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Ökodorf in Brandenburg
Raus aus der Großstadt

Die "Vegetarische Obstbausiedlung Eden" nahe Oranienburg gibt es schon seit 1893, einst von Vegetariern aus Berlin gegründet. Die Eden-Butter stand auf dem Frühstückstisch von Adolf Hitler, zu DDR-Zeiten kauften die staatseigenen Handelsbetriebe hier Süßmost ein. Heute ist Eden vor allem eine Wohnsiedlung.

von Peter Kaiser |
    Reife, rote Bio-Äpfel hängen an einem Baum auf einer Obstwiese in Bad Vilbel, bei Frankfurt Main, am 16.09.2012
    Edener-Most ist der "Lebenssaft" der Kolonie, die auch zu DDR-Zeiten ihren sogenannten Süßmost produzierte. (picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
    "Die Bewohner dieser Siedlung meiden den Alkohol und den Tabak. Besucher werden gebeten, nicht zu rauchen, damit der Jugend kein schlechtes Beispiel gegeben wird."
    "Denn wie können wir verlangen, dass unsere Kinder die Laster der Kultur ablegen, wenn wir als Erwachsene nicht als Beispiel vorangehen."
    Der Vorstand der Obstbaukolonie Eden.
    Der reformpädagogische Hinweis sitzt. Und zwar seit über einem Jahrhundert, bis heute. Wie er sitzt, war kürzlich nachzuprüfen auf einem Fest der "Eden – Gemeinnützige Obstbau-Siedlung e.G.", die nahe Oranienburg ist. Jemand mit Zigarette, Bier, Schnaps oder Wein war nicht zu sehen. Dafür gab es Andrang bei der Pflanzentauschbörse mit Edener Bäumchen und Ziehpflanzen. Daneben das Übliche solcher Feste: Honigstände, Wurststände, Käse, Landbrot, Geräuchertes. Vor allem gab es den berühmten Edener Most, der mehr ist als nur flüssiges Obst. Der Edener-Most ist der "Lebenssaft" der Kolonie. Seit über 120 Jahren, sagt der Vorstandsvorsitzende Rainer Gülle, und geht voran ins hauseigene Museum mit Ausstellungsstücken aus der Edengeschichte.
    Vom eigenen Grund und Boden sich gesund ernähren
    "Sie sehen, hier unten ist ein Sieb drinne, und hier vorne aus der Tülle kommen dann die Tresterbestandteile raus." Dann zeigt Rainer Gülle in eine Ecke: "Da haben wir noch mal von Eden - Oranienburg eine große Auswahl von Etiketten. Kirschsaft, Möhrensaft, alles querbeet, Traubensaft. Alles, was es gab."
    Doch langsam. Was ist Eden, was ist - damals und heute - neu-deutsch: das Alleinstellungsmerkmal? Rainer Gülle holt aus: "Eden ist ein ganz spannendes Projekt von Leuten, die gesagt haben, wir wollen raus aus der Großstadt, wir wollen vom eigenen Grund und Boden uns gesund ernähren, und unsere Kinder gesund groß werden lassen. Das war 1893, da waren die 68er lange noch nicht geboren.
    1893, Wilhelm II., Kaiserzeit, preußisches Soldatentum, Deutschland war Kolonialmacht. Doch zum Gepolter und Säbelgerassel mischten sich andere Töne, fernöstliche. Yoga und Meditation tauchten in Zirkeln auf, Rudolf Steiner entwickelte die Anthroposophie, und immer mehr Menschen bekannten sich zur Idee der Lebensreform, deren Kernidee sich gegen die Industrialisierung wendete, gegen Materialismus und Urbanismus.
    Angestrebt wurde ein "Naturzustand" mit gesunder Nahrung, gesundem Boden, gesunder Gemeinschaft. So sahen es im Mai 1893 achtzehn Lebensreformer, als sie die "Vegetarische Obstbaukolonie Eden" hier nahe Oranienburg gründeten. Aber eine Obstbaukolonie zu gründen, und eine zu betreiben, sind oft zwei verschiedene Dinge.
