Mario Dobovisek: Griechenland blickt also gebannt nach Brüssel, dort entscheiden die Eurofinanzminister über das 130-Milliarden-Euro-Hilfspaket. Im Gegenzug hat die Regierung von Ministerpräsident Papademos weitere Sparauflagen zugesagt und erneut den Zorn der Griechen damit auf sich gezogen. (…) Und mitgehört hat Max Otte, Wirtschaftswissenschaftler an der Fachhochschule Worms und Leiter des Instituts für Vermögensentwicklung. Guten Tag, Herr Otte!
Max Otte: Guten Tag!
Dobovisek: Die Hilfsmilliarden könnten also heute freigegeben werden – ist das der erhoffte Befreiungsschlag für Griechenland?
Max Otte: Es ist vielleicht ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber es ist nach wie vor die alte Struktur. Wir geben Geld, also die Länder, die Nordländer der Europäischen Union geben Geld, die Banken bekommen ihre Anschlussfinanzierung, das heißt, Griechenland bedient weiter seine Zinsen fleißig, die Griechen bluten und sparen, und die Banken halten sich im Vagen. Also auch jetzt wieder, bei dem Schuldenschnitt, wir haben es gerade gehört, müssen die Einzelheiten noch ausgehandelt werden. Es hat sich noch nichts prinzipiell so massiv verändert.
Dobovisek: Ist das aus Ihrer Sicht also tatsächlich das Fass ohne Boden, wie es Wolfgang Schäuble am Wochenende erwähnt hatte?
Max Otte: Griechenland ist pleite und wird pleite bleiben, und diese 100 Milliarden, das ist ja nicht 50 Prozent der gesamten griechischen Staatsschuld, sondern bestenfalls so 25, 30 Prozent, das reicht nicht. Wir bräuchten auf die gesamte griechische Staatsschuld einen Schnitt von mindestens 200 Milliarden, das heißt 60, 70 Prozent auf alles, und dann hätte Griechenland eine Chance, da rauszukommen, denn im Moment spart sich das Land ja auch ein bisschen kaputt. Die Argumente sind nicht von der Hand zu weisen, dass da also massiv gespart wird und damit auch das Wirtschaftswachstum abgewürgt wird.
Dobovisek: Ist das also aus Ihrer Sicht längst zu spät, um Griechenland zu retten?
Max Otte: Ja, das war schon vor einem Jahr und vor zwei Jahren zu spät. Wir haben ja nicht Griechenland gerettet – Griechenland versinkt im Chaos im Moment –, sondern wir haben zwei Jahre lang jetzt sichergestellt, dass Griechenland brav weiter seine Zinsen an die großen Finanzinstitute überweist, ohne dass wir wirklich für Griechenland eine Reform angeleiert haben, die dem Land wirklich helfen würde.
Dobovisek: Besser ein Schrecken ohne Ende beziehungsweise ein Ende mit Schrecken, so könnte ja auch das Motto vieler Politiker im Moment heißen. Wie groß wäre denn tatsächlich ein solcher Schrecken für die Finanzwirtschaft bei einem sofortigen Ende Griechenlands, bei einem Staatsbankrott schon im März?
Max Otte: Ja, es wurde immer gesagt, dass das dann das Ende des Euro sei, das Ende der Eurozone und so weiter – ich glaube, im Moment holen wir uns Probleme für die Eurozone und für den Euro. Wenn wir bei Griechenland einen Staatsbankrott oder eine massive Umschuldung hätten, würden sicherlich einige Institute in Schwierigkeiten geraten, aber dann wären die Mittel, die sie jetzt verpulvern, besser eingesetzt, diese Institute im zweiten Schritt zu retten und nicht jetzt schon prophylaktisch sie von allen Risiken freizustellen. Das ist ja dann keine Marktwirtschaft mehr, sondern quasi Selbstbedienung für die Finanzbranche, die wir immer noch in gewisser Weise haben. Also aus meiner Sicht geht da kein Weg drum herum. Jetzt haben wir es noch mal aufgeschoben, aber wir werden dieselbe Diskussion im Herbst wieder haben.
Dobovisek: Setzt die Bundesregierung und damit auch die Regierungen anderer europäischer Staaten zu lange auf das falsche Pferd?
Max Otte: Ja, richtig. Also am Anfang hat man das sehr undifferenziert gesehen, und Leute wie ich, die dann vor zwei Jahren schon gesagt haben, bitte besser eine Umschuldung oder ein Staatsbankrott und Griechenland möglichst auch noch raus aus der Eurozone, wurden dann als Populisten hingestellt. Das ist einfach nüchterne Realität, dass dieses Land wahrscheinlich in der Eurozone dauerhaft Probleme haben wird – das Land leidet jetzt schon extrem –, und dann muss man sich alternative Wege überlegen, das Land in Europa zu behalten und die Europäische Union zu stärken, aber nicht unbedingt so dogmatisch, doktrinär daran festhalten, dass ein Land mit 2,6 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung in der Eurozone bleibt.
