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Ökonom Edenhofer
„Wir müssen die Schäden des Klimawandels schrittweise einpreisen“

Entschädigungen für Entwicklungsländer, die unter den Folgen des Klimawandels leiden, sind nach Ansicht des Klimaexperten Ottmar Edenhofer nur über CO2-Bepreisung und Versicherungslösungen zu erreichen. Das sei im Moment das Maximum, sagte er im Dlf.

Ottmar Edenhofer im Gespräch mit Maximilian Brose |
Ein zerstörtes Haus in Puerto Rico steckt im Schlamm, nachdem es vom Hurrikan Fiona weggespült wurde
Sollten Industrienationen als Hauptverursacher des Klimawandels dazu verpflichtet werden, Entwicklungsländer bei Schäden finanziell zu unterstützen? „Das Kernproblem in internationalen Verhandlungen ist ja, dass alles nur freiwillig geht“, sagt Ottmar Edenhofer. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Alejandro Granadillo)
Bei der COP27 wird erstmals auf einer Weltklimakonferenz auch über das Thema „Loss and Damage“ diskutiert – also über Verluste und Schäden, die aufgrund des Klimawandels entstehen. Konkret geht es darum, dass Entwicklungsländer, die von der Klimaerwärmung am stärksten betroffen sind, Entschädigungen von den Industrienationen für diese Klimaschäden einfordern.
Solche Schäden würden in den Schwellen- und Entwicklungsländern in den bevorstehenden Jahrzehnten dramatisch zunehmen, sagte Ottmar Edenhofer, Chef-Ökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), im Deutschlandfunk. Ebenso würden mit zunehmenden Durchschnittstemperaturen die Kosten für solche Schäden steigen. Wenn heute eine Tonne CO2 einen Schaden in Höhe von etwa 100 Dollar verursache, so liege diese Summe in der Mitte des Jahrhunderts bei bis zu 800 Dollar, so Edenhofer.
Diese Entwicklung sei auch ein Grund dafür, warum sich die Industrienationen vehement gegen eine rechtlich bindende Verpflichtung für Entschädigungszahlungen wehrten. „Denn würden die Industriestaaten tatsächlich für die Schäden einstehen müssen, dann heißt das ja auch, dass die Tonne CO2 für sie immer teurer wird, und damit würde auch der Druck entstehen, dass sie dann eben tatsächlich die Emissionen reduzieren.“
Das Interview in voller Länge:
Maximilian Brose: Wie tief stehen die reichen Industrieländer bei den Entwicklungsländern in der Schuld, wenn man auf die Schäden durch den Klimawandel schaut?
Ottmar Edenhofer: Wenn man auf die Schäden des Klimawandels schaut, dann sehen wir, dass jetzt vor allem schon die Extremereignisse zunehmen, und zwar nicht nur die Häufigkeit der Extremereignisse, sondern die werden auch intensiver, das heißt, auch die Schäden steigen. Das ist ja jetzt nur erst mal die aktuelle Situation, aber wenn die globale Mitteltemperatur weiter steigt, vielleicht auf zwei Grad oder drei Grad, dann werden die Schäden entsprechend stärker zunehmen. Es ist natürlich schwer, diese Schäden zu quantifizieren, aber dazu gibt es in der Tat einige ökonomische Untersuchungen, die rauszufinden versuchen, was heute die Schäden einer Tonne CO2 sind und was eben dann in einigen Jahrzehnten die Schäden einer Tonne CO2 sind.
Brose: Können Sie einen kleinen Ausblick geben, was diese Untersuchungen sagen?
Edenhofer: Na ja, man würde sagen, dass heute eine Tonne CO2 in etwa so 100 Dollar Schaden verursacht, und wenn wir dann in der Mitte des Jahrhunderts schauen, dann könnten das durchaus bis zu 800 Dollar pro Tonne CO2 sein. Das ist also dann schon ein ziemlich gewaltiger Anstieg. Natürlich muss man solche Zahlen immer mit einer gewissen Vorsicht genießen, aber es zeigt, dass natürlich in den Schwellen- und Entwicklungsländern die Schäden in den nächsten Dekaden dramatisch zunehmen werden.
Brose: Es war ja auch schon 1991 so, dass die Gruppe der kleinen Inselstaaten eine Versicherung für die Folgen des Klimawandels gefordert hat. Warum haben wir bis heute keinen wirksamen Mechanismus als Entschädigung für die Klimaschäden?
Edenhofer: Das hat mehrere Gründe. Ein Grund ist, dass man sich im Kern nicht ganz darauf einigen kann, ob man jetzt über die künftigen Schäden spricht oder ob man auch Kompensation dafür verlangt, dass die Industrieländer schon so viele CO2-Emissionen in der Atmosphäre akkumuliert haben. Also es geht um die Frage Vergangenheit und Zukunft. Die zweite Frage ist eben: Die Vereinigten Staaten haben ein sehr striktes und auch ein sehr ambitioniertes Haftungsrecht, und die wollen sich nicht juristisch darauf verpflichten lassen, dass sie für Klimaschäden haften. Deswegen ist ja so ein Kompromissvorschlag, etwa Deutschlands, dass man einen Rettungsschirm macht, also so eine Art Versicherung, und wenn die Schäden eintreten, dass dann das Geld bereitsteht, um dann die Infrastruktur wieder aufzubauen und auch Leute zu unterstützen. Das ist ein ziemlich haariges Thema, denn würden die Industriestaaten tatsächlich für die Schäden einstehen müssen, dann heißt das ja auch, dass die Tonne CO2 für sie immer teurer wird, und damit würde auch der Druck entstehen, dass sie dann eben tatsächlich die Emissionen reduzieren.

