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Ökonom: Austritt Griechenlands aus Eurozone würde Europa stabilisieren

Ein klar formuliertes Referendum über den Verbleib in der Eurozone würde der griechischen Bevölkerung vor Augen führen, was auf dem Spiel stehe, glaubt Heribert Dieter. Die Turbulenzen nach einem möglichen Euro-Austritt Griechenlands hält der Ökonom für verkraftbar.

Heribert Dieter im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Bundesfinanzminister Schäuble bekommt heute den Aachener Karlspreis für europäische Verständigung, unter anderem auch für sein Engagement um Stabilität in der EU-Schuldenkrise. Nun ist ja die neue Regierungsbildung in Griechenland gescheitert, und Neuwahlen stehen für Juni an. Grund für uns, mit Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik zu sprechen. Die Troika aus EU, EZB und IWF hat bei der griechischen Schuldenkrise Schiffbruch erlitten, etwas sanfter gesagt, sie war nicht erfolgreich. Das Land steckt politisch in einer Sackgasse, ist fast pleite und hat keine Regierung. Ich habe Heribert Dieter also gefragt: Zeigt die Eurokrise, dass man einerseits den Ländern keinesfalls Souveränität rauben darf, muss die griechische Bevölkerung jetzt einfach selbst entscheiden?

    Heribert Dieter: Ich glaube, das wäre sehr hilfreich. Man hätte – und die Troika, insbesondere der Internationale Währungsfonds hätte von Beginn des Reformprozesses an wissen können, dass man solche schwierigen Reformen einem Volk nicht einfach verordnen kann, man muss das Volk zu Rate ziehen, man muss möglicherweise ein Referendum veranstalten. Man hat das nicht getan, und im Ergebnis ist es so, dass es eine Verteidigungs-, eine Abwehrhaltung in der griechischen Gesellschaft gibt, und das ist, wie wir sehen, ausgesprochen schwierig. Insofern muss auch die Troika darüber nachdenken, muss insbesondere der Internationale Währungsfonds darüber nachdenken, wie man damit in Zukunft umgeht.

    Köhler: Die Griechen ziehen gegenwärtig den Dax runter, zwei Jahre Hilfe scheinen wirkungslos geblieben zu sein – würde ein Marshallplan daran was ändern?

    Dieter: Ich meine, ein Marshallplan würde nichts ändern. Griechenland hat ja schon erhebliche Hilfen bekommen, und der Marshallplan war kein groß angelegtes Programm, das im Detail verordnet hat, wie sich Westeuropa zu entwickeln hat, sondern der Marshallplan war Hilfe zur Selbsthilfe. Griechenland hat ja schon sehr viele Hilfen durch die EU-Mitgliedschaft bekommen, es hat einen enorm großen Schuldenerlass bekommen vor einigen wenigen Wochen, über 100 Milliarden Euro – das ist immerhin so viel wie die OECD pro Jahr an Entwicklungshilfe für alle Entwicklungsländer dieser Welt ausgibt. Also man kann nicht davon sprechen, dass Griechenland nur sehr hart angefasst worden wäre, nein, es hat auch diese Entschuldung gegeben. Ein Marshallplan hätte wiederum – wenn man den so umsetzt, wie es einige diskutieren – hätte wiederum den Nachteil, dass man den Griechen sagt, was sie tun sollen, dass man sagt, welche Industrien sie zu entwickeln haben. Das muss die griechische Bevölkerung, die griechische Gesellschaft selbst auf den Weg bringen.

    Köhler: Sie haben vom Referendum gesprochen, das wäre sozusagen demokratietheoretisch oder politologisch argumentiert. Die linken Reformgegner, die ja jetzt bei den Neuwahlen Stimmen gewinnen werden, an Macht, an Einfluss gewinnen werden, ob sie dann auch Regierungsverantwortung übernehmen können und wollen, ist noch eine andere Sache. Die gehen noch weiter und sagen, wir hätten ganz gern noch ein Moratorium oben drauf, so eine Art Aussetzung des Schuldendienstes. Macht das die Sache besser oder schlimmer?

