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Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
"Unsere Angebote sind für den demokratischen Diskurs wichtig"

Die sehr klare Entscheidung gegen die Abschaffung der Rundfunkgebühren sei eine tolle Rückendeckung für die Kollegen in der Schweiz, sagte Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue im Dlf. Das Argument, dass im Prinzip niemand mehr für die Öffentlich-rechtlichen zahlen wolle, könne nun nicht mehr gelten.

Stefan Raue im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
    Der Intendant des Deutschlandradios, Stefan Raue, aufgenommen am 08.06.2017 nach seiner Wahl in Köln (Nordrhein-Westfalen). Foto: Marius Becker/dpa | Verwendung weltweit
    Der Intendant des Deutschlandradios, Stefan Raue. (Marius Becker/dpa)
    Jörg Münchenberg: Am Ende war es dann doch überraschend deutlich. Über 70 Prozent der Wähler in der Schweiz haben sich am Sonntag gegen eine Abschaffung der Rundfunkgebühren ausgesprochen, so wie es die No-Billag-Wählerinitiative gefordert hatte. Billag wiederum heißt das Unternehmen, das die Gebühren für die öffentlich-rechtlichen in der Schweiz einzieht.
    Über diese gestrige Abstimmung habe ich vor der Sendung mit dem Intendanten des Deutschlandradios, Stefan Raue, gesprochen und ihn zunächst gefragt, wie er die Signalwirkung der gestrigen Entscheidung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt einschätzt.
    Stefan Raue: Zunächst mal, muss ich sagen, freue ich mich natürlich für die Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz. Das ist schon eine tolle Rückendeckung, die die jetzt bekommen haben von den Bürgerinnen und Bürgern, die ja frei entscheiden konnten und das mit über 70 Prozent nun sehr eindeutig gemacht haben. Es hätte ja keiner vermutet, dass es so klar ist.
    Für die Diskussion in den anderen Ländern bedeutet das schon eine gewisse Versachlichung. Das Argument, im Prinzip wollen alle nicht mehr zahlen für das öffentlich-rechtliche und warten nur noch auf das Signal, dieses Argument kann ja nicht mehr gelten. Man kann jetzt auf dieses Schweizer Ergebnis ja hinweisen. Es ändert aber nicht die dringende Notwendigkeit, dass wir auch – und das haben die Schweizer Kollegen ja auch in dieser Art Wahlkampf gemacht und wollen sie auch weiter machen -, dass wir noch stärker als bisher deutlich machen müssen, wofür wir da sind, wie wir arbeiten, wozu wir auch das Geld benötigen, das die Bürgerinnen und Bürger uns geben, und das wird die Aufgabe der Zukunft sein.
    "Auf der einen Seite die Rechtspopulisten und auf der anderen Seite junge Freisinnige"
    Münchenberg: Muss man nicht trotzdem aber auch sagen, Herr Raue, dass das Votum der Wähler auch in der Schweiz jetzt vielleicht doch nicht so deutlich ausgefallen wäre, wenn die Initiatoren dieser No-Billag-Initiative etwas moderater im Ton aufgetreten wären? So ging es ja gleich um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Systems. Das heißt, diese Abstimmung war sehr scharf formuliert. Wenn das Ganze ein bisschen smoother sozusagen ausformuliert worden wäre, dann wäre die Abstimmung vielleicht doch etwas anders ausgefallen?
    Raue: Ehrlich gesagt, kenne ich mich dafür nicht genügend in der Schweiz aus. Ich weiß nur, dass seine Anhänger zu mobilisieren, dass man schon eine gewisse Zuspitzung benötigt. Das haben ja die Befürworter dieser Initiative gegen die SRG auch immer wieder gesagt. Sie haben ja durch diese Mobilisierung ganz unterschiedliche Interessengruppen zusammenbekommen: auf der einen Seite die Rechtspopulisten um Blocher um die SVP und auf der anderen Seite junge Freisinnige, die im Sinne eines freien Marktes argumentiert haben. Das bekommt man ja nur hin, wenn man das schon sehr zugespitzt macht und daraus auch eine Art Bewegung formt.
