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Ökonom warnt vor Massenarbeitslosigkeit durch Mindestlohn

Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn warnt vor den Folgen eines allgemeinen Mindestlohnes in Deutschland. "Man kann nicht soziale Ziele über Mindestlöhne definieren. Das ist eine Abkehr von der Grundweisheit der Erhard'schen Wirtschaftspolitik, dass man in die Preisstrukturen und Lohnstrukturen nicht eingreifen darf", sagte Sinn. "Dies ist die Weg in die Massenarbeitslosigkeit, der falsche Weg der Sozialpolitik", betonte er.

Moderation: Jürgen Liminski | 24.12.2007
    Jürgen Liminski: Weihnachten ist dieses Jahr überschattet von schlechten Nachrichten. BMW kündigt trotz Gewinnen massive Entlassungen an. Der Tarifkonflikt bei der Bahn eskaliert. Die Finanzkrise ist noch nicht überwunden. Statt der üblichen Börsenendjahresrallye beobachten wir ja einen mauen Ausklang. Bremst die Konjunktur ab? Rutschen wir in eine Rezession? Wohin treibt die deutsche Wirtschaft zu Weihnachten? Zu diesen Fragen begrüße ich den Präsidenten den Ifo-Wirtschaftsforschungsinstitutes, Professor Hans-Werner Sinn. Guten Morgen, Herr Sinn!

    Hans-Werner Sinn: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Sinn, der Weihnachtsmann ist für die Wirtschaft ein Geschenk in sich. Er kurbelt den Konsum und damit die Konjunktur an. Der vergangene Samstag war wieder der umsatzstärkste Tag des Jahres. Aber es bleiben Zweifel. Einige habe ich gerade genannt. Ihr Institut selbst hat die Wachstumserwartung, sowie andere auch, nach unten revidiert. Auch bei den Amerikanern gibt es mehr Unsicherheitsfaktoren als zuversichtlich stimmende Daten. Reißt der Weihnachtsmann es diesmal nicht raus? Bleibt es bei der Abschwächung?

    Sinn: Ja, der Weihnachtsmann kann das schon deswegen nicht rausreißen, weil ja die Mehrwertsteuererhöhung in diesem Jahr einen Teil der Kaufkraft von den Bürgern an den Staat verlagert hat. Was der Finanzminister da zusätzlich einnimmt, können die Bürger halt nicht ausgeben. Und deswegen glaube ich nicht, dass wir ein tolles Weihnachtsgeschäft haben werden. Das wird man natürlich erst am Jahresende wissen.

    Liminski: Die Konjunktur bremst insgesamt ab. Rutschen wir gar langsam in eine Rezession?

    Sinn: Nein, nein. Davon kann auch nicht die Rede sein. Das Wachstum schwächt sich nur ab. Wir haben nach unserer Einschätzung nächstes Jahr 1,8 Prozent Wachstum. Und das ist auch gar nicht schlecht, wenn man das mit dem Durchschnitt der vergangenen Jahre vergleicht. Die Potenzialwachstumsrate liegt auch nicht über anderthalb Prozent. Also können wir ganz zufrieden sein, wenn diese Zahl realisiert wird. Es gibt allerdings Unsicherheiten. Und die soll man nicht verschweigen. Die liegen insbesondere beim privaten Konsum. Ich weiß nicht, ob die 1,5 Prozent auch Wachstum beim Konsum, die wir unterstellt haben, nun wirklich so realisiert werden. Es könnte sein, dass die Verbraucher wieder pessimistischer werden. Es könnte auch sein, dass die Investoren pessimistischer werden. Da haben wir sowieso schon einen Rückgang der Wachstumsrate unterstellt. Wir wissen nicht genau, was mit dem Wechselkurs passiert. Also es gibt allerlei Unwägbarkeiten. Die sind diesmal größer als sonst.

    Liminski: Privater Konsum, ich greife das Stichwort mal auf. Ver.di und Beamtenbund fordern acht Prozent. Man will eine Beteiligung an den Gewinnen. Löst das eine Bremswirkung aus oder, im Gegenteil: durch die höhere Kaufkraft mehr Konsum und damit Belebung der Konjunktur?

    Sinn: Na ja, kurzfristig ist das immer wahrscheinlich belebend. Aber dagegen kommt dann recht bald hinterher ein Bremseffekt, weil dieses die privaten Investitionen ja vermindert. Also je höher der Lohn ist, desto weniger rentabel sind Investitionsprojekte in Deutschland, und die Investitionsgüternachfrage ist natürlich auch ein wichtiger Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Ja, für das konjunkturelle Geschehen ist er sogar wichtiger. Und dann kann es natürlich sein, dass auch Arbeitsplätze verloren gehen, so dass also eine Lohnerhöhung pro Kopf ja nicht bedeutet, dass die Lohnsumme steigt. Also zu behaupten, dass Lohnerhöhungen einen positiven Effekt auf die Konjunktur haben, das ist schon etwas verwegen. Wenn, dann ganz kurzfristig, aber bestimmt nichts Nachhaltiges.

