Landwirt Markus Gräbling, Anfang 50, groß, kräftig, blaue Arbeitslatzhose, kniet auf einem Acker und schiebt vorsichtig etwas Erde weg.
"Da sieht man jetzt die Keimlinge. Sojabohne ist eine Legumiose, Stickstoffsammler."
Die Bohnen binden Stickstoff im Boden, das ist gut für die Umwelt. Darum darf Gräbling sie anbauen und sich diesen Acker gleichzeitig als Öko-Vorrangfläche anerkennen lassen. Fünf Prozent seiner 80 Hektar Land müssen solche Spezialflächen sein, das verlangen die neuen EU-Regeln. Sonst kürzt die EU künftig Gräblings Subventionen.
Wer Biolandwirtschaft betreibt, muss keinerlei Öko-Flächen ausweisen - denn Biobetriebe wirtschaften nach Ansicht der EU per se naturfreundlich. Die übliche Intensiv-Landwirtschaft dagegen ist auf Öko-Vorrangflächen verboten. Dort soll eine Landwirtschaft praktiziert werden, die die Artenvielfalt erhält und fördert. Blühstreifen etwa wie vor Gräblings Hof, Hecken, Baumreihen und bestimmte Zwischenfrüchte - oder eben Soja. Was er an den Bohnen verdienen wird? Landwirt Gräbling zuckt mit den Schultern.
"Das ist ein reines Spekulationsgeschäft. Das Feld kann jetzt im besten Fall 3.000 positiv bringen, im schlimmsten Fall Null. Das ist gezockt."
Mit Mais würde er auf allein auf diesem Acker 5.000 Euro verdienen, sagt Gräbling. Trotz des Verdienstausfalls: Der Landwirt aus der Nähe von Freiburg kann mit den neuen Regeln leben. Denn sie hätten ja noch strenger ausfallen können, sagt er. Unterm Strich seien sie "akzeptabel".
Vorrangflächenregelung - Kompromiss oder Niederlage?
Der Deutsche Bauernverband hatte während der Reformverhandlungen über die EU-Agrarpolitik das Schaffen der Vorrangflächen immer wieder als Zwang zur Stilllegung bezeichnet und so intensiv Lobbyarbeit gegen die ursprünglichen Pläne der EU-Kommission gemacht. Die neuen Regeln für ökologische Vorrangflächen nennt der Verband jetzt einen Kompromiss. Einen komplizierten und verbesserungswürdigen zwar, aber eben immerhin einen Kompromiss.
Umweltschützer dagegen verbuchen die Vorrangflächenregelung als klare Niederlage.
"Das ist gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Mittlerweile sagen wir immer deutlicher : Es ist eher ein Greenwashing als ein Greening", so Florian Schöne, Referent für Agrarpolitik beim NABU.
Ursprünglich wollte die EU-Kommission den Bauern nämlich zehn Prozent als Öko-Vorrangfläche vorschreiben. Jetzt müssen es nur noch halb so viel sein - und nur auf konventionellen Betrieben ab 30 Hektar Acker aufwärts.
"Und die Spitze der verrückten Entwicklung ist die Tatsache, dass Pflanzenschutz und Düngemittel auf bestimmten Vorrangflächen erlaubt bleiben. Und dann kann ja keiner mehr noch guten Gewissens von ökologischem Vorrang sprechen."
550.000 Hektar Öko-Vorrangfläche müssen Deutschlands Bauern insgesamt ausweisen. Allerdings können sie sich bestehende Brachen etwa und Leguminosen-Äcker anerkennen lassen. Deshalb werden die wirklich neu geschaffenen Öko-Flächen innerhalb der benötigten 550.000 Hektar wohl höchstens zehn Prozent ausmachen, schätzt das Thünen-Institut, das Bundesforschungsinstitut für ländliche Räume. Viele Vorschriften für wenig Zusatznutzen also.
Auch Klaus Henle, Leiter des Instituts für Naturschutzforschung am Leipziger Helmholtz Zentrum für Umweltforschung, hält die neue gemeinsame Agrarpolitik, kurz GAP, für nicht ausreichend.
"Die EU hat im Prinzip relativ ehrgeizige Biodiversitätsziele - den Verlust an Biodiversität zu verringern, möglichst zu stoppen bis 2020. Mit den jetzigen GAP-Maßnahmen wird das mit Sicherheit verfehlt werden. Das ist unser Hauptkritikpunkt."
"Eigentlich sind alle Landwirtschaftspolitiker im Ausschuss unzufrieden"
Wissenschaftler und Umweltschützer empfinden die Vorschriften für Öko-Vorrangflächen als zu lasch - viele konventionelle Landwirte dagegen als Belastung: In diese Lager seien auch die Europaparlamentarier gespalten, sagt die EU-Abgeordnete Maria Noichl, Mitglied der SPD im Agrarausschuss.
"Eigentlich sind alle Landwirtschaftspolitiker im Ausschuss unzufrieden. Die einen sagen: Die ökologischen Vorrangflächen müssen weg, sind ein Bürokratiemonster, sie hindern uns, unsere Flächen intensiv zu bewirtschaften. Und die anderen sagen: Der Schritt in die richtige Richtung - in Ökologisierung und in gerechtere Agrarpolitik - der Schritt war so winzig klein, dass ich auch nicht zufrieden bin."
2017 will die EU in einem Zwischenbericht prüfen, wie wirksam und grün ihre neue Agrarpolitik ist. Für 2020 wird sie dann komplett neu verhandelt; schon jetzt laufen in Fachkreisen erste Überlegungen. Nach der Reform ist also vor der Reform.