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Öffentlichkeit statt Privatsphäre im Internet

Durch die technischen Entwicklungen wird es immer schwieriger, persönliche Daten und Informationen über sich selbst geheim zu halten. Anhänger der Post-Privacy-Bewegung sind der Überzeugung, dass wir in einer Zeit jenseits des Privaten leben.

Von Stefan Römermann |
    "Ich persönlich bin schon sehr, sehr öffentlich. Meine Einkommensteuererklärung ist öffentlich, das ist für viele immer ganz irritierend. Jeder kann sehen wo ich mich gerade aufhalte. Mein Facebook-Profil ist öffentlich, man kann da alles drin sehen, was da stattfindet. Man kann wirklich, wirklich viel über mich lernen."

    Nein, um den Datenschutz macht sich der Informatiker Jürgen Geuter aus Oldenburg keine Sorgen. Er ist einer der Organisatoren der Spackeriade-Konferenz, die am Wochenende in Berlin stattfand. Der Name ist dabei eine Art Trotzreaktion: Die Teilnehmer wurden ob ihrer doch sehr eigenwilligen Vorstellung von Privatheit, Datenschutz und Öffentlichkeit gelegentlich abfällig als Post-Privacy-Spackos bezeichnet nicht zuletzt von Mitgliedern des Chaos Computer Clubs, kurz CCC.

    "Und dann sagten wir: Gut, dann heißen wir halt jetzt so. Und ich meine: Es musste halt irgend einen Namen kriegen, und da können wir auch so einen nehmen. Wenn der CCC uns schon tauft, dann können wir den auch mitnehmen."

    Bei der Konferenz begrüßten sich die Teilnehmer denn auch liebevoll als Spacken – die Gruppe selbst bezeichnet sich als "Die datenschutzkritische Spackeria". Ihre Botschaft: Durch die technische Entwicklung wird es immer schwieriger, persönliche Daten und Informationen über sich selbst wirklich privat und geheim zu halten, denn in den elektronischen Netzen können an jedem Netzknotenpunkt Spione und Mithörer lauern. Datenschutz sei deshalb ein Kampf gegen Windmühlen, findet Buchautor Christian Heller, einer der Vordenker der Bewegung.

    "Man kann natürlich trotzdem versuchen, so viel wie möglich privat zu halten, mit einem Aufwand verbunden. Meines Erachtens lohnt es sich aber auch, einfach zu üben, mit mehr Öffentlichkeit klar zu kommen. Und um das zu tun, muss man, denke ich schon, das eine oder andere kleinere Experiment wagen."

    Heller versucht, das konsequent zu leben – per Twitter und über seine eigene Webseite.

    "Da protokolliere ich beispielsweise öffentlich meinen Tagesablauf: Also wann ich schlafe, wann ich die Zähne putze. Wann ich Sex habe, oder auch was von meinem Konto abgeht an Miete, Versicherungen. Solche Dinge kann man über mich im Netz erfahren."

    Wenn es denn tatsächlich überhaupt jemanden interessiert. Denn die meisten Informationen, die von den Datenschutzkritikern ins Netz gestellt werden, sind natürlich reichlich banal und vor allem für Außenstehende oft ziemlich langweilig. Datenschützer warnen trotzdem vor dem Daten-Striptease im Netz. Schließlich können auch scheinbar harmlose Fotos oder Informationen von Regierungen, meinem Arbeitgeber oder anderen Unternehmen, Kriminellen oder auch vermeintlichen Freunden gegen mich verwendet werden. Auch Konferenzorganisator Geuter warnt potenzielle Nachahmer. Er und viele seiner Mitstreiter seien in einer privilegierten Position: Als gut verdienender, männlicher, heterosexueller Akademiker müsse er selbst im Alltag schließlich kaum Diskriminierung fürchten, so Geuter.

    "Andere Leute können das vielleicht nicht tun. Weil ihre Sexualität nicht geduldet wird, weil sie vielleicht eine Frau sind, und Frauen sind in unserer Gesellschaft immer noch nicht gleichgestellt. Ich sehe mich sozusagen als eine Art Speerspitze. Deshalb gehe ich so weit. Das ist nicht so, dass ich das allen raten würde."

    Schließlich droht beim freiwilligen oder gezwungenem Verzicht auf Privatsphäre noch eine weitere Gefahr: Wer weiß, dass er beobachtet wird, neigt dazu in einer Art vorauseilendem Gehorsam sein Verhalten anzupassen. Beispielsweise an die in der Gesellschaft vorherrschenden Normen oder die Wünsche und Vorstellungen meiner Familie oder meines Arbeitgebers. Erste Anzeichen solcher Effekte hat beispielsweise der Berliner Internet-Künstler Johannes Osterhoff an sich beobachtet.

    "Dadurch, dass ich mein Duschverhalten teile oder meinen Bierkonsum, hat sich da natürlich schon eine sehr bewusste Nutzung von Bier und der Dusche eingestellt. Das heißt konkret: Ich dusche regelmäßiger und trinke eigentlich weniger Bier."

    Zugegeben: Das klingt fast schon lobenswert. Doch dramatisch werden solche Effekte, wenn ich aus Angst vor Konsequenzen meine wirkliche Meinung nicht mehr sage oder bestimmte Webseiten nicht mehr besuche. Schließlich könnte ja auch beispielsweise mein Chef mitlesen.