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Oehme: Handwerk bietet Führungspositionen ohne Studium

Wer im Handwerk einen Meister macht, hat sich auch als Unternehmer qualifiziert, sagt Andreas Oehme. Der Geschäftsführer beim Westdeutschen Handwerkskammertag kritisiert, dass Gymnasien eine handwerksferne Haltung haben und davon ausgehen, dass Gymnasiasten studieren.

Andreas Oehme im Gespräch mit Ulrike Burgwinkel |
    Ulrike Burgwinkel: "Akademisierungswahn" – Ex-Staatsminister Julian Nida-Rümelin brachte das Schlagwort und sich selbst ins Gespräch am Wochenende und wurde postwendend harsch abgewatscht, besonders von seiner SPD.Parteikollegen. Nun fehlen aber Studienplätze an allen Ecken und Enden. Das haben wir gerade noch bei Campus und Karriere gehört. Und wer sagt, dass man mit Abitur unbedingt studieren muss? Helikopter-Eltern natürlich, die ihre Sprösslinge bis dorthin gebracht haben. Aber sonst?
    Andreas Oehme ist Geschäftsführer beim Westdeutschen Handwerkskammertag. Und daher lautet sein Vorschlag: Schock deine Eltern – werde Handwerker! Guten Tag, Herr Oehme!

    Andreas Oehme: Ja, schönen guten Tag!

    Burgwinkel: Herr Oehme, was sind denn Ihre Argumente pro Handwerk?

    Oehme: Wir haben beste Perspektiven, Fach- und Führungskraft zu werden im Handwerk, wenn man mit Abitur eine Ausbildung beginnt. Und es gibt viele tolle Angebote, es gibt erst mal Verkürzungsmöglichkeiten. Viele fragen ja, was kann man Besonderes machen. Und ich glaube, die guten Perspektiven sind da, weil man schnell eine Aufstiegsfortbildung machen kann und dann Führungskraft wird. Sehr viele Betriebe haben, die zur Übernahme anstehen, man kann sich selbstständig machen. Das sind halt Perspektiven.

    Und jetzt haben wir auch den deutschen Qualifikationsrahmen mit der Einstufung der Qualifikation, da haben wir ja in der beruflichen Bildung im Prinzip kann man die gleichen Qualifikationsstufen wie mit einem Hochschulabschluss erreichen. Das sind so die grundsätzlichen Dinge, die wir im Handwerk haben. Und ich glaube, das Handwerk ist so vielfältig. Und wenn Sie mit vielen Handwerkerinnen und Handwerkern sprechen, dann sehen Sie, was die für eine Leidenschaft mitbringen, wie sie glücklich sind und wie sie den richtigen Beruf für sich gefunden haben.

    Burgwinkel: Die Frage ist nur, Herr Oehme, und das wird ja oft und immer wieder in den Raum gestellt: Was passiert mit Haupt- und Realschülern, wenn die Abiturienten ihnen die Ausbildungsplätze wegnehmen?

    Oehme: Ich glaube nicht, dass es ums Wegnehmen geht. Wir haben ein Riesenspektrum, über 100 Berufe bilden die Betriebe aus, und so, wie die Wirtschaft vielfältig ist, sind die Schulabgänger vielfältig. Und ich sag mal, wir brauchen Schulabgänger aus allen Schulformen, aus allen sozialen Schichten. Insofern ist da auch Platz für alle Abiturienten. Und ich glaube nicht, dass der eine dem anderen den Platz wegnimmt.

    Burgwinkel: Aber andererseits: Alle Abiturienten können Sie auch nicht brauchen, denn nicht jeder Abiturient, sagen wir mal, der jetzt ein schlechtes Abi hat, ist geeignet für einen Handwerksberuf. Da stehen bestimmt andere Dinge, die …

    Oehme: Ja, das ist wohl wahr. Also ich sag mal, man muss es wollen, man muss die Begabung haben, in Anführungszeichen, ich sag mal, man kann viele Berufe lernen, aber das geht nur mit dem Interesse und der Begeisterung. Insofern sind auch Abiturienten nicht bessere Handwerkerinnen und Handwerker als Schüler mit anderem Schulabschluss. Da dürfen wir einfach nicht, wie es im Moment so ist – der Titel Akademikerwahn ja ganz nett formuliert – da müssen alle Optionen erst mal offen sein, wenn man sich orientiert. Das ist ja auch noch eine große Baustelle, wie Schule es hinkriegt, zur Berufsorientierung der Schülerinnen und Schüler beizutragen.

