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Ökonom Wolff zu EU-Wiederaufbaufonds
"Das Instrument ist absolut verfassungskonform"

Für den 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds nimmt die EU erstmals selbst Kredite auf. Ob die Union das darf, wird auch das Bundesverfassungsgericht prüfen. Karlsruhe kann das Instrument kaum ablehnen, meint der Ökonom Guntram Wolff.

Guntram Wolff im Gespräch mit Manfred Götzke |
Dr. Guntram Wolff, Ökonom und Leiter des Bruegel Instituts, Brüssel
Dr. Guntram Wolff, Ökonom und Leiter des Bruegel Instituts, Brüssel (Bruegel Institut / stokkStudio)
Corona macht vieles möglich – zum Beispiel, dass die EU selbst Kredite aufnimmt, also zur Schuldenunion wird. Im Juli 2020 haben die Staats- und Regierungschefs den 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds beschlossen, der auch direkte Zuschüsse für die Länder vorsieht. Und dafür nimmt die EU erstmals selbst Kredite auf den Finanzmärkten auf. Diese Entscheidung muss aber noch ratifiziert werden. Am Donnerstag (25.3.2021) hat der Deutsche Bundestag das Go gegeben – zwölf Parlamente haben diese Entscheidung noch vor sich. Und es gibt noch weitere Hürden, das Bundesverfassungsgericht könnte den Fonds ebenfalls noch stoppen. Guntram Wolff, Ökonom und Leiter des Breugel Instituts in Brüssel, ist da optistisch. Es gebe gute Gründe, dass die Beschlüsse verfassungskonform seien und auch im Einklang mit den EU-Verträgen stünden. Aber er mahnt, das Geld dürfe nicht irgendwo verpuffen, es müsse genutzt werden für die Modernisierung der Volkswirtschaften. Verschwendetes Geld wäre nicht nur verschwendet, sondern würde auch einen erheblichen politischen Schaden verursachen.

Das Interview in voller Länge:

Manfred Götzke: Wie fragil ist der Wiederaufbaufonds?
Guntram Wolff: Na ja, also der Wiederaufbaufonds wurde ja einstimmig beschlossen und geht jetzt durch die verschiedenen Parlamente. Im Bundestag wurde er mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen, insofern denke ich, ist es ein solider Fonds, der breite politische Unterstützung genießt und auch wichtig wirklich ist für den Wiederaufbau und um die Pandemie, die Schäden der Pandemie in ganz Europa in den nächsten Jahren zu beheben.
Götzke: Lassen Sie uns auf das Bundesverfassungsgericht in Deutschland blicken, da wurde ja bereits eine Verfassungsbeschwerde angekündigt. Könnte Karlsruhe den Rettungsfonds noch kippen?
Wolff: Ich bin natürlich kein Jurist, und das Bundesverfassungsgericht ist natürlich bekannt für seine teils erratischen, teils von Lobbyisten beeinflussten Urteile. Aber ich denke, in diesem Fall sollte sich das Bundesverfassungsgericht doch sehr genau überlegen, was es da macht. Es gab eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag, es gibt breite politische Unterstützung, es ist eine begrenzte Summe, um die es hier geht, es ist also nicht eine unbegrenzte Haftung, die hier vereinbart wird, sondern wirklich eine begrenzte Haftung. Insofern scheint mir das nicht ein Fall zu sein, den das Bundesverfassungsgericht ablehnen kann.

"Von Lobbyisten beeinflusste Urteile"