Bei „Loss and Damage“ gehe es darum, für Klimaschäden zu haften

Brose: Die 100 Milliarden Euro, die ja 2009 in Kopenhagen beschlossen wurden für Entwicklungsländer, dass sie Klimaschutzmechanismen aufbauen, das ging dann der Staatengemeinschaft leichter von der Hand?
Edenhofer: Die 100 Milliarden, die waren ja zunächst mal anders aufgestellt. Da ging es ja im Kern um eine Finanzierung der grünen Transformation – das war über den Green Climate Fund –, und selbst diese 100 Milliarden liegen ja nicht auf dem Tisch, was das Vertrauen der Schwellen- und Entwicklungsländer erheblich vermindert hat. Also die 100 Milliarden waren eigentlich eine Finanzierung der Transformation, aber bei „Loss and Damage“, also bei Verlust und Schäden, da geht es dann tatsächlich darum, für die Klimaschäden einzustehen und am Ende des Tages natürlich auch für die dann zu haften.

Zusagen auf Klimakonferenzen oft „nicht ehrlich genug gemeint“

Brose: Seit wann spielen denn diese „Loss and Damage“, also letztendlich die ökonomischen Folgen des Klimawandels, in der Klimawissenschaft eine größere Rolle?
Edenhofer: Die waren eigentlich immer im Zentrum der Debatte, und es gibt ja hier in eine Metrik, die heißt Social Cost of Carbon, das heißt, da versucht man sehr genau rauszufinden: Was sind die Schäden, die eine Tonne CO2 verursacht? In den USA ist das sogar rechtlich bindend. Joe Biden hat jetzt diese Social Cost of Carbon neu berechnen lassen, wo es also darum geht, ein Gefühl dafür zu kriegen, wie die Schäden sich da um den Globus herum verteilen. Also das ist eine Metrik, die schon seit Langem gilt, aber was neu ist, ist, dass man diese Metrik dann tatsächlich auf internationaler Ebene nutzt, um daraus eben Ansprüche an Kompensation und an Versicherungsleistungen abzuleiten. Ich meine, warum die Staaten da so große Schwierigkeiten haben, das zu akzeptieren, kann man ja leicht erkennen. Denn: Warum haben Sie so viel Angst davor? Die Staaten der Welt haben ja bislang die Verpflichtungen, die sie freiwillig auf den Tisch gelegt haben, bisher noch gar nicht implementiert. Das heißt also, im Kern krankt diese Konferenz auch in Scharm el-Scheich und auch die Vorgängerkonferenzen daran, dass die Staaten zu wenig auf den Tisch gelegt haben, und was sie auf den Tisch gelegt haben, haben sie nicht umgesetzt. Wenn die jetzt natürlich dann damit konfrontiert sind, dass sie auch noch für die Schäden aufkommen müssen, dann wäre das für sie ein unglaubliches Druckmittel, das da ausgeübt wird, und da versuchen sie natürlich, sich davon zu entlasten. Und das ist im Kern das Problem dieser Klimakonferenzen, dass die Zusagen offenbar nicht ehrlich genug gemeint sind.
Brose: Aber wäre so ein rechtlich bindender Entschädigungsmechanismus der einzige Weg für einen wirkungsvollen Entschädigungsmechanismus, oder wie müsste der wirklich aussehen, damit man die Entwicklungsländer adäquat entschädigt für ihre Folgen?
Edenhofer: Das Kernproblem in internationalen Verhandlungen ist ja, dass alles nur freiwillig geht. Es müssen ja alle Staaten zustimmen, und wir haben ja keine Weltregierung, die rechtlich die Einhaltung von Gesetzen erzwingen kann, und das ist das Kernproblem, also es geht immer nur über Freiwilligkeit. Freiwilligkeit heißt, es müssen alle zustimmen, und es werden nur alle zustimmen, wenn alle dabei gewinnen letztlich. Das ist so ein bisschen die Kernherausforderung der internationalen Kooperation, und deswegen glaube ich, ist es ein Fehler, wenn man zu sehr darauf pocht, was moralisch und rechtlich akzeptabel ist innerhalb eines Nationalstaates und das dann überträgt auf die internationale Ebene, denn auf internationaler Ebene ist aus meiner Sicht notwendig und wichtig, dass wir kooperieren können. Und Kooperation heißt, globale Kooperation heißt natürlich, dass wir letztlich die Schäden des Klimawandels schrittweise einpreisen müssen, und deswegen wird es nur dadurch funktionieren, dass zunächst mal so was eingeführt wird wie CO2-Preise und solche Versicherungslösungen, wie es jetzt von Deutschland vorgeschlagen wird. Das scheint mir, ist das Maximum, was man im Augenblick erreichen kann.
Brose: Und wird dieses Maximum ausreichen, um die Entwicklungsländer adäquat zu entschädigen?
Edenhofer: Es ist die Frage, was man da unter adäquater Entschädigung versteht. Ich denke, am Ende des Tages muss das darauf hinauslaufen, aber das wird jetzt die ersten Forderungen der Entwicklungsländer nach Kompensation sicherlich nicht in vollem Umfang erfüllen können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.