    Dieter: Das macht die Sache natürlich deutlich schlimmer. Es kann nicht sein, dass Griechenland die Europäer, die anderen Europäer alle paar Wochen, alle paar Monate mit neuen Forderungen konfrontiert. Man ist Griechenland wie gesagt durch die Entschuldung schon sehr entgegengekommen, und jetzt das Paket aufzuschnüren und neu zu verhandeln, das ist unangemessen. Das sendet das falsche Signal, auch an die anderen Länder, die sparen müssen. Und zu diesem Sparprogramm gibt es im Grunde keine Alternative. Es wird auch in der Diskussion vergessen, dass ein Land wie Griechenland natürlich heute immer noch sehr viel Geld ausgibt – es ist nicht so, dass Griechenland wenig ausgibt. Schaut man sich mal die Gesamtausgaben des Staates an, so hat Griechenland im Jahr 2005 86 Milliarden Euro ausgegeben und im vergangenen Jahr 107 Milliarden Euro, also von einem drastischen Sinken der Staatsausgaben kann überhaupt keine Rede sein. Und insofern wäre es auch unangemessen, wenn man jetzt diesen eingeschlagenen Weg verlässt und sagt, jetzt wird wieder auf Pump der heutige Konsum, die heutigen Ausgaben finanziert.

    Köhler: Es gehört nicht viel Mut und Fantasie dazu, zu sagen, Neuwahlen werden wohl das Lager der Reformgegner stärken, wenn die gewinnen. Nun hat man dann folgendes Problem: Ein Reformprogramm ablehnen und EU-Mitglied zugleich bleiben, geht das?

    Dieter: Ich glaube, das geht nicht. Das ist allerdings das Problem, das mit Neuwahlen verbunden ist. Wir wissen zum einen, dass die Menschen in Griechenland in Umfragen sich immer wieder mehrheitlich für den Verbleib in Europa aussprechen, 70 Prozent, teilweise 80 Prozent sagen, wir wollen Mitglied der Europäischen Union und auch der Eurozone bleiben. Gleichzeitig lehnen genauso viele Menschen die Sparprogramme ab. Beides wird nicht gehen. Beides würde nur dann gehen, wenn der Rest Europas sagt, gut, wir transferieren auf Dauer größere Beträge nach Griechenland und erlauben der griechischen Gesellschaft, so weiterzuleben wie bisher, wir setzen sozusagen die Regeln, die für alle anderen gelten, in Griechenland außer Kraft. Und das zeigt schon, das würde die Eurozone schädigen, das würde auch die Idee der europäischen Integration schädigen, und das wäre unangemessen, das wäre falsch, das würde Europa in eine falsche Richtung bringen. Insofern hat Europa eigentlich, haben die anderen Europäer eigentlich nur die Wahl zwischen zwei Übeln: Entweder sie verweigern der griechischen Gesellschaft, der griechischen Regierung neue Mittel, wenn es nicht zu einer handlungsfähigen Regierung kommt, die die Sparprogramme so, wie sie beschlossen sind, zu akzeptieren bereit ist, oder Griechenland bekommt keine neuen Mittel und verlässt die Eurozone.

    Köhler: Die Gefahr des Dominoeffekts ist groß?

    Dieter: Die Gefahr des Dominoeffekts ist heute sehr viel kleiner als vor zwei Jahren. Man hat sich in Europa auf diesen Tag X vorbereitet, niemand würde genau sagen wollen, wie die Vorbereitungen aussehen, aber man ist vorbereitet, man hat Schutzmechanismen geschaffen. Portugal und Irland sind ohnehin nicht von Neufinanzierungen auf den Märkten abhängig, man würde Spanien und Italien temporär auch Liquidität bereitstellen können und sollte das auch tun. Aber ich glaube, dass die Turbulenzen, die mit einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone unweigerlich verbunden wären – man sieht es ja an den gegenwärtigen Turbulenzen auf den Märkten –, dass die temporär wären, dass sich diese Turbulenzen auf einige wenige Wochen, vielleicht Monate beschränken würden. Danach wäre nach meiner Erwartung damit zu rechnen, dass eine Stabilisierung eintritt und dass letzten Endes Europa gestärkt aus dieser Krise hervorgehen würde.

