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Ökonom: Wir werden ohne Eurobonds nicht weiterkommen

Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel sieht keine Alternative zu europäischen Staatsanleihen: Selbst der künftige gehebelte ESM-Rettungsmechanismus reiche als Schuldenabsicherung nicht aus. Hickel ist sich sicher: Es wird "Eurobonds light" geben.

Rudolf Hickel im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Der Bundestag steckt mitten in den Beratungen über den Haushalt 2012, und selten in den vergangenen Jahren hat dabei die Europapolitik eine solche Rolle gespielt wie heute Vormittag. Seit dem Morgen um neun Uhr läuft im Bundestag die sogenannte Generaldebatte; das ist traditionell der Termin, bei dem die Parteien ihre wichtigsten Leute nach vorne ans Rednerpult schicken.
    Mitgehört am Telefon hat Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Bremen, immer ein kritischer Beobachter der schwarz-gelben Bundesregierung. Schönen guten Tag, Professor Hickel.

    Rudolf Hickel: Schönen guten Tag.

    Armbrüster: Herr Hickel, wir haben es wieder gehört: die Bundesregierung lehnt Eurobonds ab. Sind wir in Deutschland dabei, uns in Europa damit zu isolieren?

    Hickel: Ja ich glaube, man muss einfach die Ausgangslage noch mal genauer analysieren. Wir machen gerade die Erfahrung, dass der europäische Stabilitätsfonds beziehungsweise der derzeitige Rettungsschirm einfach die Ansteckungsgefahr, die in ihm ruht, nicht ausschließen kann. Das heißt also, jetzt wird getestet, ob Italien, ob beispielsweise Portugal, Spanien, ja sogar Frankreich unter den Rettungsfonds passen, und das ist natürlich nicht der Fall, weil da ein Deckel drauf ist, selbst bei der Hebelung, und jetzt kommt die Frage, wie geht es weiter. Und wir werden ohne Eurobonds – das ist meine felsenfeste Überzeugung – nicht weiterkommen, denn die Europäische Union oder insbesondere jetzt die 17 Staaten im europäischen Währungssystem, wenn die die Verantwortung übernehmen, dann wird den Spekulanten die Möglichkeit entrissen, immer wieder zu fragen, na sind sie noch bereit, was zuzulegen, wenn ein neuer Krisenkandidat dazukommt. Das heißt, es gibt fast so was wie einen objektiven Druck, und der realisiert sich natürlich auch in den Äußerungen, die von der Europäischen Kommission kommen.

    Armbrüster: Aber sind diese Eurobonds nicht gerade eine Verführung zum Schuldenmachen, zum weiteren Schuldenmachen, gerade in den südlichen Euro-Ländern?

    Hickel: Man muss die natürlich ganz genau mit Auflagen verbinden. Deshalb nennt die ja Barroso nicht mehr Eurobonds, er nennt sie Stabilitätsbonds. Dagegen hat mein Kollege Hans-Werner Sinn gestern sehr stark polemisiert und hat von Instabilitätsbonds geredet. Aber die Bonds müssen natürlich sehr genau an Regeln der Haushaltspolitik gebunden sein. Es kann natürlich nicht sein, dass ein Land dann beispielsweise – und darum geht es ja – Kredite aufnimmt, aber die Kredite nicht mehr als eigenes Land aufnimmt, sondern in der Verantwortung des europäischen Währungssystems. Da müssen natürlich auch ganz, ganz strenge Regeln durchgesetzt werden. Aber wenn man so schaut, beispielsweise in Richtung Griechenland, andere Länder, dann kann man das, was wir Ökonomen sagen, dieses "Moral-Hazard"-Verhalten ja ohnehin nicht mehr feststellen, so nach dem Motto, bekommen wir weitere Finanzzulagen, Finanzzuschüsse, dann können wir ohne Reformen einfach weitermachen, beziehungsweise – ich sage es mal etwas umgangssprachlich – Geld zum Fenster rausschmeißen. Die Phase ist längst vorbei. Aber man muss natürlich fairerweise sagen, das ist ja heute auch im Bundestag diskutiert worden, die Eurobonds verlangen eine grundlegende Veränderung des Lissaboner Vertrages, weil – und damit sind wir bei einem ganz entscheidenden Problem – der Lissaboner Vertrag einen Fehler fortgeschrieben hat, der bereits schon im Maastrichter Vertrag, der 1990 ausgehandelt worden ist, drin ist. Da hat man den Eindruck erweckt, ja, wir machen eine Währungsunion, aber bloß keine Haftung und Verantwortung übernehmen für ein Land, das in die Krise gerät. Und wir sind jetzt gerade in einem krisenhaften Lernprozess, nämlich rauszukriegen, dass wir ohne eine erweiterte Haftungsunion überhaupt nicht weiterkommen. Übrigens ist das auf dem Euro-Gipfel am 21. Juli ja schon diskutiert worden.

    Armbrüster: Da sprechen wir jetzt wieder über die europäischen Verträge, das ist natürlich die eine Sache. Auf der anderen Seite zeigt sich doch auch, dass die deutsche Bevölkerung überhaupt nicht bereit ist, solche Eurobonds mitzutragen, also sozusagen für die Schulden anderer Staaten einzustehen. Wie stellen Sie sich das vor?

