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Ökosystem im Regenwald
Archäologe: Baumringe verraten menschliche Eingriffe

An der Zahl der Jahresringe lässt sich das Alter eines Baumes ablesen - und die Dicke der Ringe liefert eine genaue Chronik seiner Lebensbedingungen. Dabei lassen sich auch menschliche Eingriffe in das Ökosystem identifizieren, erläutert der Archäologe Patrick Roberts im Dlf.

Patrick Roberts im Gespräch mit Lennart Pyritz |
Bildnummer: 51726377 Datum: 02.04.2004 Copyright: imago/imagebroker/möbus Jahresringe eines Baumstamms , Strukturen; 2004, Jahresring, Ring, Ringe, Baumstamm, Baumstämme, Stamm, Stämme, Querschnitt, Chronologie, Dendrochronologie; , quer, Kbdig, Einzelbild, Deutschland, , o0 Baum, Bäume
An den unterschiedlich dicken Jahresringen lassen sich klimatische Veränderungen, aber offenbar auch menschliche Eingriffe in das Ökosystem ablesen (Foto: imago/imagebroker/möbus)
Lennart Pyritz: Gibt es Ruhephasen beim Wachstum eines Baumes – zum Beispiel durch winterliche Kälte oder periodische Trockenzeiten –, bilden sich sogenannte Jahresringe im Holz. Deren Breite erlaubt dadurch Rückschlüsse auf das Alter und die Wachstumsbedingungen. Ein Forschungsteam hat jetzt die Baumringe von Paranussbäumen im Amazonas-Gebiet genau analysiert und schreibt im Fachmagazin PLOS ONE, dass sich daran unterschiedliche Phasen der Waldbewirtschaftung durch den Menschen in den vergangenen 400 Jahren rekonstruieren lassen. Ich habe vor der Sendung mit einem der Studienautoren telefoniert: Patrick Roberts vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Meine erste Frage war, wo und wie die Baumring-Analysen für die Studie durchgeführt wurden.
Patrick Roberts: Wir haben die Baumringanalysen südlich von Manaus im Zentrum des Amazonas-Regenwaldes durchgeführt. Dabei haben wir uns auf die Paranuss fokussiert. Diese Pflanze ist auch in Europa sehr bekannt, wurde aber bereits über 10.000 Jahre von indigenen Gruppen im Regenwald genutzt. Wir haben am Untersuchungsstandort eine Ansammlung von 67 Bäumen untersucht. Wir haben ihren Umfang gemessen und anschließend Bohrkerne aus den Stämmen mit Hilfe eines kleinen Kernbohrers entnommen. Die Kerne sind etwa einen Zentimeter im Durchmesser groß, und die Bäume nehmen dadurch keinen Schaden. Anschließend wurden die Bohrlöcher mit einem natürlichen Harz verfüllt, um den Baum vor Pilzbefall oder Infektionen zu schützen. Die Bohrkerne liefern uns wertvolle Erkenntnisse über das Wachstum der Bäume in einer bestimmten Zeit, da deren Alter anhand der Jahresringe gezählt werden kann.
Abgleich mit klimatischen und historischen Daten
Pyritz: Welche Phasen des Waldmanagements konnten Sie anhand dieser Baumringe identifizieren und charakterisieren?
Roberts: Wir waren in der Lage, Unterschiede in der Wachstumsrate der Bäume und der Anzahl der Bäume in einem Verbund zu bestimmen. Diese Resultate haben wir dann mit Klimaaufzeichnungen sowie archäologischen und historischen Befunden verglichen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Paranuss-Bestände im Zuge der Expansion des postkolonialen Manaus in der Mitte des 18. Jahrhunderts zurückgingen. Das war offenbar eine Folge von Kriegen und Krankheiten, von denen die indigene Bevölkerung und deren Managementstrategien betroffen waren. Eine zweite Phase mit beispiellosen Wachstumszyklen geht einher mit dem Beginn der industriellen Harzgewinnung im 20. Jahrhundert. Einen großen Teil dieses Harzes nutzte die Industrie während des Zweiten Weltkrieges.
Pyritz: Was sind denn die konkreten Gründe für die unterschiedlich ausgeprägten Baumringe?
Roberts: Baumringe entstehen, wenn ein Baum wächst. Je größer der Baumring, desto mehr ist der Baum in einer bestimmten Zeit gewachsen. Die Paranuss benötigt dafür viel Licht. Das heißt, die Bäume wachsen besser, wenn natürliche Störungen wie beispielsweise Feuer, Stürme, Überflutungen oder Dürren den Wald ausdünnen. Wir wissen aber auch, dass indigene Völker aktiv in den Wald eingegriffen haben. Die Menschen haben Lichtungen geschaffen, um so das Wachstum der Paranuss zu fördern. Wenn wir also keinen Zusammenhang zwischen dem stärkeren Wachstum der Paranuss und klimatischen Einflüssen sehen, können wir davon ausgehen, dass Menschen die Ursache dafür waren. Das haben wir zusätzlich mit historischen Aufzeichnungen abgeglichen.
Bäume als Zeitzeugen der Geschichte
Pyritz: Für welche anderen Forschungsfragen könnte ihr Ansatz in Zukunft auch hilfreich sein?
Roberts: Für mich persönlich ist besonders spannend, dass unsere Untersuchungen zeigen, dass heute lebende Bäume uns etwas über die Beziehung von Mensch und Umwelt in der Vergangenheit verraten können. Diese Methode ist prinzipiell überall auf der Welt anwendbar, wo es langlebige Bäume als Zeitzeugen der Geschichte gibt. Der Erstautor unserer Studie wird nun ein Projekt starten, in dem er diese Methode über größere Flächen im Amazonasgebiet und weiter zurückgehend in der Zeit anwenden wird. Er wird dafür sehr viel ältere Bäume als in dieser Studie untersuchen. Ziel des Projekts ist es zu verstehen, inwieweit die Ankunft der Kolonialmächte das Waldmanagement in Südamerika in großem Maßstab verändert hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.