Dobovisek: Gleichzeitig wird ja auch über Konjunkturhilfen gesprochen, über eine Art Marshallplan für Griechenland, nur dürfen dafür keine neuen Kredite aufgenommen werden, betont die Bundesregierung. Woher könnte dann dieses Geld kommen?
Max Otte: Ja, aber daran sehen Sie schon, was das für eine Augenwischerei ist. Also erst mal muss ich doch Griechenland entschulden, und das ist der Schuldenschnitt, und da reicht der jetzige noch nicht. Also erst mal muss ich doch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Land halbwegs unbelastet in die Zukunft blicken kann, und dann kann ich Gelder reingeben. Das war übrigens beim deutschen Schuldenabkommen oder Londoner Schuldenabkommen von 1951 genauso. Die internationalen Gläubiger haben auf 50 Prozent der deutschen Staatsschulden über alles verzichtet, und das war eine der Grundvoraussetzungen, dass sich diese Bundesrepublik so gut entwickeln konnte. Und jetzt machen wir das mit Griechenland eben nicht.
Dobovisek: Was sollte Ihrer Meinung dann die Europäische Union, was der Rat der Eurofinanzminister heute beschließen?
Max Otte: Ja, erst mal den sofortigen Schuldenschnitt, also da darf nicht lange mit den Banken jetzt verhandelt werden. Ansonsten, wenn wir, die Öffentlichkeit, dem Land kein Geld geben würden, wäre Griechenland pleite, würden die Banken gar nichts bekommen. Also ich verstehe nicht, was da so lange mit Herrn Ackermann und den großen Banken verhandelt wird, hier müsste wirklich die Politik sich in den Sessel setzen und die Konditionen diktieren der Finanzindustrie. Und das passiert nicht. Schuldenschnitt meinetwegen, dann auch Unterstützungen für das Land ...
Dobovisek: Aber auf der anderen Seite, Herr Otte, haben Politik und auch die Finanzwirtschaft immer drauf gedrungen, dass Staatsanleihen immer die sichere Anlage schlechthin seien. Jetzt wird den Anlegern plötzlich die Hälfte weggenommen, ist das nicht ein Widerspruch?
Max Otte: Ja, aber das muss man in der Realität prüfen. Das war noch nie so, dass es auf ewig mit Staatsanleihen sicher war, es gab immer mal Umschuldungen – Spanien war auf dem Höhepunkt seiner Macht im 16. Jahrhundert dreimal pleite. Also so was kommt schon vor, und dann muss man eben den Realitäten ins Auge blicken und dann dementsprechend handeln.
Dobovisek: Der Wirtschaftswissenschaftler Max Otte. Vielen Dank Ihnen für das Gespräch!
Max Otte: Guten Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Max Otte: Guten Tag!
Dobovisek: Die Hilfsmilliarden könnten also heute freigegeben werden – ist das der erhoffte Befreiungsschlag für Griechenland?
Max Otte: Es ist vielleicht ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber es ist nach wie vor die alte Struktur. Wir geben Geld, also die Länder, die Nordländer der Europäischen Union geben Geld, die Banken bekommen ihre Anschlussfinanzierung, das heißt, Griechenland bedient weiter seine Zinsen fleißig, die Griechen bluten und sparen, und die Banken halten sich im Vagen. Also auch jetzt wieder, bei dem Schuldenschnitt, wir haben es gerade gehört, müssen die Einzelheiten noch ausgehandelt werden. Es hat sich noch nichts prinzipiell so massiv verändert.
Dobovisek: Ist das aus Ihrer Sicht also tatsächlich das Fass ohne Boden, wie es Wolfgang Schäuble am Wochenende erwähnt hatte?
Max Otte: Griechenland ist pleite und wird pleite bleiben, und diese 100 Milliarden, das ist ja nicht 50 Prozent der gesamten griechischen Staatsschuld, sondern bestenfalls so 25, 30 Prozent, das reicht nicht. Wir bräuchten auf die gesamte griechische Staatsschuld einen Schnitt von mindestens 200 Milliarden, das heißt 60, 70 Prozent auf alles, und dann hätte Griechenland eine Chance, da rauszukommen, denn im Moment spart sich das Land ja auch ein bisschen kaputt. Die Argumente sind nicht von der Hand zu weisen, dass da also massiv gespart wird und damit auch das Wirtschaftswachstum abgewürgt wird.
Dobovisek: Ist das also aus Ihrer Sicht längst zu spät, um Griechenland zu retten?
Max Otte: Ja, das war schon vor einem Jahr und vor zwei Jahren zu spät. Wir haben ja nicht Griechenland gerettet – Griechenland versinkt im Chaos im Moment –, sondern wir haben zwei Jahre lang jetzt sichergestellt, dass Griechenland brav weiter seine Zinsen an die großen Finanzinstitute überweist, ohne dass wir wirklich für Griechenland eine Reform angeleiert haben, die dem Land wirklich helfen würde.
