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ÖPNV in deutschen Großstädten
"Wir sind überfüllt“

Sitzplätze sind Fehlanzeige: Busse, Bahnen und Züge in deutschen Großstädten kommen an ihre Grenzen. 2018 gab es einen neuen Fahrgastrekord. Die Unternehmen fordern: Das Angebot muss dringend ausgebaut werden, schon allein aus Klimaschutzgründen.

Von Dieter Nürnberger |
    Reisende in einem Stuttgarter U-Bahnhof.
    Vor allem im Berufsverkehr stößt der ÖPNV an seine Grenzen (imago/Lichtgut)
    Es ist der 21. Fahrgastrekord in Folge: 2018 fanden 10,4 Milliarden Fahrten im Öffentlichen Personennahverkehr statt, ein Plus von 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Doch ist die Entwicklung nicht überall gleich, denn vor allem in den Großstädten boomt der Verkehr mit Bussen, Straßenbahnen und Zügen. Fast die Hälfte der Fahrgäste steige hier ein und aus. Somit sicherlich eine positive Bilanz, sagt Ingo Wortmann, der Präsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen, VDV - doch stoße man inzwischen vielfach an Kapazitätsgrenzen:
    "Wir sind überfüllt, wir brauchen dringend einen Kapazitätsausbau. Sowohl, was die Strecken angeht, als auch was die Takte angeht. Bei den U-Bahnsystemen - bei einem Zwei-Minuten-Takt wird es schwierig. Und eine Buslinie kann man ohne Ende auch nicht immer weiter verdichten. Weil die Busse ansonsten im Konvoi fahren, beziehungsweise gar nicht mehr über die Ampeln kommen."
    Verkehrsunternehmen sind gegen eine niedrige ÖPNV-Flatrate
    Für die Erneuerung von Strecken, Haltestellen und Bahnhöfen im städtischen ÖPNV fehlten inzwischen rund 5 Milliarden Euro. Von den Kosten eines vielerorts notwendigen Ausbaus ganz zu schweigen. Die Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf stiegen zwar um 1,3 Prozent, doch werde inzwischen jeder erwirtschaftete Euro direkt wieder in die jeweiligen Betriebe investiert. Kapazitätsengpässe auf der einen, Fahrgastrekorde auf der anderen Seite - da bleibe wenig Spielraum. Weshalb der VDV auch politische Forderungen nach einer deutlichen Preissenkung ablehnte. Verbandspräsident Wortmann:
    "Wenn wir jetzt eine niedrige Flatrate im ÖPNV - politisch gewollt - einführen, führt das dazu, dass wir am Ende Schwierigkeiten haben, das Geld zu bekommen, welches wir für den Angebotsausbau des ÖPNV brauchen."
    Elektrobusse sind noch die absolute Ausnahme
    Der Angebotsausbau sei allein aus Klimaschutzgründen geboten, denn die Emissionen im städtischen Verkehr müssen sinken. Das Ziel der rund 600 Mitgliedsunternehmen heißt: Jährlich 15 Millionen Tonnen Co2 einzusparen. Das entspricht rund 20 Prozent der im gesamten Verkehrsbereich notwendigen Minderungen. Neben den dafür notwendigen finanziellen Rahmenbedingungen, die Bund und Länder garantieren müssten, schlägt der VDV auch die Umwidmung von Straßenraum beispielsweise für Busspuren vor, ebenso Planungs- und Baubeschleunigungen beim Ausbau der Infrastruktur. Auch Unternehmen, die etwa vom Ausbau einer bestimmten Strecke profitieren würden, kämen als Drittfinanzierer in Frage.
    Perfekt für die Klimabilanz wären natürlich batteriebetriebene Elektrobusse. In den meisten Großstädten sollen sie bis 2030 die herkömmlichen Dieselbusse ersetzt haben. Bundesweit sind heute 35.000 Busse im ÖPNV unterwegs, rein elektrisch fahren derzeit aber nur etwa 100. Ähnlich wie in der PKW-Sparte habe man hierzulande wohl einen innovativen Trend verschlafen, sagt VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolf. "Insofern muss man sagen: Aufwachen und produzieren!" Preissteiggerungen und Lieferengpässe - so schnell wie politisch gefordert, werden die E-Busse wohl nicht anrollen.