Wilde Klippen, malerische Buchten, spektakuläre Sandstrände. Pembrokeshire in Südwales: Ferienregion, Naturreservat, Küsten-Nationalpark. Und einer der wichtigsten Öl- und Gashäfen Europas. In der Nacht zum 16 . Februar 1996 dann die Katastrophe. Der Supertanker Sea Empress läuft an der Einfahrt zu Milford Haven auf Grund. Das Schiff ist auf dem Weg zu einer Öl-Raffinerie. An Bord sind 130.000 Tonnen Nordsee-Rohöl. Davon laufen in den nachfolgenden Tagen rund 73.000 Tonnen aus. Auch die Treibstofftanks schlagen Leck.
Über dem Gebiet liegt ein unerträglicher Ölgestank, erzählt David Bray vom walisischen Fischerverband. Am Strand erwartet ihn ein schockierender Anblick. Das Wasser ist mit einem schillernden Ölteppich bedeckt, und auf dem Sand findet er unzählige Herzmuscheln, die nicht nur als Nahrung für Vögel, sondern auch für die Filtrierung des Meerwassers so wichtig sind.
"Die ganze Nahrungskette ist unterbrochen. Die Vögel, die Fische, unsere Fanggründe – alles gefährdet."
Umgehend werden Überwachungshubschrauber in die verseuchte Zone entsendet. Freiwillige Hilfsmannschaften fangen verölte Seevögel, um sie zu reinigen. Aber bald stellt sich heraus: selbst gesäuberte Tiere können höchstens neun Tage überleben.
Radar außer Betrieb
Die Katastrophe entfaltet sich wie in Zeitlupe. Später ist von einer unglücklichen Verkettung der Umstände die Rede. Und von Schlamperei seitens der Behörden. Über 200 Kilometer Strand sind verseucht, die Tourismusindustrie fürchtet um ihre Zukunft, tausende von Seevögeln sterben. Besonders schwer betroffen sind überwinternde Vögel, die ihre Nahrung ausschließlich im küstennahen Meer finden.
Die Havarie passierte kurz nachdem ein Lotse an Bord gegangen war. Das Schiff steckte zu diesem Zeitpunkt bereits in den Untiefen nahe der Hafeneinfahrt. Später erklärte der Lotse, er habe viel zu wenig Zeit gehabt, um mit dem Kapitän einen Passageplan zu erstellen. Außerdem sei das Radar schon seit Monaten außer Betrieb gewesen.
Hinzu kam aber auch noch ein weiterer Faktor: Die Schlepper vor Ort waren zu schwach, um das über 270 Meter lange Schiff aus der Gefahrenzone zu ziehen. Schlechtes Wetter und starke Strömungen verschärften die Lage. Und so mussten die Menschen rund um die Bucht hilflos zusehen, wie der bereits angeschlagene Tanker tagelang in den Wellen trieb und zuletzt eine Felsspitze rammte, die seinen Rumpf aufschlitzte und sich tief in den Schiffsboden bohrte. Erst als sich das Wetter beruhigte, wurde der Tanker geborgen. Es dauerte über fünf Jahre, bis die Küste gesäubert war. Die Aufräumarbeiten kosteten 60 Millionen Pfund. Die Hafenbehörde von Milford Haven wurde zunächst zu einem Bußgeld von vier Millionen Pfund verurteilt, das später auf 750.000 Pfund reduziert wurde. Die Schuldfrage blieb letztendlich offen.
Im Grunde sind wir alle verantwortlich, kommentiert allerdings der Naturforscher Iolo Williams auf der Webseite Walesonline. Er hatte das Unglück mit eigenen Augen verfolgt.
"Wir verbrauchen alle viel zu viel Treibstoff. Und denken alle viel zu wenig über die Konsequenzen und Risiken nach. Ich bin mir sicher: so ein Unglück wird wieder geschehen, und hoffe nur, dass dann weniger Pannen passieren als damals. Im Grunde hatten wir noch Glück im Unglück: der Februar war sozusagen der beste Zeitpunkt für eine Havarie. Im Mai oder Juni hätten sich Hunderttausende Seevögel und Robben mehr in der Region aufgehalten.
"Wir arbeiten hart, um die Auswirkungen auf die Umwelt zu verringern", behauptet das Werbevideo der Hafenbehörde von Milford Haven. Aber der Fall der Sea Empress zeigt: Es ist schwer, die Interessen von Umwelt und Kommerz zu vereinbaren."
Seit dem Unglück wechselte die Sea Empress gleich mehrfach den Namen: erst hieß sie Sea Spirit, dann Front Spirit, dann Ocean Opal, dann Welwind und schließlich wurde sie auf Wind Three umgetauft. In Milford Haven ließ sich das Schiff allerdings - auch inkognito - nie wieder blicken.