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Ökonom zu Anleihekäufen
"Die EZB ist zu expansiv gewesen"

Der Ökonom und "Wirtschaftsweise" Lars Feld hat das Anleihekaufprogramm der EZB als erfolgreich bezeichnet. Die Zentralbank hätte allerdings früher damit aufhören und die Zinsen erhöhen können, um wieder eine lockerere Geldpolitik betreiben zu können, sagte Feld im Dlf.

Lars Feld im Gespräch mit Mario Dobovisek |
Der Ökonom Lars Feld ist Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - den sogenannten Wirtschaftsweisen
Der Ökonom Lars Feld ist Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - den sogenannten Wirtschaftsweisen (Imago/Christian Ditsch)
Mario Dobovisek: Konjunkturdelle nennen das Wirtschaftswissenschaftler gerne, was vor allem die deutsche Exportbranche gerade erlebt. Die weltweiten Unsicherheiten mit militärischen Spannungen und Handelskonflikten nehmen zu, das Wachstum sinkt, die Konjunktur stockt, doch aus der Delle ist längst eine ausgewachsene Schwächephase geworden, meinen Experten. In einer solchen sind meist Politik und Notenbanken gefragt mit stützenden Maßnahmen und Geldpolitik. Die US-Zentralbank, die FED, will heute zum Beispiel zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder die Zinsen senken, eine Kehrwende einleiten, eine Kehrtwende, die den Europäern gar nicht mehr möglich ist, weil die Europäische Zentralbank seit der letzten Finanzkrise gar nicht mehr aus dem Krisenmodus rausgekommen ist. Die Zinsen blieben am Boden und mehr noch: die EZB kaufte fleißig Anleihen von hochverschuldeten Staaten. Das Anleiheprogramm steht in der Kritik und gerade mal wieder vor Gericht, dem Bundesverfassungsgericht.
In Karlsruhe wird auch einer der sogenannten Wirtschaftsweisen gehört heute als Sachverständiger, der Ökonom Lars Feld von der Universität Freiburg, und er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Feld!
Lars Feld: Guten Morgen!
Dobovisek: Hat die Europäische Zentralbank mit ihren Anleihekäufen ihre Kompetenzen überschritten?
Feld: Das lässt sich nicht so einfach sagen. Die Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des OMT-Verfahrens aufgestellt hat, sind ja sehr detailliert, und die werden nun geprüft werden auch heute in der Diskussion, in der Anhörung in Karlsruhe geprüft werden. Die Richter werden auch fragen müssen, ob diese Kriterien überhaupt sinnvoll sind und ob sie so allgemein anwendbar sind, dass man sie auf jedes geldpolitische Programm anwenden kann.
"Der Kauf von Staatsanleihen ist sehr wohl erlaubt"
Dobovisek: Der Vertrag von Maastricht klingt jedenfalls sehr eindeutig, wenn er sagt, er verbiete ausdrücklich den Erwerb von Staatsanleihen.
Feld: Na ja, der Vertrag von Maastricht sagt im Artikel 123 Absatz 1, dass die monetäre Haushaltsfinanzierung untersagt ist, aber der Kauf von Staatsanleihen ist sehr wohl erlaubt. Es ist ein normales Instrument der Geldpolitik. Die Frage ist die Frage der Verhältnismäßigkeit, ob die EZB gerade auch mit dem enormen Volumen dieses Anleihekaufprogramms, dieses Staatsanleihekaufprogramms zu weit gegangen ist.
Dobovisek: Ist das denn ökonomisch sinnvoll, wenn wir das juristisch an dieser Stelle nicht klären können?
Feld: Na ja, also einerseits muss man feststellen, dass in der Geldpolitik sehr wohl weitreichende Spielräume für eine unabhängige Notenbank bestehen und bestehen müssen. Dass sie gerade auch in bestimmten Situationen schnell handeln können muss und sich genügend Freiraum vorbehalten muss, um ihre Geldpolitik zu betreiben. Das ist die eine Seite der ökonomischen Rationalität. Auf der anderen Seite haben wir ganz klar – und das hat durchaus auch eine ökonomische Rationalität – Kompetenzzuordnungen in der Europäischen Währungsunion und die EZB darf nichts in die Finanzpolitik der Mitgliedsstaaten hineinreichen. An der Stelle muss es also darum gehen, die Kompetenzabgrenzung sicherzustellen. Und da treffen sich ökonomische und juristische Logik sehr wohl.
