Jule Reimer: Stromkunden in Deutschland zahlen so viel wie nie pro Kilowattstunde. Nach Berechnungen des Vergleichsportals Verivox erreichen die Strompreise derzeit einen neuen Höchststand. Das Portal erwartet einen weiteren Anstieg im Laufe des Jahres. Konkret: Zwei Drittel der über 800 Grundversorger hätten im Januar, Februar und März die Strompreise um durchschnittlich fünf Prozent erhöht.
Ich begrüße am Telefon Andreas Löschel, Professor für Energiewirtschaft an der Uni Münster und gleichzeitig der offizielle Beauftragte, die Energiewende der Bundesregierung zu monitoren. Herr Löschel, woran liegt dieser Anstieg?
Andreas Löschel: Guten Morgen, Frau Reimer. Der Anstieg, den wir jetzt sehen, der hat verschiedene Gründe. Der wichtigste vielleicht ist der Anstieg der Beschaffungspreise für die Versorger. Das heißt, die Preise im Großhandel sind gestiegen und die werden jetzt Schritt für Schritt mit Verzögerung an die Haushalte weitergegeben.
"Die Anstiege werden weitergehen"
Reimer: Wir müssen jetzt damit rechnen, dass es so weitergeht? Wir haben den Kohleausstieg vor uns, wir haben den Atomausstieg vor uns.
Löschel: Ja. Wir sehen eigentlich, dass die Strompreise schon seit vielen Jahren steigen. Diese Dynamik im Anstieg hat sich etwas verlangsamt. Seit etwa fünf Jahren haben wir Preise um die 30 Cent. Aber die Anstiege werden weitergehen. Wir gehen ja aus der Kernkraft raus, wir wollen aus der Kohle rausgehen, die Netze werden ausgebaut, die CO2-Preise steigen. All das wird natürlich auch den Strompreis nach oben treiben.
EEG-Umlage, Netzentgelte, Steuern
Reimer: Muss man unterscheiden zwischen Strompreis und der Belastung durch Steuern?
Löschel: Der Strompreis selber, den die Haushalte sehen, der setzt sich zusammen aus vielen Komponenten. Der eigentliche Preis der Stromerzeugung ist nur ein kleiner Teil davon. Das sind die Großhandelspreise, die gerade mal ungefähr 20 Prozent ausmachen. Der Rest sind tatsächlich Steuern und Abgaben und die sind in den letzten Jahren sehr stark gestiegen, insbesondere die EEG-Umlage, die sich jetzt etwas stabilisiert hat, aber auch Netzentgelte und so weiter. All das sind die wichtigeren Bestandteile bei der Entwicklung des Strompreises.
"In der langen Frist günstigeren Strom"
Reimer: Das ist natürlich nicht jedem Wähler gut zu verkaufen. Wo ist der Sinn der Sache? Sie monitoren die Energiewende. Was läuft da falsch?
Löschel: Die Energiewende ist tatsächlich erst mal kostenintensiv. Der Umstieg auf eine langfristig nachhaltige Stromerzeugung wird Mehrkosten brauchen. Wir gehen davon aus, dass wir dafür in der langen Frist günstigeren Strom bekommen. Aber erst mal kostet es mehr. Wenn man sich anschaut, was die Haushalte denn für Strom ausgeben, dann sieht man, dass sich diese Stromausgaben am Nettoeinkommen sogar leicht nach unten entwickelt haben. Die Einkommen sind gestiegen, die Strompreise nicht im gleichen Maße. Das gleiche gilt, wenn man sich zum Beispiel die Wärme, das Erdgas und das Benzin anschaut. Da gab es eher Entlastungen. Aber in der Wahrnehmung ist das natürlich erst mal anders, wie Sie es gerade beschrieben haben.
"Lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht"
Reimer: Gas ist jetzt auch wieder teurer geworden. Welche Perspektive haben Verbraucher? Das klingt trotzdem nicht vielversprechend. Oder muss man vielleicht die Kosten anders rechnen?
Löschel: Ich glaube, man muss sich einfach vergegenwärtigen, dass wir hier lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht haben, sondern beim Strom mit steigenden Kosten rechnen müssen. Wichtig wäre jetzt, dass wir tatsächlich diese ganzen Steuern und Abgaben, die auf dem Strom liegen, nach unten fahren, eine Strompreisreform machen und das anders finanzieren, um den Strom günstig zu machen für Anwendungen etwa im Bereich der Mobilität, der Elektromobilität oder für die Wärmepumpen und so weiter, dass auch in den anderen Sektoren eine Dekarbonisierung, weniger CO2 durch grünen Strom tatsächlich gelingen kann.
"Kosten-Nutzen-Rechnung ist ganz schwierig"
Reimer: Wir machen das Ganze ja nicht aus Jux und Dollerei, sondern wegen des Klimawandels. Kann man da schon eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen oder ist es so, dass das eine Investition in die Zukunft ist, um größere Schäden und größere Kosten später zu vermeiden?
Löschel: Diese Kosten-Nutzen-Rechnung ist ganz schwierig, weil wir über ganz lange Zeiträume sprechen. Aber wie gesagt: Die Kosten sind heute und der Nutzen ist in der Zukunft und wir gehen davon aus, dass der Nutzen bei Weitem die Kosten übersteigt. Das hat auch der Weltklimarat in seinem letzten Sachstandsbericht dargelegt.
Ich bin ja gerade in Schottland bei einem Arbeitstreffen des Weltklimarates und hier herrscht eigentlich Einigung, dass diese nachhaltige Entwicklung in den Stromsystemen ganz zentraler langfristiger Bestandteil auch einer sinnvollen Wirtschaftspolitik sein muss. Aber wie gesagt: Erst mal kostet es, bevor man dann die Früchte ernten kann.
"Den Ballast der Erneuerbaren schrittweise abbauen"
Reimer: Dann wagen Sie doch mal eine Prognose. Ab wann werden wir denn mit niedrigeren Energiepreisen und dieser Belohnung durch erneuerbare Energien, die billiger sind, rechnen können?
Löschel: Die Erneuerbaren sind ja heute schon sehr günstig. Wenn Sie sich anschauen, dann haben wir die ersten Auktionen bei den Erneuerbaren, die unter dem Großhandelspreis auf der Börse liegen. Das heißt, sie sind heute schon in vielen Bereichen wettbewerbsfähig.
Das Problem ist: Wir müssen die konventionelle Stromerzeugung teurer machen. Kohle und Gas muss einen deutlichen CO2-Preis sehen, damit sich diese Technologien auch tatsächlich gut durchsetzen können. Das ist die Forderung an die Politik, so eine Energiepreisreform zu machen, die konventionelle Stromerzeugung teuer macht, damit dann dieser Ballast, den wir heute auf den Erneuerbaren haben, schrittweise abgebaut werden kann.
Reimer: Andreas Löschel hörten Sie, Professor für Energiewirtschaft an der Uni Münster. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
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