Wer den Kapitalismus zu nutzen weiß, kann viel Geld verdienen. Und in manchen Gegenden in diesem Land ist, deutlich zu sehen, wer das kann. In Berlin-Dahlem etwa, ein Viertel im Südwesten der Stadt. Hier reihen sich Villen aneinander. Vor den Garagen: teure Autos. Direkt gegenüber so einer Villa arbeitet Giacomo Corneo, Professor für öffentliche Finanzen an der Freien Universität Berlin. Seine Gedanken und Vorschläge bilden ein Kontrastprogramm zum wohlhabenden Dahlem. Corneo ist ein Kritiker unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems.
"Ich denke, dass Herrschaftsstrukturen weitgehende soziale Konstrukte sind, die wir allmählich abbauen sollten, um mehr Entfaltungsmöglichkeiten für die Menschen zu generieren, und ich nehme an, dass dies im Allgemeinen als eher links bezeichnet wird."
In seinem Buch fragt Corneo, ob der Kapitalismus ausgedient hat. Der Titel des Buches - "Bessere Welt" - suggeriert, dass Corneo den Leser überzeugen will. Davon überzeugen, dass andere Wirtschaftssysteme dem Kapitalismus, wie wir ihn heute kennen, überlegen sind. Schon der Einstieg des Buches lässt kein gutes Haar am Kapitalismus. In einem fiktiven Dialog beschwert sich eine junge Frau über unser Wirtschaftssystem.
"In welcher Welt lebt Ihr eigentlich? Da sind Banker, die von Eigenkapitalrenditen von 25 Prozent fantasieren und sich deshalb riesige Boni gönnen. Euer Wirtschaftssystem ist verschwenderisch, ungerecht und entfremdend."
Überprüfung von unterschiedlichen Wirtschaftssystemen
Nun wäre es ein wenig platt, wenn ein linker Professor den Kapitalismus kritisiert und Alternativen aufzeigt, die die freie Marktwirtschaft einschränken. Und genau hier bricht Corneo mit den Erwartungen der Leser, und genau das macht sein Buch so spannend. Corneo nimmt den Leser mit auf eine Reise durch die Wirtschaftssysteme. Sie reicht von den Ideen des griechischen Philosophen Platon über die Planwirtschaft bis zum sogenannten Aktienmarktsozialismus. Alle Entwürfe haben einen Anspruch: Sie sollen die Wirtschaft möglichst produktiv, effizient und gerecht machen. Aber sind sie das auch? So viel sei schon jetzt verraten: Corneo wird nur wenig begeistert sein. Der Autor prüft alle Systeme an zwei kritischen Punkten.
"Der Kooperationstest fragt: Kann eine bestimmte Alternative zum Kapitalismus eine ausreichende wirtschaftliche Kooperation herbeiführen? Der Allokationstest prüft, ob ein Wirtschaftssystem für eine vergleichsweise effiziente Ressourcenallokation sorgt."
Der anders gesagt: Alle Individuen sollen miteinander arbeiten, fleißig sein, im Rahmen ihrer Fähigkeiten. Ihr Konsum soll ein für die Wirtschaft gesundes Maß nicht übersteigen. Und die Ressourcen sollen so verwendet werden, dass möglichst viele Bedürfnisse befriedigt werden und möglichst wenig verschwendet wird.
Utopia
Corneos erster Test führt uns nach Utopia, eine fiktive Insel, die der englische Gelehrte Thomas Morus im Jahre 1516 entwarf. Utopia ist eine schöne Insel. Geld gibt es hier gar nicht.
"In jedem Haus der Stadt wohnt nur eine Familie. Die Türen der Häuser sind so gebaut, dass sie nicht abgeschlossen werden können. Privateigentum kennen die Utopier nämlich nicht. Die Handwerker arbeiten sechs Stunden täglich. Das reicht aus, weil es keine unproduktiven Aristokraten gibt, die alimentiert werden müssen. Die Versorgung der einzelnen Familien erfolgt durch den Hausvater. Er prüft das Angebot in den Magazinen und nimmt sich nach Hause, was seine Familie braucht - nicht mehr und nicht weniger."