    Und da merken wir halt, viele Gymnasien sind so eingestellt, dass man sagt, na ja, mit dem Wirtschaftsbereich Handwerk brauchen wir gar nicht sprechen, denn unsere Schülerinnen und Schüler studieren alle. So, und ich glaube, da ist die Realität inzwischen eine andere. Im Handwerk in NRW haben wir zwölfeinhalb Prozent mit Abitur und Fachhochschulreife. Ich glaube, im Dualen System insgesamt sind 31 oder 32 Prozent der Auszubildenden haben Abitur oder Fachhochschulreife. Insofern ist die Realität schon so ein bisschen anders als das Bild in manchen Köpfen.

    Burgwinkel: Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass das nach Sparten unterschiedlich ist. Wenn wir mal Bäcker oder Maurer oder so was nehmen, fürchte ich, da sind die Quoten anders als beim Goldschmied oder so was.

    Oehme: Es ist klar. Also, ich würde sagen, Abiturienten haben wir in nahezu jedem Beruf, aber natürlich, die Quoten, höhere Quoten haben wir sicherlich in den Gesundheitsberufen, also Gesundheitshandwerken, Augenoptiker, Hörgeräteakustiker, Orthopädietechniker, Zahntechniker. Und wir sagen auch nicht, jeder Beruf ist für jeden was. Und insofern, glaube ich, sind ein paar Berufe prädestiniert, nämlich die großen, auch technischen Berufe, die wir neben den Gesundheitsberufen haben. Elektroniker, Anlagenmechaniker, Sanitär, Heizung, Klima, Feinwerkmechaniker. Dann haben wir die Kältetechnik, die händeringend Leute braucht, weil es sehr physikalisch-mathematisch ist, wo die Betriebe sagen, na ja, viele, die sich bei uns bewerben, die kommen einfach nie zum Ausbildungsabschluss, weil sie das Potenzial nicht mitbringen.

    Burgwinkel: Andererseits, wenn Sie ein sehr großes Potenzial haben, auch die Ausbildung abschließen im Betrieb, besteht ja immer die Gefahr bei den Ex-Abiturienten, dass sie dann noch ein Studium dranhängen, und dann sind sie weg.

    Oehme: Das ist keine Gefahr. Also, das würde ich erst mal nicht als Gefahr sehen. Dem Handwerk sind auch viele Menschen lieb, die in öffentlichen Verwaltungen, in Architekturbüros und Ähnlichem arbeiten, die wissen, wie im Handwerk gearbeitet wird, weil man dann Hand in Hand viel besser zusammenarbeitet.

    Aber unsere Erfahrung ist auch, dass wenn die Menschen für sich eine passende Perspektive finden, müssen sie gar nicht studieren. Sie können genauso sozusagen die berufliche Aufstiegsfortbildung durchlaufen und können auch damit gleiche Posten besetzen. Also, wer einen Meister macht, wer dann einen Betriebswirt macht, ist sozusagen als Führungskraft, als Unternehmer qualifiziert. Der wird vielleicht in Zukunft sogar noch mehr Mangelware sein: Die OECD hat ja so ein bisschen in der neuesten Studie darauf hingewiesen, dass ein Wirtschaftswachstum, wenn wir nur noch Akademiker haben, in Deutschland stark gefährdet ist, weil dann nämlich die beruflichen Fach- und Führungskräfte fehlen.

    Also, das ist auch so ein ganz spannender Zusammenhang. Das hilft dem Einzelnen nicht, zu sagen, jetzt gehe ich deshalb ins Handwerk, aber ich glaube einfach, wir müssen die Optionen deutlicher öffnen.

    Burgwinkel: Eine Menge Argumente pro Handwerk. Andreas Oehme war das, Geschäftsführer beim Westdeutschen Handwerkskammertag. Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.