Archiv

Österreich
Indirekte Medienförderung als Einfallstor für Korruption?

Inseratenkorruption lautet ein Vorwurf gegen den zurückgetretenen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz. Der Fall zeige, was seit vielen Jahren in Österreich systematisch möglich sei, sagte der Medienforscher Andy Kaltenbrunner. Die Medienförderung müsse dringend transparenter werden.

Andy Kaltenbrunner im Gespräch mit Christoph Sterz / Text: Isabelle Klein |
Titelseite der Tageszeitung "Österreich" vom 12.01.2020 mit der Schlagzeile "Umfragensensation" und einem Foto von Sebastian Kurz.
Sebastian Kurz auf dem Titel der Tageszeitung "Österreich", deren Berichterstattung er sich teilweise durch staatliche Anzeigen erkauft haben soll (IMAGO / Manfred Segerer)
Manipulierte Umfragen und Artikel gegen staatliche Anzeigen - dem gerade zurückgetretenden Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wird vorgeworfen, sich mit Steuergeld eine positive Berichterstattung erkauft zu haben. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Österreich ermittelt nun gegen ihn und einige seiner engsten Vertrauten wegen des Verdachts der Untreue, der Bestechung und Bestechlichkeit.
Konkret soll die auflagenstarke Gratiszeitung "Österreich" des Medienunternehmers Wolfgang Fellner staatliche Anzeigen bekommen und im Gegenzug dafür gesorgt haben, dass fingierte Umfragen und Artikel im Blatt erschienen sind.
Bundeskanzler Sebastian Kurz bei einem Statement zu seinem Rücktritt.
Rücktritt von Sebastian Kurz - Der Kanzler, die Medien und die Korruptionsvorwürfe
Wegen der Korruptionsermittlungen ist Sebastian Kurz als Österreichs Bundeskanzler zurückgetreten. Die Kritik einer "Anzeigenkorruption" ist nicht neu. Ein Überblick.
Für den Medienforscher Andy Kaltenbrunner zeigt diese Art von Inseratenkorruption, "was seit vielen Jahren in Österreich systematisch möglich ist". Die Inseraten- und Förderpolitik von Österreichs Bundesregierung sei in den vergangenen Jahren besonders bei den Tageszeitungen aus dem Ruder gelaufen.

Vor allem die Boulevardmedien profitierten von Inseratenausgaben

Kaltenbrunner hat die Inserate der Bundesregierung und der Ministerien in Österreichs Tageszeitungen und die Presse- und Rundfunkförderung im Pandemiejahr 2020 für eine Studie analysiert.
Demnach hat die österreichische Regierung 2020 rund 33,5 Millionen Euro für Medienkooperationen mit Tageszeitungen und deren Onlinemedien ausgegeben - "der mit Abstand höchste Wert seit Einführung der Medien-Transparenzdatenbank vor einem knappen Jahrzehnt", heißt es in der Analyse. 57 Prozent oder 19 Millionen Euro von diesem Etat seien dabei in Boulevardmedien geflossen, allen voran "Kronen Zeitung", "Heute" und Fellners "Österreich".
Wolfgang Fellner bei den Salzburger Festspielen neben einer Frau
Wolfgang Fellner, Chef der Österreich Mediengruppe, dementiert, in die Korruptionsaffäre um Sebastian Kurz involviert zu sein (IMAGO / SKATA)
Während in Deutschland im Corona-Jahr 2020 vor allem die Werbeausgaben des Bundesgesundheitsministeriums zu Buche schlugen - das Ministerium gab mit etwa 65 Millionen Euro bis Mitte November 2020 etwa so viel Geld für Werbemaßnahmen aus wie im Vorjahr alle Ministerien und die Regierung zusammen - habe in Österreich das Gesundheitsministerium dem Bundeskanzleramt die Gesamtverantwortung für die Corona-Kampagnen überlassen: Die Inseratenausgaben des Kanzleramtes an Tageszeitungen haben sich laut Kaltenbrunners Analyse auf rund 15 Millionen Euro vervielfacht.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz auf dem EU Gipfel im Mai 2021
Klenk ("Der Falter"): Rückkehr von "Partei-Propaganda"
Ein ehemaliger "Krone"-Journalist hat enthüllt, wie gezielt die österreichische Regierung den Boulevard für ihre Zwecke nutzt. "Die klassischen Medien sind nicht stark genug gerüstet", warnt "Falter"-Chef Florian Klenk.

Inseratenpolitik macht einzelne Medienhäuser "sehr abhängig"

Insgesamt habe die öffentliche Hand in Österreich 222 Mio Euro für Inserate ausgegeben, sagte Kaltenbrunner im Dlf. Das sei das fünf- bis zehnfache pro Kopf wie in Deutschland. "Es geht um eine Menge Geld, das immer existentiell bedeutsamer wird für die einzelnen Medienhäuser."
Bei Zeitungen wie "Österreich" mache die öffentliche Förderung zwischen 20 und 40 Prozent der Umsätze aus, "das ist eine totale Schräglage, wenn das nicht transparent geschieht, und macht das Geschäftsmodell sehr abhängig". Andere Tageszeitungen, die ihr Geschäftsmodell Print und Online wesentlich auf Vertriebserlöse aufbauen oder die digitale Transition ihres Journalismus forcieren, würden durch diese Inseratenpolitik benachteiligt.

"Paradigmenwechsel" bei der staatlichen Presse- und Privatrundfunkförderung

Auch bei der staatlichen Presse- und Privatrundfunkförderung habe es im Pandemiejahr 2020 eine Verschiebung gegeben. Laut Kaltenbrunners Analyse wurden 2020 die "Kronen Zeitung" und die beiden Gratisblätter "heute" und "Österreich" erstmals höher mit staatlicher Förderung unterstützt als die nationale Qualitäts- und die Regionalpresse.
Allerdings mache die Presseförderung in Österreich weniger als zehn Millionen Euro aus – dem gegenüber stünden die 200 bis 300 Millionen Euro für öffentliche Inserate, die zu einer indirekten Medienförderung führten. "Will man Medien fördern? Dann braucht es klare Gesetze und Regelungen", so der Medienforscher.
Mehr Transparenz könne erreicht werden, indem die öffentliche Hand anhand klarer Zielvorstellungen und Zielvorgaben offenlege, wozu Werbung erfolge und was damit erreicht werden solle.
Sebastian Kurz, Ex-Bundeskanzler Österreichs, tritt durch eine Tür
Publizist Pilz: "Kampf um den Rechtsstaat ist noch lange nicht ausgestanden"
Der österreichische Publizist Peter Pilz geht davon aus, dass aus den Ermittlungsakten gegen den zurückgetretenen Kanzler Sebastian Kurz noch Schwereres auf die ÖVP zukomme. Er glaubt, dass die ÖVP nun alles versuchen werde, um das zu stören.