"Das Anleiheprogramm hat funktioniert"
Dobovisek: Aber hat das Anleiheprogramm aus Ihrer ökonomischen Sicht funktioniert?
Feld: Das Anleiheprogramm hat funktioniert. Es hat in dem Sinne funktioniert, dass die Inflationsrate hochgegangen ist. Als die EZB dann im Dezember vergangenen Jahres die Anleihekäufe nicht nur fortführte, sondern nur die Höhe der Bilanz beibehalten hat, also wenn Anleihen ausliefen, sie erneuert hat, aber sie hat ihre Bilanz nicht nur ausgeweitet, also nicht mehr zusätzliche Anleihen gekauft, hat sie festgestellt, dass mit der Inflationsrate, die zu dem Zeitpunkt erreicht war und der Dynamik, die wir in der Eurozone hatten, das Programm sehr wohl erfolgreich war. Das lässt sich auch in Studien feststellen, indem man sozusagen das Kontrafaktische festhält, also simuliert, inwiefern wie die Ökonomie aussehen würde ohne dieses Programm.
Dobovisek: Um es mal konkret zu machen, Herr Feld, auf Deutsch gesagt, wären uns die Schuldenstaaten wie Italien ohne dieses Programm um die Ohren geflogen?
Feld: Das können wir nicht sagen, ob die Schuldenstaaten wie Italien uns um die Ohren geflogen wären. Also die eine Auswirkung ist die auf die Konjunktur in der Eurozone und auf die Inflationsrate, und das ist das Vorrangige, was die EZB erreichen will. Sie hat das Ziel der Preisstabilität in erster Linie zu verfolgen, und dahingehend hat das PSPP-Programm der EZB gewirkt. Dass Nebeneffekte auftreten, auch auf die Refinanzierungsbedingungen der Mitgliedsstaaten, das hat jedes geldpolitische Programm, auch in einer Normalsituation. Also wenn Sie die Zinsen von vier auf zwei Prozent senken, dann verbessern sich die Refinanzierungsbedingungen Italiens und Deutschlands. Also von daher ist das eine Nebenwirkung, die ganz normal ist. Ob uns die Staaten um die Ohren fliegen hängt ja sehr davon ab, ob die Tragfähigkeit ihrer öffentlichen Finanzen gesichert ist. Da wird Italien sicher noch einiges unternehmen müssen, aber bislang bei dem Zinssatz, den die Italiener jetzt trotz der Risikoaufschläge haben, sind ihre Schulden noch tragfähig.
"EZB hätte früher mit den Anleihekäufen aufhören können"
Dobovisek: Die Börsen erleben gerade ein Auf und Ab mit zunehmend roten Zahlen und Einbrüchen, die Unsicherheiten insgesamt nehmen zu, Handelsstreit, militärische Konflikte, aktuell die Situation am Persischen Golf zum Beispiel und die Schulden in Italien, wir haben es angesprochen, und anderen EU-Staaten bleiben hoch, aber die EZB hat ja sozusagen ihr Pulver mit anhaltend niedrigen Zinsen und den Anleihekäufen weitestgehend verschossen. Was bleibt der EZB überhaupt noch an Spielraum, den Sie ja gerade angesprochen haben, um weiter agieren zu können?
Feld: Ich höre immer wieder, die EZB habe ihr Pulver verschossen. Ich sehe das nicht so. Also zum einen wird sich ja die Frage stellen auch im Rahmen dieses Verfahrens, ob sie die Möglichkeit hat, ein erneutes Anleihekaufprogramm aufzusetzen, wenn sich die konjunkturelle Lage im Euroraum weiter verschlechtern sollte. Sie hat aber auch die Möglichkeit, andere Programme zu wählen. Sie hat ja langfristige Refinanzierungsgeschäfte, die sogenannten TLTROs aufgelegt gehabt, da hat sie auch wieder Möglichkeiten, mit ähnlichen Programmen voranzugehen und zu sehen, dass über das Bankensystem noch mal ein geldpolitischer Impuls gesetzt wird. Sie kann ja auch andere Anlagen kaufen, Aktien zum Beispiel.