    Köhler: Sind wir auf dem Weg in eine Transferunion oder sind wir schon längst da?

    Dieter: Nein, wir sind noch nicht auf dem Weg in eine Transferunion, und es gibt auch einige Signale, die uns sehr deutlich zeigen, dass es eine geringe Bereitschaft gibt in potenziellen Geberländern, in diese Transferunion einzusteigen. Man muss sich ja fragen, was heißt denn eine Transferunion letzten Endes aus Sicht der Geber? Und aus Sicht der Geber heißt das, dass Mittel transferiert werden in Regionen, die die eigene wirtschaftliche Entwicklung nicht voranbringen, nicht erfolgreich voranbringen. Das kann im Grunde nicht das Modell für das Europa des 21. Jahrhunderts sein. Ein Europa, das im internationalen Wettbewerb, in der Weltwirtschaft, in der Konkurrenz mit China, aber auch anderen aufstrebenden Akteuren bestehen will, darf nicht Fehlentwicklungen belohnen, sondern müsste eigentlich die Starken noch weiter stärken, und eine Transferunion wäre das genaue Gegenteil. Natürlich wird es immer wieder Hilfen geben müssen für schwächere Regionen, aber diese Hilfen müssen eben temporär sein, sie dürfen nicht auf Dauer angelegt sein. Auf Dauer Regionen zu alimentieren, ist eine Sackgasse, das sehen wir in Süditalien, das haben wir in Belgien gesehen, ein Stück weit sehen wir das auch hier in Deutschland, dass die Transfers in Richtung Ostdeutschland nicht zu dem geführt haben, was man am Anfang erwartet hat. Insofern gibt es da eine begründete Skepsis einer Transferunion gegenüber, und ich sehe auch nicht, dass wir schon in einer Transferunion sind.

    Köhler: Denn die würde auch die hohe Quote an Schattenwirtschaft nicht abschaffen.

    Dieter: Ja, sie würde die falschen Anreize setzen. Wir haben es damit zu tun, dass die beiden Länder, die die größte Schattenwirtschaft in ihrer Volkswirtschaft haben, Griechenland und Italien sind in der Eurozone. Man sieht da schon sehr deutlich die Problemfälle, und wenn man sozusagen diese Fehlentwicklungen auch noch durch Transfers belohnt, würde der Anreiz entfallen, diese Fehlentwicklungen, also die sehr große Schattenwirtschaft, teilweise bis zu 25 Prozent der Wirtschaftsleistung im Falle Griechenlands – diese Fehlentwicklungen würden, wie Sie sagen, tatsächlich belohnt.

    Köhler: Ich komme abschließend zum Anfang zurück: Sie glauben, ein Referendum würde so ein bisschen die Luft, die heiße Luft rausnehmen, die droht, zu einer Art Funkenflug zu werden, und würde die Bevölkerung mitnehmen?

    Dieter: Ich glaube, dass ein Referendum der griechischen Bevölkerung einmal klar vor Augen führen würde, was auf dem Spiel steht. Das Referendum müsste klar formuliert sein: Möchte die griechische Gesellschaft Mitglied der Europäischen Union bleiben und die Regeln, die für diese Mitgliedschaft gelten, akzeptieren, oder sieht die griechische Gesellschaft eher einen anderen, alternativen Entwicklungsweg außerhalb der Europäischen Union? Man kann ja rein rechtlich leichter aus der Europäischen Union austreten als aus der Eurozone. Ich denke, es wäre klärend, weil wir wissen tatsächlich nicht genau, was die griechische Gesellschaft will – ob sie bereit ist, dieses harte Reformprogramm zu akzeptieren oder ob sie lieber eine eigene Währung haben will, die man abwerten könnte. Insofern denke ich, ein Referendum würde das klären, was alle oder viele Menschen in Europa heute beschäftigt, was wollen die Griechen.

    Köhler: Das sagt Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik, der Ökonom, zur Griechenlandkrise.


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