Dobovisek: Besser ein Schrecken ohne Ende beziehungsweise ein Ende mit Schrecken, so könnte ja auch das Motto vieler Politiker im Moment heißen. Wie groß wäre denn tatsächlich ein solcher Schrecken für die Finanzwirtschaft bei einem sofortigen Ende Griechenlands, bei einem Staatsbankrott schon im März?
Max Otte: Ja, es wurde immer gesagt, dass das dann das Ende des Euro sei, das Ende der Eurozone und so weiter – ich glaube, im Moment holen wir uns Probleme für die Eurozone und für den Euro. Wenn wir bei Griechenland einen Staatsbankrott oder eine massive Umschuldung hätten, würden sicherlich einige Institute in Schwierigkeiten geraten, aber dann wären die Mittel, die sie jetzt verpulvern, besser eingesetzt, diese Institute im zweiten Schritt zu retten und nicht jetzt schon prophylaktisch sie von allen Risiken freizustellen. Das ist ja dann keine Marktwirtschaft mehr, sondern quasi Selbstbedienung für die Finanzbranche, die wir immer noch in gewisser Weise haben. Also aus meiner Sicht geht da kein Weg drum herum. Jetzt haben wir es noch mal aufgeschoben, aber wir werden dieselbe Diskussion im Herbst wieder haben.
Dobovisek: Setzt die Bundesregierung und damit auch die Regierungen anderer europäischer Staaten zu lange auf das falsche Pferd?
Max Otte: Ja, richtig. Also am Anfang hat man das sehr undifferenziert gesehen, und Leute wie ich, die dann vor zwei Jahren schon gesagt haben, bitte besser eine Umschuldung oder ein Staatsbankrott und Griechenland möglichst auch noch raus aus der Eurozone, wurden dann als Populisten hingestellt. Das ist einfach nüchterne Realität, dass dieses Land wahrscheinlich in der Eurozone dauerhaft Probleme haben wird – das Land leidet jetzt schon extrem –, und dann muss man sich alternative Wege überlegen, das Land in Europa zu behalten und die Europäische Union zu stärken, aber nicht unbedingt so dogmatisch, doktrinär daran festhalten, dass ein Land mit 2,6 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung in der Eurozone bleibt.
Dobovisek: Gleichzeitig wird ja auch über Konjunkturhilfen gesprochen, über eine Art Marshallplan für Griechenland, nur dürfen dafür keine neuen Kredite aufgenommen werden, betont die Bundesregierung. Woher könnte dann dieses Geld kommen?
Max Otte: Ja, aber daran sehen Sie schon, was das für eine Augenwischerei ist. Also erst mal muss ich doch Griechenland entschulden, und das ist der Schuldenschnitt, und da reicht der jetzige noch nicht. Also erst mal muss ich doch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Land halbwegs unbelastet in die Zukunft blicken kann, und dann kann ich Gelder reingeben. Das war übrigens beim deutschen Schuldenabkommen oder Londoner Schuldenabkommen von 1951 genauso. Die internationalen Gläubiger haben auf 50 Prozent der deutschen Staatsschulden über alles verzichtet, und das war eine der Grundvoraussetzungen, dass sich diese Bundesrepublik so gut entwickeln konnte. Und jetzt machen wir das mit Griechenland eben nicht.
Dobovisek: Was sollte Ihrer Meinung dann die Europäische Union, was der Rat der Eurofinanzminister heute beschließen?
Max Otte: Ja, erst mal den sofortigen Schuldenschnitt, also da darf nicht lange mit den Banken jetzt verhandelt werden. Ansonsten, wenn wir, die Öffentlichkeit, dem Land kein Geld geben würden, wäre Griechenland pleite, würden die Banken gar nichts bekommen. Also ich verstehe nicht, was da so lange mit Herrn Ackermann und den großen Banken verhandelt wird, hier müsste wirklich die Politik sich in den Sessel setzen und die Konditionen diktieren der Finanzindustrie. Und das passiert nicht. Schuldenschnitt meinetwegen, dann auch Unterstützungen für das Land ...
Dobovisek: Aber auf der anderen Seite, Herr Otte, haben Politik und auch die Finanzwirtschaft immer drauf gedrungen, dass Staatsanleihen immer die sichere Anlage schlechthin seien. Jetzt wird den Anlegern plötzlich die Hälfte weggenommen, ist das nicht ein Widerspruch?
Max Otte: Ja, aber das muss man in der Realität prüfen. Das war noch nie so, dass es auf ewig mit Staatsanleihen sicher war, es gab immer mal Umschuldungen – Spanien war auf dem Höhepunkt seiner Macht im 16. Jahrhundert dreimal pleite. Also so was kommt schon vor, und dann muss man eben den Realitäten ins Auge blicken und dann dementsprechend handeln.
Dobovisek: Der Wirtschaftswissenschaftler Max Otte. Vielen Dank Ihnen für das Gespräch!
Max Otte: Guten Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.