    Wir haben hier in Deutschland die Situation, dass wir mit der AfD eine Partei haben, die ähnlich emotional argumentiert und die es auch versteht, einen Unmut auch über bestimmte Unzulänglichkeiten in unserem System gleich zur gesamten Systemfrage zu machen. Deswegen müssen wir uns mit so einer Art von Auseinandersetzung auch auseinandersetzen. Ob diese Abstimmung anders ausgegangen wäre, wenn es etwas moderater geführt worden wäre, wage ich nicht zu beurteilen.
    "Es hat sich eine Gratis-Kultur durchgesetzt"
    Münchenberg: Nun muss man vielleicht an dieser Stelle das auch noch mal ganz klar benennen. Sie als Intendant des Deutschlandradios vertreten natürlich die Interessen des Deutschlandradios, das wiederum mein Arbeitgeber ist. Nur, um das auch noch mal ganz klar anzusprechen.
    Sie haben es vorhin angedeutet, Herr Raue. Überall in ganz Europa stehen die Öffentlich-Rechtlichen ja unter Beschuss. Das ist nicht nur in der Schweiz so oder in Deutschland, sondern auch in Großbritannien die BBC etwa, in Österreich gibt es eine heftige Debatte über das System. Warum steckt dieses öffentlich-rechtliche Rundfunksystem derzeit so tief in der Krise?
    Raue: Ja, dafür gibt es viele Gründe. Ein Grund ist einer, der gar nicht die Öffentlich-Rechtlichen exklusiv angeht, sondern der damit zu tun hat, dass viele, gerade jüngere Menschen nur sehr unwillig einsehen wollen, dass für Medien Geld ausgegeben werden muss. Das betrifft die Angebote der Verlage genauso wie es unsere Angebote angeht. Es hat sich eine Gratis-Kultur gewissermaßen durchgesetzt im Netz. Das fing an mit dem angeblich kostenlosen Musik-Streaming, wo keiner eingesehen hat, dass Musiker auch Geld für ihre Leistungen benötigen, und das zieht sich natürlich auch bis zu den publizistischen Werken und Angeboten hin. Das ist das eine.
    Das zweite ist: Es gibt seit vielen Jahren vehemente Diskussionen über die Medien und bei den Öffentlich-Rechtlichen, an denen ja alle sichtbar über den Beitrag beteiligt sind, da spitzt sich das dann besonders zu. Das hat nicht erst mit der Flüchtlingsthematik angefangen; das hat beispielsweise rund um die Erscheinung des Buches von Thilo Sarrazin schon sehr stark begonnen. In den früheren Jahren hat es um die Art der Kriegsberichterstattung vom Golf-Krieg und Jugoslawien-Krieg solche Diskussionen gegeben. Heute haben wir eine so vehemente Auseinandersetzung, weil sich ganz viele Dinge dort zusammentun und weil vieles politisches Unbehagen an vielen Dingen, beispielsweise der Flüchtlingspolitik, sich auch dann auf die zuspitzt und auf die überträgt, die über diese Thematik berichten, …
    "Wir müssen mit diesen Fehlern transparent umgehen"
    Münchenberg: Wobei die Öffentlich-Rechtlichen – das möchte ich an dieser Stelle auch herausstellen – tatsächlich auch Fehler gemacht haben, gerade bei der Flüchtlingskrise, oder als es um die Angriffe auf Frauen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht vor zwei Jahren ging. Da müssen sich ja die Öffentlich-Rechtlichen auch schon an die eigene Nase packen und sagen, da mussten wir erst mal unsere neue Rolle finden, da sind wir vielleicht auch mit bestimmte Informationen erst sehr vorsichtig oder zurückhaltend umgegangen.