Götzke: Von Lobbyisten beeinflusst – ganz schön hartes Urteil.
Wolff: Ja, das ist ein hartes Urteil, aber ich erinnere mich an die Anhörung zu dem letzten Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank, da wurden in der Mehrheit als Experten eben Vertreter der deutschen Finanzindustrie eingeladen. Und insofern würde ich schon sagen, dass der Einfluss da relativ klar war.
Götzke: Einige Verfassungsrechtler monieren, die EU überschreite mit der eigenen Schuldenaufnahme ihre Kompetenzen. Was sagen Sie dazu?
Wolff: Ja, also die EU hat Verträge, und in diesen Verträgen ist tatsächlich die Möglichkeit vorgesehen, in bestimmten Ausnahmefällen wie zum Beispiel bei Naturkatastrophen auch Schulden aufzunehmen. Und hier diese Pandemie ist ja nun im wahrsten Sinne des Wortes eine Naturkatastrophe, sie kommt aus der Natur und sie hat zu dem heftigsten wirtschaftlichen Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Insofern scheinen mir da tatsächlich gute Gründe da zu sein, dass das absolut verfassungskonform ist und auch im Einklang mit den EU-Verträgen.
Götzke: Auch unter den Regierungschefs war der vorher umstritten, die sogenannten sparsamen Vier, Österreich, Schweden, Niederlande und Dänemark waren das ja, die waren ja lange gegen die Schuldenaufnahme der EU. Nun haben drei von diesen Staaten das Paket noch nicht ratifiziert – ist das reiner Zufall oder gibt es aus den dortigen Parlamenten auch noch Widerstand?
Wolff: Ich meine, es haben ja mehr als nur diese drei Staaten das noch nicht ratifiziert, es haben auch andere Länder das noch nicht ratifiziert, diese Ratifizierungsverfahren dauern einfach, das hängt natürlich von den jeweiligen parlamentarischen Rhythmen ab. Einer der Hauptkritiker an diesem Hilfsfonds waren ja die Niederlande, die Niederlande hat gerade eine Wahl, in der die proeuropäische Partei D66 massiv an Stimmen auch zugewonnen hat und wahrscheinlich sogar auch den Finanzminister stellen wird. Insofern hat sich auch einer der innenpolitischen Hauptgründe für die harte Position der Niederlande ein bisschen verschoben. Vor der Wahl ging es ja vor allem auch um eine Konkurrenz zwischen dem niederländischen Finanzminister und dem niederländischen Premierminister. Der niederländische Finanzminister wollte sich profilieren, er hat aber in den Wahlen tatsächlich verloren.
Götzke: Kritiker des Fonds sagen, das Ganze sei eben doch nicht ein Einzelfall, sondern ein Präzedenzfall, letztlich der Einstieg in die Schulden und damit auch in die Haftungsunion. Ist da etwas dran?
Wolff: Es ist auf jeden Fall ein Präzedenzfall, das kann man, glaube ich, nicht abstreiten. Wenn das einmal geschehen ist, dann ist es geschehen – und dann wird es natürlich die Möglichkeit geben, in der nächsten Krise zu sagen, ja, wir haben doch da einen Mechanismus, können wir den nicht wieder aktivieren. Was mir entscheidend erscheint, ist aber, wenn dieser Mechanismus in der Zukunft zum Beispiel in zehn oder 20 Jahren, falls es wieder eine Pandemie oder Ähnliches geben sollte, aktiviert werden soll, dann braucht es ja wieder einen gültigen politischen Beschluss, einen einstimmigen politischen Beschluss und die entsprechenden parlamentarischen Ratifizierungen. Also insofern ist es ja nicht so, dass jetzt automatisch immer wieder neue Haftungen entstehen werden, nein, jedes Mal muss neu entschieden werden.

"Das Geld darf nicht irgendwo verpuffen"

Götzke: Es gibt ja noch eine weitere Hürde: Alle EU-Staaten, die das Geld aus dem Fonds wollen, müssen Investitionspläne einreichen, die dann von der Kommission geprüft und abgesegnet werden. Wie ist denn da der Stand der Dinge?
Wolff: Ja, diese Pläne werden eingereicht, sind noch nicht von allen Ländern eingereicht. Und in der Tat kommt es jetzt darauf an, dass die Kommission und die Institutionen diese Pläne sehr genau begutachten. Denn eines ist klar, das Geld darf nicht irgendwo verpuffen, das Geld muss gut genutzt werden, es muss genutzt werden für die Modernisierung unserer Volkswirtschaften. Und dafür braucht es sehr genaue administrative, aber auch politische Kontrolle – und natürlich auch Kontrolle der Rechnungshöfe, sodass das Geld nicht verschwindet. Antikorruptionsmaßnahmen sind ebenfalls sehr, sehr wichtig, der Rechtsstaatsmechanismus ist sehr wichtig. Und ich denke, es ist absolut zentral, dass die Kommission und alle relevanten Institutionen diese Aufgabe sehr ernst nehmen. Verschwendetes Geld wäre wirklich nicht nur verschwendet, sondern es wäre auch ein erheblicher politischer Schaden für alle Beteiligten. Insofern können wir uns das wirklich in Europa im Jahr 2021 nicht leisten, dass dieses Geld verschwendet wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.