    "Es war unter den ersten, die hier rauskamen, ein einziger Gärtner dabei. Alles andere waren Handwerker, Gewerbetreibende, und Wissenschaftler."
    Auch Niedrigverdienende sollten ins Paradies
    200 Morgen Land kauften die 18, und gründeten eine Genossenschaft, die den Boden als Erbpacht an Siedler zu niedrigem Zins weitergab. Denn auch Niedrigverdienende sollten ins Paradies.
    "Hier gab's eigentlich alles. Das ganze Spektrum einer Lebensphilosophie war hier zu finden. Das war schon ein lebender Organismus, und das ist auch heute ein lebender Organismus."
    Sieht man. Im Cafe etwa, das zum Fest gut besucht war, saßen junge Familien neben älteren Eden-Bewohnern, wie etwa der 91-jährigen Ingeborg Hoffmeister.
    "Also Eden bedeutet für mich eigentlich Heimat. 1935, eine gute, eine sehr schöne Gemeinschaft, die mich sehr angezogen hat. Es wurden Frühlingsfeste, bei besserem Wetter, gefeiert, dann Herbstfest, es war Volkstanzkreis, der mir sehr gefallen hat als Kind, also wirklich eine schöne Gemeinschaft. Und als dann nach Kriegsende viele von meinen Altersgenossen, die meisten, in den Westen gegangen sind, ich konnte mich nicht trennen, ich bin hier geblieben."
    Und daneben überlegt die junge Lehrerin Anette aus Kreuzberg: Es wirkt auf mich auch ein bisschen spießig natürlich so, aus heutiger Sicht, aber es hat auch etwas Erfrischendes, weil es nicht so durchgestylt ist, es ist hier alles so im Verborgenen, und ganz unspektakulär."
    Und dann schlägt die attraktive Grundschullehrerin einen Bogen zu den Alt 68-ern von Rainer Gülle: "Das ist natürlich auch etwas, was mir sehr nahe ist, weil ich auch so aus der Richtung komme, so 80-er Jahre, Umweltschutzbewegung, ist ja im Grunde auch 'ne Reformbewegung gewesen. Man versucht halt, sein ganzes Leben auf den Kopf zu stellen, nach den Idealen auszurichten. In den Beziehungen, aber auch beim Essen, bei der Kleidung, wir haben uns Spinnräder gekauft, wir hatten Webstühle, von daher fühle ich mich den Gedanken sehr nahe."
    Das Eden-"Ökodorf" des 19. Jahrhunderts umfasste zur Gründungszeit 80 Gärten zu je 2800 Quadratmetern Fläche. Und weil der Boden sandig und karg war, spuckten die Hippie-Altvorderen in die Hände, ließen tonnenweise Pferdeäpfel aus den Berliner Straßen herankarren, und pflanzten Obstbäume. Das war so erfolgreich, dass schon 1914 neunzig größere und kleinere Einfamilienhäuser, viele in massiver Bauweise mit roten Ziegeldächern, die Kolonie Eden bildeten. Doch damit nicht genug. Damals wie heute gab und gibt es fast alles hier, was man zum Leben braucht.
    "Wir haben einen Kindergarten, wir haben eine freie Schule, eine Physiotherapie, wir haben eine Zahnarztpraxis, wir haben eine Arztpraxis, wir haben eine Ausstellung, wir haben ein Archiv, wir haben Sportgruppen."
    Gemeinschaft, das Solidarische, auch ökologisch
    Die Schulleiterin Andrea Mischke von der Edener Grundschule sagt, dass noch heute viel vom Reformgedanken an die Grundschüler weitergegeben wird.
    "Der alte Edener Gedanke hat viele Bausteine, die für uns auch passen, eben Gemeinschaft, das Solidarische, auch ökologisch."
    Vor allem wurde die "Vegetarische Obstbaukolonie Eden" bekannt durch die Säfte, die aus dem Obst gemacht wurden, das in den 90 Gärten in Hülle und Fülle gedieh. Auf dem Koloniegelände entstand der EDEN Süßmostbetrieb, der bis zu 160 Menschen Arbeit gab. Nach dem Saft folgten weitere Erzeugnisse: Konfitüren, Gemüsesäfte, Marmeladen, und in den 1920, 30er Jahren...