    Liminski: Der Wahlkampf in Niedersachsen und Hessen wird nach Weihnachten geprägt sein vom Thema Mindestlohn. Vor allem die Gewerkschaften rühren da die Trommel. Das ist ein Thema, das vor dem Hintergrund der Managergehälter einen emotionalen Schub erhält. Lässt sich der allgemeine Mindestlohn Ihrer Meinung nach noch verhindern?

    Sinn: Nein. Ich halte das für wahrscheinlich, dass die Reise in diese Richtung geht, nachdem ja auch die CDU sich nicht mehr stemmt und dieses Thema hoffähig gemacht hat. Das heißt aber nicht, dass ich diese Entwicklung gut heiße, sondern ich finde sie verheerend. Denn man kann nicht soziale Ziele über Mindestlöhne definieren. Das ist eine Abkehr von der Grundweisheit der Erhard'schen Wirtschaftspolitik, dass man in die Preisstrukturen und Lohnstrukturen nicht eingreifen darf und Verteilungspolitik nur machen darf durch fiskalpolitische Maßnahmen. Das heißt, man kann den Reichen natürlich mehr Geld wegnehmen und es den Armen geben. Aber man darf nicht den Armen versuchen zu helfen, indem man sie künstlich verteuert, denn dann macht man sie so teuer, dass ein Teil von ihnen keine Jobs mehr findet. Dies ist die Weg in die Massenarbeitslosigkeit, der falsche Weg der Sozialpolitik.

    Liminski: Warum sind denn die Arbeitgeber bei diesem Thema so relativ zurückhaltend? Ein Mindestlohn in Höhe von sieben, acht Euro bremst doch Investitionen, damit Konjunktur und Wachstum.

    Sinn: Das liegt daran, dass die Arbeitgeber ja nicht nur zurückhaltend sind, sondern ihn ja auch fordern. Weshalb haben wir in Deutschland jetzt die Mindestlohndebatte? Weil der Arbeitgeber Post Mindestlöhne wollte zur Abschottung von Konkurrenten. Wir haben ja die Post schon vor einigen Jahren privatisiert. Es ist ein börsennotiertes Unternehmen. 40 Prozent mindestens der Aktien sind sowieso auch in ausländischer Hand. Also es ist nicht mehr die alte Post. Und diese Post hatte bislang ein Monopol. Das Monopol wird sie verlieren am 1. Januar.

    Und jetzt ist Herr Zumwinkel, der Chef der Post, aufgetreten und hat die Politik schon frühzeitig im letzten Jahr alarmiert, hat gesagt, das geht nicht. Dann kommen die Wettbewerber und tragen die Briefe billiger aus als wir. Und wo bleiben wir? Und hat deshalb diese Mindestlohndebatte ausgelöst. Und dann hat sich das anschließend verselbstständigt zu einer Gerechtigkeitsdebatte jenseits dieses Postmindestlohnes. Aber das waren die historischen Ursprünge. Und das ist schon ein bisschen perfide, wenn man dann sieht, dass schnödes Profitinteresse eigentlich der Auslöser war. Und nachher hängt die Politik dem Ganzen ein soziales Mäntelchen um.

    Liminski: In Deutschland, Herr Sinn, wollen 29 Prozent der Bevölkerung sich weniger schenken als im letzten Jahr. Bescheidenheit ist angesagt. In Amerika gibt es eine neue Church, die Stop-Shopping-Church sozusagen, die ideale Kombination für Weihnachten. Ihr Gründer reist mit einem Stop-Shopping-Gospelchor durch die Lande und warnt vor der "Shoppokalypse". Das mag man mit einem Lächeln abtun. Aber eine Aufforderung dieses Gospelchors ist vielleicht nicht ganz so abwegig: Werdet bescheiden, Leute. Kommt diese Bescheidenheit zwangsläufig auf uns zu?

    Sinn: Ich meine, das ist völlig legitim, dass solche Organisationen auftreten und dass die Menschen ihre Meinungen ändern. Man kann niemandem einen Vorwurf machen, wenn er konsumiert. Man kann aber auch jedem nur raten, vielleicht doch mehr an die Zukunft zu denken und nicht immer das Hier und Jetzt beim Konsum zu betonen. Ich finde es auch richtig, jetzt vielleicht nicht so fürchterlich viel zu konsumieren, selbst wenn das die Konjunktur im Moment eher ein bisschen abschwächen würde, und dafür mehr zu sparen, um auf die lange Frist mehr Konsum zur Verfügung haben. Denn wir haben ja ein demokratisches Problem in Deutschland. In 30 Jahren, wenn die jetzt Anfang-40-Jährigen, die die deutschen Babyboomer sind, 64 so ungefähr geboren, wenn die alle in die Rente wollen, dann wird ja nicht mehr viel nachgekommen sein, um diese Rente zu bezahlen. Also müssen sie selber sich um die Rente kümmern und müssen sparen. Gut, wir haben das Riester-Sparen, da macht aber nur ein Drittel der Berechtigten mit. Also insgesamt kümmern sich die Deutschen zu wenig um ihre Zukunft und leben zu sehr im Hier und Jetzt.

