch für den Fiskus.
    Biesler: Da hatten Sie gerade schon darauf hingewiesen, dass die Sprachbarriere da verhältnismäßig hoch ist und es offensichtlich nicht genug Mittel gibt, die abzubauen. Welche Migranten haben denn hauptsächlich Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache? Kann man das eingrenzen im Alter oder in der Herkunft?
    Liebig: Das kann man natürlich ... Generell ist das ein Problem, das Deutschland hat, wie auch andere Länder, beispielsweise die skandinavischen Länder oder Japan, dass es ein relativ kleines Becken hat an Deutschsprachigen im Ausland. Und hier muss mehr getan werden, auch, um die deutsche Sprache in den Ursprungsländern zu fördern und ganz generell die Leute dazu animieren, die nach Deutschland kommen wollen, die deutsche Sprache erst mal gut vorher zu lernen, aber auch für diejenigen, die sich in Deutschland befinden, da hier die berufsspezifische Sprachförderung vor allen Dingen – und die ist relativ kostspielig – weiter auszubauen.
    Biesler: Sie haben es gerade gesagt: Andrea Nahles ist heute auch bei Ihnen in Paris zum Forum Migration der OECD, die Bundesarbeitsministerin, Vizepräsidentin dieses Forums. Was raten Sie außer Sprachkursen noch für die Zukunft? Wo gibt es noch Verbesserungsbedarf?
    Liebig: Also ein wichtiger Problembereich ist natürlich auch die Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die teilweise noch Schwierigkeiten haben, sozusagen den Übergang ins Berufsleben zu schaffen. Die sind zwei Mal häufiger in der Gruppe, die weder in Ausbildung, noch in Beschäftigung sind, zu finden, wobei die Zahlen auch hier für Deutschland wesentlich weniger dramatisch sind als noch in vielen anderen Ländern. Aber natürlich ist jede Person hier eine Person zu viel, die nicht in Ausbildung und Beschäftigung ist, und gerade im Bereich Diskriminierung können wir vielleicht in Deutschland noch auch von anderen Ländern lernen, denn das ist vielleicht ein Bereich, der in Deutschland ein bisschen vernachlässigt worden ist in den letzten Jahren und wo andere Länder doch relativ weitgehende Maßnahmen haben, vor allen Dingen, um die Unternehmen zu überzeugen, dass sich Diversität in den Betrieben für sie lohnt.
    Biesler: Die Diskriminierung habe ich ja vorhin auch angesprochen mit dieser Auffassung, dass Migranten hauptsächlich von staatlicher Unterstützung leben. Sie haben jetzt noch mal betont, dass die Länder, die Einwanderung haben, auch stark davon profitieren, auch wirtschaftlich.
    Liebig: Richtig. Das Land, das die stärkste Zuwanderung hat in den letzten Jahren in der OECD, das ist die Schweiz, das ist auch das Land, das am meisten fiskalisch von den Migranten profitiert hat.
    Biesler: Thomas Liebig war das, Mitautor des "Internationalen Migrationsausblicks 2014" der OECD, der heute veröffentlicht wurde. Danke schön!
    Liebig: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.