    Raue: Letzteres gehört ja zu unserem Job dazu. Aber ich will gar nicht bestreiten, dass wir nicht immer fehlerfrei waren und sind. Das kann gar nicht anders sein. Das ist Menschenwerk, was wir machen, um es mal so zu formulieren. Wir müssen mit diesen Fehlern transparent umgehen. Wir müssen mit ihnen offen diskutieren. Wir können uns da nicht verstecken. Wir müssen so etwas wie eine Art Fehlerkultur vielleicht in manchen Dingen auch noch lernen. Wir dürfen uns nicht als die Abgehobenen, Überheblichen, Unfehlbaren darstellen. Da ist vielleicht manches falschgelaufen in der Vergangenheit. Aber ehrlich gesagt, das weiß jeder Hörer und jede Hörerin aus ihrem eigenen Arbeitsbereich: Fehler passieren. Es kommt häufig oder meistens darauf an, wie man mit diesen Fehlern dann umgeht, was man aus ihnen lernt.
    "Das betrifft alle Dinge, die solidarisch finanziert werden"
    Münchenberg: Herr Raue, Sie haben die AfD angesprochen, sicherlich einer der schärfsten Kritiker. Die sagt zum Beispiel, es gibt ja genug Informationsquellen. Außerdem solle nur jeder das bezahlen, was er auch wirklich konsumiert. Man verweist auch auf das Internet und sagt letztlich, die Öffentlich-Rechtlichen sind gar nicht mehr so richtig zeitgemäß.
    Raue: Ja. Interessanterweise hat es solche Diskussionen ja auch über die solidarische Finanzierung des Gesundheitssystems gegeben, des Rentensystems und anderer Dinge. Mancher, der kein Auto hat, versteht auch nicht, warum seine Abgaben zum Ausbau der Autobahnen genutzt werden. Das betrifft alle Dinge, die solidarisch finanziert werden, wo nicht jeder nur das bekommt, was er einzahlt, und nicht jeder praktisch bestimmen kann mit dem, was er zahlt, was dann mit dem Geld genau passiert. Diese Diskussionen gibt es in allen politischen Bereichen. Die treffen auch die Öffentlich-Rechtlichen.
    Dieses "System", dieses Angebot, was wir Öffentlich-Rechtliche gerade hier in Deutschland machen, gerade das Angebot auch von Deutschlandradio mit seinen drei Programmen, ist nicht über Werbung, nicht über den freien Markt zu finanzieren. Das lässt sich nur solidarisch finanzieren von allen Bürgerinnen und Bürgern – mit Auslandsberichterstattung, mit Wissenschaftsberichterstattung, mit Hintergrundberichterstattung. Das sind alles aufwendige Dinge, die wir dort machen und anbieten. Das lässt sich nicht mal einfach durch ein Spendensystem oder ein Pay-System regeln, sondern dafür brauchen wir die solidarische Finanzierung durch alle Bürgerinnen und Bürger.
    "Wir sind Dienstleister"
    Münchenberg: … die aber – so sagen ja die Kritiker – sehr teuer ist. Es gibt in Deutschland über 60 Rundfunkprogramme. Die Verteidiger des Systems preisen die Vielfalt; die Kritiker meinen, das ist ein teures Überangebot. Sehen Sie an dieser Stelle keinen Reformbedarf?
    Raue: Es gibt zwei Auftraggeber, die wir haben. Das eine sind die Bundesländer. Die Bundesländer sind für Medienangebote der Öffentlich-Rechtlichen zuständig. Es gibt über sie einen Auftrag und es gibt einen Auftrag der Hörerinnen und Hörer, die uns jeden Tag hören oder sehen und nutzen. Wir sind Dienstleister. Wir haben diesem Auftrag zu folgen. Wir erfüllen das so gut wie es geht und mit großem Engagement und heißem Herzen. Aber den Auftrag, den definieren wir nicht. Insofern ist die Entscheidung, ein Programm einzustellen, zum einen eine, die beispielsweise die Länder treffen könnten, die sagen können, diesen Auftrag wollen wir so nicht mehr erfüllt haben von den Öffentlich-Rechtlichen, oder die Hörer und Hörerinnen und die Nutzer nutzen unsere Angebote nicht.