    Liminski: Das Hier und Jetzt wird vielleicht auch beschleunigt durch eine andere Idee, nämlich die Idee des Grundgehaltes oder des Bürgerlohnes. Das macht ja die Runde. Löst das nicht die soziale Frage, befreit den Sozialstaat, könnte man ja auch sagen, mithin auch die Wirtschaft?

    Sinn: Der Sachverständigenrat hat sich mit diesem Thema Grundgehalt in seinem letzten Gutachten ausführlich beschäftigt und hat es in Bausch und Bogen verdammt. Das sind Vorstellungen, die sind eben nicht durchgerechnet. Die gehen überhaupt nicht. Das ist das Schlaraffenland. Da brauchen wir irgendwie den lieben Gott, der das alles bezahlt. Denn wir ein Grundgehalt von 800 Euro pro Monat für jeden Deutschen zur Verfügung stellen wollen, dann sind das 800 Milliarden Euro. Und das will man dann mit der Mehrwertsteuer bezahlen. Die hat aber selber nur ein Aufkommen von 150 Milliarden Euro. Also wir brauchen einen Mehrwertsteuersatz von über 100 Prozent. Wissen Sie, das ist doch alles jenseits von Gut und Böse.

    Liminski: Was passiert, Herr Sinn, wenn die Bahn und die Lokführer sich nicht einigen, es zu einem unbefristeten Streik kommt?

    Sinn: Ja, das ist ein ganz, ganz schwieriges Thema. Ich sehe das mit großer Sorge, was da bei der Bahn abläuft, und zwar aus grundsätzlichen Erwägungen. Ich will gerne zubilligen, dass man die Lokführer besser bezahlen muss. Das ist gar nicht das Thema.

    Das Problem ist, dass wir jetzt hier eine Spartengewerkschaft kriegen. Das heißt, innerhalb einer Branche separieren sich die Gewerkschaften in berufsstandsspezifische Gewerkschaften. Ein Unternehmen hat nicht nur mit einer Gewerkschaft dann zu tun, sondern in Zukunft mit vielen kleinen Gewerkschaften, die jeweils die unterschiedlichen Berufe in dieser Branche vertreten. Und, wissen Sie, das ist äußerst problematisch, weil jede dieser einzelnen Gewerkschaften natürlich sich sagt: Ach, wenn wir mal die Löhne ein bisschen stärker erhöhen, jetzt also um 30 Prozent, dann wird unser Unternehmen deswegen nicht kaputt gehen. Wir sind ja nur ein kleiner Teil des Ganzen. Aber wenn das jeder sagt, dann geht das Unternehmen kaputt. Solche Gewerkschaftsstrukturen führen zu einer übermäßig aggressiven Lohnpolitik zum Nachteil letztlich aller Beschäftigten.

    England ist das warnende Beispiel. Die Engländer hatten solche Gewerkschaften in den 50er und 60er Jahren. Das hat ja die große Stagnation ausgelöst, die England bis 1977 auf die Hälfte des deutschen Pro-Kopf-Einkommens zurückfallen ließ. Und aus dieser Katastrophenlage heraus haben die damals die Margret Thatcher gewählt. Die hat aufgeräumt mit der Gewerkschaftsbewegung. Inzwischen haben wir andere Strukturen. Die Berufsstandsgewerkschaften gibt es in dieser Form nicht mehr. Und England hat sich wieder befreien können und hat einen Wachstumspfad erzielt.

    Wenn wir diesen Weg gehen und das tolerieren, dass sich die Gewerkschaften von der Einheitsgewerkschaft aufspalten in berufsstandsbezogene Gewerkschaften, dann gute Nacht, Deutschland.

    Liminski: Darf man erfahren, über welches Konsumgut der Wirtschaftsweise vom Ifo-Institut sich heute Abend freuen wird?

    Sinn: Ja, wenn ich das wüsste! Meine Frau verrät mir das nicht und das Christkind halt auch nicht. Das kann ich leider Ihnen nicht beantworten.

    Liminski: Weihnachten und die deutsche Wirtschaft. Das war Hans-Werner Sinn, Präsident des Wirtschaftsforschungsinstitutes Ifo in München. Besten Dank und geruhsame Festtage, Herr Sinn!

    Sinn: Ja, auch für Sie, Herr Liminski! Alles Gute!