Dobovisek: War es denn richtig, die Zinsen auf diesem niedrigen Niveau zu lassen, anders als die Notenbank in den USA?
Feld: Nun, die Situation im Euroraum war eine andere als in den USA. Die wirtschaftliche Schwäche ist hier deutlicher ausgeprägt gewesen. Die EZB hat sich sehr wohl mit ihrer Geldpolitik auf dem Euroraum insgesamt ausgerichtet. Für Deutschland und Spanien hätten die Zinsen höher sein können, für Italien, Frankreich niedriger. Von daher hat die EZB sehr wohl ihr Mandat verfolgt, im Hinblick auf die Ausrichtung auf den Euroraum. Aber man muss schon auch sagen, wir haben das vonseiten des Sachverständigenrats immer wieder herausgearbeitet in den letzten Jahren, dass unseres Erachtens die EZB etwas zu expansiv gewesen ist. Sie hätte früher aufhören können mit den Anleihekäufen und gegebenenfalls schon in eine Zinserhöhung kommen, dann wären jetzt auch mehr Möglichkeiten da, um wieder eine lockerere Geldpolitik zu betreiben.
"Risikobereitschaft der deutschen Anleger muss steigen"
Dobovisek: Stattdessen sprechen wir bei den Banken von Negativzinsen, die inzwischen sogar an den Verbraucher weitergegeben werden. Menschen mit hohen Einlagen werden inzwischen bei einzelnen Banken negativ bezinst, und auf der anderen Seite steigen die Gebühren für Girokonten. Die "Bild" meldet heute, dass insgesamt in Deutschland inzwischen wieder vier Milliarden Euro für Gebühren für Girokonten entrichtet werden müssen nach der langen Phase von vielen freien Girokonten, die kostenlos waren. Zahlt der Verbraucher insgesamt die Zeche?
Feld: Diejenigen, die ihre Gelder bei Geschäftsbanken halten auf Girokonten einerseits oder in festverzinslichen Anlagemöglichkeiten andererseits, die sind natürlich von dieser Politik negativ betroffen. Sie haben aber auch die Möglichkeit, risikoreicher anzulegen und damit auch höhere Renditen zu erzielen.
Dobovisek: Oder auch höhere Verluste.
Feld: Na ja, das Risiko bedeutet immer Chance und Risiko zugleich, dann hat man Gewinne einerseits oder Verluste andererseits. Das kann immer wieder passieren, so ist das nun mal, aber im Durchschnitt lohnen sich ja risikoreichere Anlagen dann doch deutlich eher als risikoarme. Das Problem haben wir vor allen Dingen bei institutionellen Anlegern. Also ich würde das nicht auf den einzelnen Sparer beziehen. Die institutionellen Anleger, insbesondere die Versicherer, Lebensversicherer, die haben natürlich ganz andere Probleme, weil sie gezwungen sind, sichere Anlagen ins Portfolio zu nehmen.
Dobovisek: Was bleiben dann dem Sparer zu Hause noch, wenn das Sparbuch nicht mehr funktioniert, der Aktienmarkt gerade, wie beschrieben, auf- und abgeht, Gold als grauer Markt gewertet wird, auch von Ihren ökonomischen Kollegen, und Immobilien möglicherweise in einer Blase stecken? Was bleibt dann, um das Vermögen zu schützen, geschweige denn zu vermehren?
Feld: Na ja, Sie sagen es, die Aktien gehen auf und ab. Wenn es ein bisschen wirtschaftlich schlechter läuft, gehen sie nach unten, dann wird man den Punkt abwarten, an dem man einsteigt und kann dann sicherlich auch höhere Gewinne im Aktienmarkt realisieren. Also ich glaube schon, dass die Risikobereitschaft, gerade auch der deutschen Anleger, in dem Umfeld steigen muss und sie bereit sein müssen, in risikoreichere Anlagen zu gehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.