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Ökonom: Kampf gegen Steuerhinterziehung hat was Schizophrenes

Steuerschlupflöcher sollen geschlossen werden, doch gleichzeitig ermöglichen einige Länder Offshore-Paradiese vor der eigenen Haustür. Historisch betrachtet seien diese Vergünstigungsmodelle für Unternehmen bewusst gewählt worden, meint der Leiter des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, Thomas Straubhaar.

Thomas Straubhaar im Gespräch mit Christine Heuer |
    Silvia Engels: Auf dem G-8-Gipfel in Nordirland gestern dominierte der Streit um Syrien die Tagesordnung. Wirtschaftliche Themen gerieten da eher in den Hintergrund. Unter anderem beschlossen die acht Staats- und Regierungschefs aber immerhin, Steuerhinterziehung zu erschweren und Steueroasen austrocknen zu wollen – allerdings, ohne konkret zu werden. Gastgeber Cameron hatte vor dem G-8-Gipfel gesagt, man wolle keine schwülstigen Communiqués mit wenig Bedeutung. Meine Kollegin Christine Heuer fragte gestern Abend Thomas Straubhaar, den Leiter des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, ob wir aber nun nicht genau das bekommen hätten.

    Thomas Straubhaar: Letztlich haben wir sicher nicht viel Neues erhalten, nämlich dass letztlich diese Möglichkeit, Schlupflöcher zu nutzen, geschlossen wird.

    Christine Heuer: Nun ist ja in Nordirland beschlossen worden, was die Steuerdaten und die Steuerschlupflöcher angeht, dass die OECD einen Bericht schreiben soll, und dieser Bericht soll dann den G-20 vorgelegt werden. Ist das das richtige Gremium für Beschlüsse, wenn man global vorgehen möchte gegen Steuerbetrüger und diejenigen, die Steueroasen nutzen?

    Straubhaar: Mindestens ist die G-20 eine vergleichsweise weit repräsentativere Gruppe. Andererseits hat es ja auch etwas, wenn ich das etwas provokativ ausdrücken darf, Schizophrenes an sich, dass ausgerechnet dann auch ein Land wie Großbritannien auf der einen Seite solche Absichten der G-8 mitträgt und auf der anderen Seite natürlich mit den Kanalinseln genau diese Schlupflöcher sozusagen vor der heimischen Haustür ermöglicht. Von daher gesehen, denke ich, ist erstens die Frage doch zu stellen, waren es nicht gerade auch die Staaten, die heute dagegen lamentieren, die ursprünglich aus durchaus verständlichen bis sogar guten Gründen diese Schlupflöcher durchaus auch legal ermöglicht haben zu nutzen, und ist nicht eben zweitens ganz grundsätzlich die Frage zu stellen, wieso wir überhaupt so scharf darauf sind als westeuropäische, nordamerikanische Regierungen, Unternehmen zu besteuern. Unternehmen machen ja etwas durchaus sozial Positives, indem sie neben Produkten und Dienstleistungen schaffen, auch Arbeitsplätze sichern helfen. Und ausgerechnet dann Unternehmen zu besteuern und sie somit rauszutreiben, das ist ja auch eine ganz grundsätzliche Frage, die zu stellen wäre.

    Heuer: Ich würde gerne noch mal über den G-8-Gipfel kurz mit Ihnen sprechen. Wenn Sie sagen, die Staaten haben möglicherweise gar kein lebhaftes Interesse an Änderungen, warum reden die dann so viel über Transparenz? Sie haben Großbritannien erwähnt; warum preschen ausgerechnet die Briten vor?

    Straubhaar: Weil natürlich im Zeitalter von Offshore-Leaks und von immensen Staatshaushaltsdefiziten und Staatsschuldenbergen die Bevölkerung hoch sensibel dafür ist, wer letztlich welchen Beitrag zur Finanzierung staatlicher Haushalte beizutragen hat, und da ist es eine Tatsache, über die man aber vielleicht etwas konstruktiver diskutieren sollte, dass in den letzten zehn, 20 Jahren zunehmend die sesshafte Bevölkerung, die sogenannten immobilen Arbeitskräfte, die eben nicht so schnell sich von einem Ort zum anderen begeben können, zunehmend einen größeren Teil der Steuerlast zu tragen haben, und das sind eben meist die Wählerinnen und Wähler, die man dann auch ansprechen will, indem man vorgibt, wenn man die mobilen Produktionsfaktoren, also insbesondere Finanzkapital, aber auch Unternehmen, stärker zur Kasse bitten würde, dass dann die Last für die Bevölkerung geringer werden würde. Ich denke, das führt deshalb in eine falsche Richtung, weil noch einmal Kapital und Arbeit, Unternehmen und Beschäftigte, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die sitzen nicht in getrennten Booten, die sitzen nicht gegeneinander, das ist nicht Konfrontation, sondern die sitzen letztlich miteinander im selben Boot und da geht es darum, wettbewerbsfähig zu sein als Standort.

    Heuer: Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Straubhaar, dann ging es den Staatschefs in Nordirland beim G-8-Gipfel im Wesentlichen auch darum, die Bürger in ihren Ländern zu beruhigen. Heißt das, am Ende ist es diesen Staatschefs ganz recht, wenn konkrete Regelungen noch ein bisschen auf sich warten lassen?

    Straubhaar: Das ist jetzt sehr zynisch formuliert, aber ich denke, genau das ist ganz sicher ein wesentlicher Grund, wieso wir nicht schneller vorankommen, weil wir haben ja Gesetze, die sind, wie sie sind, und wenn sie nicht anders sind, dann hat bis anhin auch der Gesetzgeber viel zu wenig Druck gemacht, die Gesetze zu ändern. Und in historischer Dimension sind viele Steuerschlupflöcher ganz bewusst gewählt worden, oder auch Steuervergünstigungsmodelle ganz bewusst gewählt worden, damit man zwar den Schein wahren kann, dass man Unternehmen besteuert, aber sehr wohl weiß, dass man eigentlich auf einen schmalen Grat kommt, wenn sie Unternehmen besteuern, weil sie dann auch damit vielleicht Arbeitsplätze zuhause gefährden. Also auf der einen Seite die Symbolik, man tut was, auf der anderen Seite ganz bewusst die Hintertür zu öffnen, damit die Steuerlast für die betroffenen Unternehmen gemindert werden kann und die bleiben, wo sie sind, nämlich hier.

    Engels: Thomas Straubhaar, der Leiter des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, im Gespräch mit meiner Kollegin Christine Heuer.

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