    Das kann ich aber bei den Angeboten, die Sie eben erwähnt haben, nicht sehen. Wir erheben ja regelmäßig auch Umfragen und messen, wer uns da hört, wer uns da sieht, wie unsere Programme geschätzt werden, und die letzten Umfragen in den letzten Monaten und Jahren zeigen eigentlich deutlich, dass immer mehr Menschen sehr deutlich wissen, was sie an unseren Angeboten haben, und sie auch weiter nutzen und nutzen wollen. Insofern hielte ich es für vermessen, wenn ich sage, ich habe zwar Hörer und Hörerinnen für meine Programme, aber ich schalte um und verzichte auf meine Arbeit und mein Angebot und sage nun, das ist es dann gewesen.
    "Den Auftrag nicht nur unter dem ökonomischen Gesichtspunkt diskutieren"
    Münchenberg: Ist das nicht ein bisschen wohlfeil von der Politik? Die sagt ja, die Anstalten müssen sparen. Die haben jetzt auch Sparvorschläge vorgelegt. Die KEF – das ist die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten – hat ja gesagt, das reicht noch nicht. Auch die Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, hat am Sonntag jetzt noch einmal festgestellt und gesagt, die Anstalten müssten Doppelstrukturen abbauen. Auf der einen Seite sagt die Politik, ihr müsst mehr sparen, aber auf der anderen Seite scheut auch die Politik vor unangenehmen Entscheidungen zurück, wenn es zum Beispiel um die Zahl der Rundfunksender geht in Deutschland.
    Raue: Zum einen kann ich in diesem Fall jetzt wirklich nur für das Deutschlandradio mit seinen drei Programmen sprechen. Und die Doppelstrukturen, die Frau Dreyer dort anmahnt, dass sie angegangen werden müssen, die kann ich bei uns nicht erkennen. Wir beteiligen uns in hohem Maße am Auslandskorrespondenten-Netz der ARD und von uns. Große Teile unserer Verwaltung realisieren wir mit Partnern zusammen: unseren Einkauf mit dem NDR, unsere Personal- und Honorarabwicklung über den Westdeutschen Rundfunk. Wir haben so gut es geht – wir sind ja 1994 gegründet worden – auf eigene Strukturen verzichtet, bis auf die Kernbereiche, die zu uns weiterhin gehören müssen. Wir haben schon sehr viel dort getan.
    Worüber ich, sagen wir mal, sehr froh wäre, wäre, wenn wir in dieser Diskussion auch vor dem gesamten Verfahren, was den Rundfunkbeitrag in den nächsten Jahren angeht, uns mit den Ländern und mit vielen gesellschaftlich relevanten Gruppen zusammensetzen würden und noch mal stärker darüber reden, welcher Auftrag denn für uns Öffentlich-Rechtliche in den nächsten Jahren in besonderer Weise wichtig wird und wo wir unsere Schwerpunkte besonders bilden sollten. Wir haben eine Menge Vorschläge dafür, aber unter Umständen haben viele andere Gruppen ganz andere Vorstellungen. In diesen Dialog würde ich gerne eintreten. Ich möchte eigentlich nicht den Auftrag von uns Öffentlich-Rechtlichen nur unter dem ökonomischen Gesichtspunkt diskutieren. Ich persönlich bin der Meinung, dass unsere Angebote für das gesamte demokratische System, für den demokratischen Diskurs wichtig sind, und das ist nicht nur eine Sache der Ökonomie, sondern das ist auch eine Sache des inneren Sinnes.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.