    Hickel: Na ja, man muss, glaube ich, die Instrumente auch noch mal erklären und deutlich machen. Es gibt ja ein Argument, das ja auch die FDP sehr stark jetzt geltend gemacht hat, da würde es sich um so etwas handeln wie einen Zinssozialismus, und wenn es so wäre, würde ich dafür nicht plädieren. Zinssozialismus heißt natürlich, dass Länder jetzt Haftung übernehmen, die vergleichsweise eine schlechtere Bonität auch gegenüber den Ratingagenturen haben, und dann entsteht die Sorge, dass der durchschnittliche Zinssatz für Bonds deutlich höher wird als der, den die Bundesrepublik Deutschland zurzeit bei der Refinanzierung über Staatsschulden benutzt. Es gibt Schätzungen, dass das bis zu zwei Prozentpunkte sind. Ich gehe davon aus, und das signalisieren auch institutionelle ausländische Anleger, vor allem auch andere Länder, beispielsweise China, dass der Eurobond, wenn er richtig gemanagt wird, ein richtig attraktives, weltweit attraktives Anlageinstrument werden kann, und dann würden wir uns dieses Problems entheben.
    Aber ich will noch mal sagen: Wir sind ja in gewisser Weise gezwungen zu dieser Debatte, weil wir jetzt – und das hat die Bundeskanzlerin heute im Bundestag zu wenig angesprochen, merken – ich bedauere das natürlich auch sehr -, dass wir mit dem Rettungsschirm, mit dem EFSF beziehungsweise mit dem künftigen Stabilisierungsmechanismus, sagen wir mal ungehebelt 440 Milliarden, einfach nicht auskommen. Die Spekulanten sind auf der Suche nach weiteren Kandidaten, dann reicht der Fonds nicht und dann wird die ganze Finanzierung teurer. Also wir sind in gewisser Weise gezwungen, neue Weichen zu stellen.

    Armbrüster: Warum ist das denn schon wieder so klar, dass auch dieser EFSF nicht ausreicht? Ich meine, wir haben wochenlang darüber geredet, dass das nun der größte Punkt ist, die Bazooka, die wir rausholen, damit könnte nun ein für alle Mal Ruhe einkehren. Warum funktionieren diese 440 Milliarden Euro nicht beziehungsweise die mehr als eine Billion Euro?

    Hickel: Na ja, das kann man relativ deutlich sagen. Ich meine, die eine Billion ist ja nachgelegt worden. Ich war ja selber bei der Anhörung im Haushaltsausschuss dabei, als der Schwur abgegeben worden ist, ohne Hebel nur 440 Milliarden als Rettungsmittel. Dann hat man selbst schon wenige Tage später, schon während der Debatte gemerkt, das reicht nicht aus. Dann hat man den Hebel eingeführt, und der Hebel heißt ja, dass ich Investoren brauche, die bereit sind, Staatsanleihen, beispielsweise griechische Staatsanleihen zu kaufen.

    Armbrüster: Und diese Investoren gibt es nicht?

    Hickel: Die gibt es nicht. Das ist das Erste. Und das Zweite ist das ganz, ganz entscheidende - es ist nun mal einfach so -, die Ansteckungsgefahr. Solange man einen Deckel hat, bleiben wir bei 440 Milliarden, gehen die Spekulanten natürlich jetzt auf Italien über und fragen, inwieweit, wenn die jetzt unter das Dach des Rettungsfonds müssen, dass sie dann nicht zurande kommen beziehungsweise der Fonds nicht ausreicht. Das ist die Situation. Das ist übrigens auch der Grund, warum die Europäische Zentralbank immer mehr in den Aufkauf von solchen Bonds einsteigt, und Sigmar Gabriel hat recht, das ist irgendwo eigentlich eine versteckte Form von Eurobonds. Warum? Wer übernimmt denn die Haftung für die Ramschanleihen, die jetzt die Europäische Zentralbank aufkauft? Das sind im Grunde genommen die Mitglieder, und die Mitglieder der Europäischen Zentralbank sind schlichtweg die 17 Mitglieder der Europäischen Währungsunion.

    Armbrüster: Herr Hickel, ganz kurz zum Schluss. Wie lange, schätzen Sie, dauert es, bis die Bundesregierung beim Thema Eurobonds einknickt?

    Hickel: Ich kann es schwer prognostizieren, aber ich glaube, dass wir in eine Diskussion kommen. Am Ende wird was herauskommen, was nicht genau Eurobonds sind. Es gibt ja auch mehrere Varianten, beispielsweise Eurobonds-Hart, Eurobonds zum Teil oder Light. Es wird aber eine Eurobonds-Light-Möglichkeit herauskommen, weil wir einfach keinen anderen Weg sehen. Ich bin sicher, sagen wir mal, in zwei, drei Monaten ist da eine relative Klarheit da.

    Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk war das Professor Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler aus Bremen. Besten Dank, Professor Hickel, für das Gespräch.

    Hickel: Schönen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.