Silvia Engels: Wir haben es schon erwähnt in dieser Sendung. Heute starten die Tarifverhandlungen für den Öffentlichen Dienst in den Ländern – mit Ausnahme von Hessen. Um die Einkommen von knapp einer Million Beschäftigten geht es direkt, indirekt auch um gut zwei Millionen Beamte und Pensionäre. Verdi geht mit einer Forderung von sechs Prozent in die Runde. Die Frage an Birgid Becker aus der Wirtschaftsredaktion – wie gut sind denn die Argumente, die die Arbeitnehmervertreter anführen können?
Birgid Becker: Ziemlich gut, muss man sagen. Es gibt Rückenwind aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Da ist der bereits vorliegende Abschluss für den Öffentlichen Dienst beim Bund und bei den Kommunen. Ein recht satter Abschluss mit rund 7,5 Prozent bei allerdings ziemlich langer Laufzeit. Da können die Länder nicht völlig zurückfallen.
Dann das große Ganze: Die öffentlichen Kassen sind längst nicht mehr leer wie früher. Dazu kommt die grundsätzliche Debatte darum, dass in Deutschland die Löhne steigen müssen, um die immer wieder kritisierte Unwucht in der deutschen Handelsbilanz zurechtzubiegen.
Konkurrenz mit der freien Wirtschaft um Fachkräfte nimmt zu
Und um diese Liste der Rückenwind-Argumente für die Gewerkschaften weiterzuführen: Es gibt Pläne im Bundesinnenministerium zur Reform der Beamtenbesoldung, die an vielen Stellen auf eine Besserstellung hinauslaufen sollen. Dieser Plan soll im Frühjahr ins Gesetzgebungsverfahren gehen. Auch das setzt nicht direkt, aber mittelbar die Länder unter Druck.
Dann noch einmal ganz grundsätzlich: Die Gewerkschaften im Öffentlichen Dienst argumentieren seit Jahren, sie müssten mithalten können mit den Beschäftigten in Betrieben, sonst gebe es bald keinen Nachwuchs mehr für den Öffentlichen Dienst. Mittlerweile, bei wirklich weniger Berufsanfängern und bei einer guten Beschäftigungslage, zieht das Argument immer mehr. Auch innerhalb des Öffentlichen Dienstes müssen die Länder sehen, dass sie nicht hinter Bund und Kommunen zurückfallen.
Zusammengefasst: Wenn eine Seite argumentativ in der Defensive ist, dann sind das eher nicht die Arbeitnehmer.
In einigen Kitas sind Streiks nicht ausgeschlossen
Engels: Trotzdem gibt es aber schon wieder die Sorge, auch diese Tarifrunde könnte wieder zu Arbeitsniederlegungen führen, die man wirklich spürt – in Schulen, in den Kitas. Ist die Sorge verfrüht?
Becker: Die Sorge speist sich wohl einfach aus schlechter Erfahrung. Die Hemmschwelle für Verdi, zu Warnstreiks aufzurufen, ist nicht sonderlich hoch.
Was die Schulen angeht: Das ist natürlich in den Länderrunden ein sensibler Punkt, denn die angestellten Lehrer können ja die Arbeit niederlegen. Was Warnstreiks in Kitas angeht, ist die Situation komplizierter. Kitas werden ja oft von den Kommunen betrieben, um die es in dieser Runde nicht geht. Allenfalls bei den Stadtstaaten stellt sich die Kita-Frage. Aber: Hamburg und Bremen haben ihre Kitas an eine Vereinskonstruktion übertragen. Damit gilt der kommunale Tarifvertrag.
In Berlin allerdings ist das nicht so, dort können städtische Kitas betroffen sein. Ansonsten sind die Kitas nur involviert in dieser Runde, wenn sie an die Hochschulen angedockt sind, Uni-Kitas also. Die Hochschulen schließlich sind Ländersache. Auch wenn Kitas an normale Schulen angeschlossen sind, wie das in Ostdeutschland häufiger der Fall ist, könnten sie von Arbeitsniederlegungen in dieser Tarifrunde betroffen sein.
Arbeitgeberseite zeigt sich verhandlungswillig
Engels: Und wie ist die Haltung der Arbeitgebervertreter?
Becker: Verhandlungsführer der Arbeitgeber ist der SPD-Politiker und Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz, der zwar die Forderung der Gewerkschaften als zu hoch bezeichnet, aber zugleich die Hoffnung geäußert hat, es könne im vorgesehenen Zeitfenster bis Anfang März zu einer Einigung kommen.
Dass es bis dahin ganz ohne Warnstreiks geht, das ist nicht unbedingt zu erwarten. Warnstreiks haben ja immer auch dramaturgische Gründe.
Interessant ist noch: In dieser Runde soll es nach dem Willen von Verdi speziell für Krankenpflegerinnen und Pfleger ein Extra-Plus geben. Parallel ist aber das sogenannte Pflegepersonal-Stärkungsgesetz in Kraft getreten, das vorsieht, dass Tarifsteigerungen vollständig von den Krankenkassen übernommen werden. An dieser Stelle dürften die Arbeitgeber in den Ländern also wenig Widerstand leisten.