    Margarine an sich gab's schon früher, aber die hatte chemische Zusätze, da waren die Fette ungetestet, und unser Dr. Landmann hat sich drangemacht und hat gesagt, es müsste doch die Möglichkeit geben, ein tierfettfreies Streichfett zu erzeugen, ohne chemische Einflüsse, ohne Umesterung von Fetten, und er hat sehr lange experimentiert, bis er ein entsprechendes Streichfett auf dem Tisch hatte, und dieses Streichfett gibt's praktisch heute noch, in verschiedenen Varianten, die Eden-Margarine ist im Reformhaus nach wie vor noch zu bekommen. Aber wird sie hier noch produziert?
    "Sie ist hier nie produziert worden. Damals wurde sie in Duisburg hergestellt, unter dem Namen zunächst mal Eden-Butter, weil man gesagt hat, dieser Qualitätsanspruch, der da drin steckt, das ist wie Butter. Aber die Molkereiindustrie hat gesagt, Butter kann es nicht sein, da ist keine Kuh beteiligt."
    So also entstand die berühmte "Eden-Butter", die auch beim Vegetarier Adolf Hitler auf dem Frühstückstisch stand.
    "Ja, gut, dafür müssen wir uns auch nicht entschuldigen. Wir müssen uns auch nicht dafür entschuldigen, dass der Führer Vegetarier war. Es gab viel mehr Vegetarier, die gegen den Führer waren. Und man muss auch sagen, Eden wird ganz gerne mal gefragt, waren die Lebensreformer dem Völkischen, und damit den Nazis besonders nahe. Ich kann sagen nein, also aus all dem, was ich bis jetzt hier kenne, kann ich sagen:
    "Das Völkische hier nie 'ne vordringliche Rolle gespielt"
    "Eden war nicht brauner und nicht schwärzer als andere Siedlungen auch. Es geht um Boden, ja. Aber insofern hat das Völkische hier nie 'ne vordringliche Rolle gespielt. Und selbst der Ortsgruppenführer hier in Eden, der Ortsgruppenführer NSDAP, der war mehr Edener als Nazi. Der hat hier über einige Edener, was ich bisher rauslesen konnte, seine Hände schützend gehalten. Sowohl über die Kommunistin Anna Rubener mit ihrer Theatergruppe, als auch über jüdische Mitbürger."
    Im Museum antwortet der einstige Edener Peter Engel mit Tränen in den Augen auf die Frage, wie es zur Kriegszeit in Eden war: "Scheiße. Es war Krieg, es waren Vergewaltigungen, Mutter war alleine, drei Kinder, wir haben mehr gehungert, als uns gut getan hat."
    Kriegsende, und dann die DDR. Da produzierten die Edener... "Um damit auch Versorgungslücken auf dem Markt zu decken. Auch für Konsum und HO, die staatlichen Handelsorganisationen, die haben hier aufgekauft, ganz offiziell, und damit haben die Edener ihr Einkommen aufgebessert."
    Aber wie überlebt man als Genossenschaft bei Genossen? "Als Genossenschaft überlebt man bei Genossen, wenn man auch Genossen in der Genossenschaft hat."
    Nach der Wende kam eine zweite Wende, die Treuhand wickelte die Süßmosterei ab, heute ist die "Vegetarische Obstbau-Kolonie Eden" vor allem eine Wohnsiedlung. Doch was ist mit dem alten Reformgedanken: gesunde Nahrung, gesunder Boden, Bewegung in der Natur? Gilt das noch, wenn man hier siedeln möchte? Müsste ich ein Reformgedanken-Fan sein?
    "Dann reden wir miteinander und horchen, welche Lebensvorstellungen, welche Lebensphilosophie Sie so haben, und dann sagen wir, kann passen oder kann nicht passen. Letzteres passiert auch. Also wir nehmen nicht unterschiedslos jeden hier auf, der sich hier vorstellt und sagt, ich hätte hier gern ein Grundstück."