Archiv

Ölkatastrophe im Wattenmeer
20 Jahre nach der "Pallas"-Havarie

Vor 20 Jahren gerät der mit Öl beladene Holzfrachter "Pallas" unkontrollierbar in Brand. Hubschrauber retten zwar die Besatzung, die führerlose "Pallas" aber treibt vor die deutsche Küste. Tausende Seevögel sterben in der größten Ölpest der Geschichte des Wattenmeers.

Von Lutz Reidt |
    . Die Havarie des Holzfrachters Pallas hat 1998 zu einer der größten Ölverschmutzungen im Naturpark Wattenmeer geführt
    Der gestrandete Holzfrachter "Pallas" löste 1998 die größte Ölpest im Wattenmeer aus (picture alliance/dpa/Ingo Wagner)
    Wenn Klaus Günther durchs Wattenmeer zwischen Amrum und Föhr stapft, ist er buchstäblich in seinem Element. Die Rufe der Wattvögel sind dem Biologen von der Schutzstation Wattenmeer seit Jahrzehnten vertraut, ebenso der unvergleichliche Duft des Meeresbodens, den die Gezeiten Tag für Tag preisgeben, um ihn nach einigen Stunden wieder unter der graubraunen Wasserdecke zu verbergen. Die Welt im Watt - so hat es den Anschein - ist wieder heil.
    Die Dunkelziffer der verendeten Seevögel ist weitaus höher
    Vor 20 Jahren war das ganz anders. Damals starben hier tausende von Seevögeln. Pechschwarz und verklebt war ihr Gefieder. Die öligen Ausscheidungen der "Pallas" wurden ihnen zum Verhängnis.

    "Man muss zunächst mal feststellen, dass bei der "Pallas"-Havarie und der Ölverschmutzung in der Folge hier etwa 15.000 Eiderenten und 1.000 bis 2.000 Trauerenten ums Leben gekommen sind. Das ist die Zahl der Vögel, die wir hier gefunden haben und registrieren konnten. Die Dunkelziffer könnte weitaus höher liegen: Also das könnten sicherlich noch doppelt so viele gewesen sein, denn viele Enten sind auch weit draußen auf dem Meer gewesen oder es war Ostwind teilweise, und wer weiß, wieviel Kadaver einfach abgetrieben worden sind und nicht hier an die Strände gekommen sind."

    Wie hoch diese Dunkelziffer der verendeten Seevögel tatsächlich war, lässt sich nicht beziffern, sagt auch Hans-Ulrich Rösner. Der Biologe leitet das Wattenmeer-Büro der Naturschutzorganisation WWF in Husum:

    "90 Prozent der Vögel des Wattenmeeres sind ja Brutvögel, die aus dem Arktis zu uns kommen, die ja auch hier die Wattflächen nutzen. Von Öl sind dann eher Vögel betroffen, die gar nicht so sehr auf den Wattflächen unterwegs sind, das kann auch passieren, wenn sehr viel Öl auf die Wattflächen kommt, aber meistens sind es Vögel, die herum schwimmen, also Enten und Gänse, oder Alken, eine Gruppe von Seevögeln, die eben auf dem Wasser noch mit dem treibenden Öl in Berührung kommen und ihr Gefieder so stark verschmutzen, dass die Menge groß genug ist, dass sie letztendlich dadurch, dass sie das mit Schnabel aufnehmen, danach dann sterben."
    Für Sicherheit ist im ruinösen Welthandel kein Geld mehr übrig
    Seit der "Pallas"-Katastrophe hat es einige Beinahe-Havarien gegeben. Der jüngste Zwischenfall ist genau ein Jahr her. Das Sturmtief "Herwart" trieb den gut 220 Meter langen Schüttgutfrachter "Glory Amsterdam" in Richtung Küste.
    Ebenso wie die "Pallas" vor Amrum lief auch dieser Havarist auf Grund, kurz vor Langeoog, im Niedersächsischen Nationalpark Wattenmeer - mit 140 Tonnen Marinediesel und 1.800 Tonnen Schweröl an Bord. Davon ist nichts ausgetreten. Nochmal Glück gehabt, meint Hans-Ulrich Rösner - doch sei dies keine Garantie für die Zukunft.
    Grund allen Übels dürfte ohnehin der ruinöse Wettbewerb im Welthandel sein, der auf Kosten der Sicherheit gehe:

    "Im Grunde darf der Transport eines Containers von China nach Europa eigentlich so gut wie nichts mehr kosten. Und wenn es nichts mehr kostet, dann hat man auch kein Geld, um Besatzungen ordentlich zu bezahlen. Dann hat man auch kein Geld, das Schiff sicher zu machen. Dann hat man auch kein Geld, so zu fahren, dass man keine unnötigen Risiken eingeht. Zum Beispiel bei schweren Stürmen, bei denen natürlich viel leichter Havarien passieren, nicht zu fahren und, und, und. Und dieser letztlich vom Welthandel ausgelöste Druck, dass Transport nichts mehr kosten darf, das ist das eigentliche Problem, was all diese Probleme letztendlich hervorruft."
    Ein Super-Gau im August hätte noch schlimmere Ausmaße gehabt
    Vor 20 Jahren erreichten die öligen Gemische aus dem Wrack der "Pallas" erst im November die Strände von Amrum, Sylt und Föhr sowie den Halligen im schleswig-holsteinischen Wattenmeer. Zu dieser Zeit hatten bereits viele Seevögel die Region verlassen, um ihre Winterquartiere in wärmeren Gefilden aufzusuchen. Es hätte aber auch anders kommen können:

    "Bisher hatten wir zum Glück noch nie den Fall, den GAU, den größten anzunehmenden Unfall hier im Wattenmeer. Wenn es hier mal so richtig kracht und ein riesiger Öltanker im August das Wattenmeer verseucht, dann haben wir es hier nicht mit 15.000 toten Vögeln zu tun, sondern mit 150.000 bis 500.000 toten Vögeln. Und dann sind ganze Populationen bedroht. Und das hat dann wirklich ganz andere Ausmaße und Dimensionen."