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"Ökostrom wird als Sündenbock deklariert"

Regierung und Opposition diskutieren über Möglichkeiten, den durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gestiegenen Strompreis zu senken. Im Gespräch ist unter anderem die Erhöhung des Grundfreibetrags bei der Stromsteuer für Verbraucher. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält das für sinnvoll - geht aber noch weiter.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Jule Reimer | 04.02.2013
    Jule Reimer: Wie sind die Strompreise in den Griff zu bekommen? Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat vorgeschlagen, teilweise die Stromsteuer auszusetzen, und zwar den Steuerbetrag für die ersten 1000 Kilowattstunden, die jeder Deutsche pro Jahr verbraucht. Die Stromsteuer macht rund zehn Prozent des Strompreises aus, macht also pro Kilowattstunde um die zweieinhalb Cent, bei 1000 Kilowattstunden 25 Euro, die pro Kopf ein jeder sparen würde im Jahr. – Claudia Kemfert ist die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Sie war einmal als Parteilose für das Schattenkabinett von Norbert Röttgen (CDU) für Nordrhein-Westfalen aufgestellt. Frau Kemfert, ich begrüße Sie am Telefon. Ist die Ankündigung Gabriels Wahlkampf aus der komfortablen Oppositionsposition heraus, oder hat die Idee von ihm Hand und Fuß, um die Strompreise sozial verträglich zu machen?

    Claudia Kemfert: Also zumindest ist es mal eine Diskussion, die ich mir auch sehr gewünscht habe, dass man auch alle Komponenten einmal auf den Tisch legt und anschaut, was es für Möglichkeiten gibt, und wir haben selbst in einer Studie im vergangenen Jahr eben eine solche Erhöhung des Grundfreibetrages einmal vorgeschlagen, auch durchgerechnet. Das würde in der Tat auch zu einer Entlastung führen, aber eben nicht nur von einkommensschwachen Haushalten, sondern von allen Haushalten, und da war unser Vorschlag, wenn man wirklich die einkommensschwachen Haushalte im Blick hat, würde es mehr Sinn machen, dass man das noch koppelt mit finanzieller Unterstützung von Strom sparenden Geräten, also direkte Finanzhilfen für einkommensschwache Haushalte. Das wäre zu finanzieren aus diesen zusätzlichen Einnahmen aus der Mehrwertsteuer bei der EEG-Umlage. Das ist auch durchaus machbar und finanziell auch möglich.

    Reimer: Hätten Sie nicht auch Sorge, dass bei der Befreiung von der Stromsteuer letztendlich die Energieunternehmen dann doch das ausnutzen und die Preise erhöhen?

    Kemfert: Ja, die Sorge habe ich durchaus. Deswegen plädiere ich ja auch sehr stark dafür, dass man die Transparenz erhöht, dass man bundesweit einheitliche Rechnungen hat für die Privathaushalte, dass man genau erklärt, wie sich der Strompreis zusammensetzt, genau wie man es bei der EEG-Umlage auch hat, dass man sieht, was geht an die Konzerne, was haben wir an Netzentgelten, was sind die Börsenpreise, die im Moment ja stark sinken, aber nicht beim Verbraucher ankommen, eben weil die Energiekonzerne das ausnutzen und die preissenkenden Faktoren eben gerade nicht weiterreichen, dass man da schon mal eine Basis hat, wo jeder sehen kann, hier gibt es eine transparente Information und dann auch die Information hat, um zu wechseln, oder auch die Konzerne stärker in die Pflicht zu nehmen, dass sie mehr Transparenz haben und ausweisen und auch die preissenkenden Faktoren weitergeben.

    Reimer: Bleiben wir mal bei den Unternehmen. Da hat ja Bundesumweltminister Altmaier vergangene Woche auch bei der Vorstellung seiner Variante einer Strompreisbremse zum Beispiel gesagt, er wolle bestimmte Vergünstigungen kürzen. Gleichzeitig hat er aber auch Vorschläge gemacht, die nach Ansicht der Windmüller und der Solaranlagenhersteller auf ein Ausbremsen der Energiewende hinauslaufen. Was empfehlen Sie?

    Kemfert: Grundsätzlich finde ich es richtig, dass man diese faire Verteilung im Blick hat, dass man auch energieintensive Unternehmen sich genau anschaut, dass man nur für die wirklich Ausnahmen gibt, die auch wirklich im internationalen Wettbewerb stehen und hohe Energiekosten haben.

    Reimer: Und das war bisher nicht so der Fall?

    Kemfert: Es sind mehr reingekommen und das gehört auf den Prüfstand, weil damit die Privathaushalte zu stark einseitig belastet werden. Der zweite und dritte Faktor: Diesen Energie-Soli für Altanlagen halte ich für problematisch, auch rechtlich vermutlich problematisch. Der zweite Faktor, dass man die Deckelung einführt. Die EEG-Umlage ist auch schwierig. So kann man die Energiewende eben gerade nicht schaffen, weil wir wollen ja die erneuerbaren Energien ausbauen. Da hätte ich mir gewünscht, man geht grundsätzlich ans EEG heran. Es gibt ja Effekte, beispielsweise der gesunkene Börsenpreis, der auch beim Verbraucher ankommen müsste und der dazu führt, dass die Umlage so stark steigt. Das gehört auch zur Wahrheit dazu. Da wird im Moment der Ökostrom als Sündenbock deklariert, das finde ich sehr schade.

    Reimer: Professor Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Danke für das Gespräch.

    Kemfert: Ich danke Ihnen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.