Klingt ganz gut bis hierhin, nicht wahr? Corneo macht das immer so in seinem Buch: Jedes Wirtschaftssystem klingt am Anfang wunderbar fair und effizient. Dann aber folgt die kritische Prüfung. Würden die Leute von Utopia ausreichend kooperieren? Nein, meint Corneo. Auf Utopia gibt es keine möglichen Entlassungen, keine Arbeitslosigkeit, es gibt noch nicht mal ein Gehalt. Dadurch könnte sich ein Arbeiter zurücklehnen und entspannen - ohne die Folgen zu spüren. Die Folgen für Utopia jedoch wären dramatisch. Auch der Hausvater kann dort zum Problem werden: Denn wer weiß schon, ob er sich im Großlager nur das nimmt, was er braucht? Und nicht gleich das gesamte Sortiment an edlen Speisen? Und das war es dann für die schöne Utopie. Will Giacomo Corneo seine Leser bewusst frustrieren?
"Ich würde nicht von Frust, sondern von Entzauberung reden. Das Problem ist, dass man mit Idealen alleine nicht weit genug geht, man braucht auch Erkenntnis."
Eine Erkenntnis, die Corneo von seinen Studenten und seinem Leser einfordert. Der Wunsch, das Gemeinwohl zu stärken sei ehrenvoll. Aber man müsse unvoreingenommen bleiben. Manch ein Student hat Corneo sicherlich schon nach dem bedingungslosen Grundeinkommen gefragt. Auch dieses Konzept diskutiert Corneo in seinem Buch.
"Ein Recht auf Einkommen würde die Menschen von den Zwängen des Marktes, im Besonderen des Arbeitsmarktes, weitgehend befreien. Arbeit wäre primär nicht mehr ein Mittel zum Zweck der eigenen Versorgung."
Auch das klingt gut, aber auch da schwenkt Corneo mitten im Kapitel um.
"Ich glaube, dass das bedingungslose Grundeinkommen, wenn es wirklich großzügig und einen radikalen Umbruch stiften sollte, dann ist diese Idee nicht wirklich finanzierbar. Und dann gibt es ein grundsätzliches Problem. Nämlich, dass in einer sehr heterogenen Gesellschaft das bedingungslose Grundeinkommen dazu führen kann, dass einzelne Gruppen sich verabschieden, vom Bürgergeld leben auf Kosten der anderen und damit den Bann der Brüderlichkeit sprengen, und das ist etwas, was auch linke Studenten nicht mögen dürfen."
Ideen eine Chance geben
Corneos Reise ist faszinierend. Weil sie Hoffnungen weckt und wieder zerstört. Weil sie Ideen eine Chance gibt und glaubhaft darlegt, warum sie scheitern müssen.
"Unsere Rundreise hat bestätigt, dass es nicht reicht, festzustellen, dass der Kapitalismus ineffizient, ungerecht und entfremdend ist. Die wirkliche Herausforderung besteht darin, eine glaubhafte überlegene Alternative zum heutigen System in Aussicht zu stellen. Und in dieser Hinsicht ist viel Bescheidenheit angesagt."
Am Ende des Buches hat Corneo eine Utopie nach der nächsten zu Nichte gemacht. Da legt der Autor überraschend doch noch eine Schippe drauf: Er fordert, dass zumindest in Teilen ein Aktienmarktsozialismus eingeführt wird. Marktwirtschaft ohne Kapitalisten sei das dann, die Aktiengesellschaften kämen in öffentliche Hand, die Dividenden würden in die Staatskasse fließen. Marktsozialismus - bei manchen Nachbarn in den Villen von Berlin-Dahlem dürfte der Ökonom der Freien Universität damit Entsetzen auslösen. Und es scheint so, als fände Giacomo Corneo das ganz gut.
"Wenn man Porsche fährt, aber die Straßen, über die man fährt, voller Löcher sind, dann kann man auch nicht so viel schneller als ein Fiat Cinquecento-Fahrer fahren, und deshalb ist es auch in ihrem Interesse, dass der Staat mehr Mittel bekommt, um die Straßen auch in Ordnung zu halten."