Armin Thurnher ist ein angesehener Mann. Als Mitbegründer der linksliberalen Wiener Wochenzeitung "Falter" ist der 67-Jährige eine Art austriakische Mischung aus "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und "Freitag"-Herausgeber Jakob Augstein, von einer intellektuellen Klientel ebenso geschätzt wie von den gebildeteren Mitgliedern der politischen Klasse. Thurnhers aktuelles Buch erscheint, verlagsstrategisch listig gewählt, im Vorfeld der österreichischen Bundespräsidentenwahl - einem Ereignis, dem der Publizist mit einem gewissen Bangen entgegenblickt.
"Meine These ist: dass es möglich ist, dass Österreich die Farce ist, die der Tragödie vorangeht. Um das Verhältnis mal umzukehren, und dass hier - und das rechtfertigt auch die Aufmerksamkeit Europas - dass hier möglicherweise so ein Paradigmenwechsel stattfinden kann, also dass eine Rechte an die Macht kommt, die man mit gewissem Recht auch als faschistisch bezeichnen kann, zumindest in Teilen, und das nicht in einem neuen EU-Beitrittsland, sondern in einem Staat, den man doch zum altgedienten demokratischen Westen rechnet."
Faschistisch? Ist dieses Verdikt nicht zu hart für eine Rechtspartei, für die sich, politikwissenschaftlich wohlbegründet, die Bezeichnung "populistisch" eingebürgert hat?
"Ich denke, dass es zu hart ist, wenn man an viele Wähler denkt. Aber ich denke, dass es nicht zu hart ist, wenn man an den politischen Kern der FPÖ denkt. Diese sogenannte Honoratioren-Partei, also Altherren-Partei, die sich im Kern aus schlagenden Studentenverbindungen rekrutieren, die sich mit Rechtsradikalen und ehemaligen Neonazis umgeben. Und ich denke, dass man eine zeitgemäße Faschismus-Definition auf diesen Kern der FPÖ anwenden kann. Es geht nicht darum, die Wähler zu diskreditieren; es geht eher darum, die Wähler darauf aufmerksam zu machen, was sie da wählen, wenn sie wählen."
Warum die FPÖ so erfolgreich ist
Armin Thurnher ist, nicht zuletzt dank seiner vorarlbergisch-alemannischen Abkunft, ein Mann, der seine Worte mit Bedacht wählt. Rhetorische Kraftmeierei ist seine Sache nicht. Umso bedenkenswerter ist die Diagnose, die er in seinem Warn- und Nachdenkbuch "Ach, Österreich" seinem Heimatland stellt. Thurnher beschäftigt sich in siebzehn Essays mit der Frage, warum die völkisch-populistische Rechte in einem der wohlhabendsten Länder Europas auf stolze 35 Prozent der Wählerstimmen kommt. Die Antworten, die Thurnher bietet, vermögen den Landeskenner nicht zu überraschen, man hat sie indes selten so kompakt zusammengefasst gelesen: Wirtschaftskrise, Massenmigration und eine von korrupten Boulevardblättern dominierte Medienlandschaft spielen da ebenso eine Rolle wie die inhaltliche und organisatorische Schwachbrüstigkeit der österreichischen Sozialdemokratie. Das größte Rätsel Österreichs aber, so schreibt Thurnher, ist die bürgerliche "Volkspartei".
"So sehr unterscheidet sich die österreichische von der deutschen Gesellschaft nicht. Warum krebst unsere große christlich-konservative Staats- und Europapartei in Umfragen bei zwanzig Prozent herum? Man kann das Problem der ÖVP bündig benennen: Es sind ihre Bünde, die sie zerreißen."
"Bauernbund", "Wirtschaftsbund" und "Arbeiter- und Angestelltenbund" kämen sich unentwegt gegenseitig in die Quere, analysiert Thurnher. Außerdem sei die Bundes-ÖVP ein Spielball der schwarzen Landesfürsten, die in der föderalistisch organisierten Volkspartei in Wahrheit das Sagen hätten - und dabei oft genug nicht einer Meinung seien. Fakt ist, das diagnostiziert Armin Thurnher in seinem Buch mit schnörkelloser Direktheit: Österreichs Christ-Konservative haben die kulturelle Hegemonie, die sie in der Nachkriegszeit unbestritten innehatten, spätestens in der Ära des SPÖ-Bundeskanzlers Bruno Kreisky in den 1970er-Jahren verloren und niemals wieder zurückgewonnen.
Thurnher bezeichnet Norbert Hofer als Faschisten
Wenn man dazu noch bedenkt, möchte man ergänzen, dass der "österreichischen Seele" seit Habsburgs Zeiten ein gewisser Hang zum Autoritären innewohnt, überrascht der Aufstieg der harten Rechten gleich um vieles weniger.
Armin Thurnher geht in seinem Buch so weit, Norbert Hofer, den Präsidentschaftskandidaten der FPÖ, auch persönlich als "Faschisten" zu bezeichnen. Da werden ihm viele nicht folgen wollen. Thurnher, dessen Verlag die harsche Formulierung juristisch überprüfen und für unbedenklich befinden ließ, Thurnher bleibt bei seiner Einschätzung.
"In Wahrheit ist er meiner Meinung nach ein Faschist mit deutschnationalen Wurzeln, der sich umgibt mit rechtsextremen Mitarbeitern und eine starke Renationalisierung Österreichs anstrebt, ein Bündnis möglicherweise mit den reaktionären Nachbarstaaten. Möglicherweise, das hat er dann auch wieder zurückgenommen, einen Austritt aus der Europäischen Union betreiben will. Und sich sicher in eine Union mit den rechtsextremen europäischen Parteien begeben will."
Dabei ist die österreichische Realität keineswegs nur beklagenswert, wie Thurnher einräumt. In punkto Lebensqualität und nationalem Wohlstand mache die Alpenrepublik im internationalen Vergleich gar keine so schlechte Figur, so der Befund des "Falter"-Herausgebers:
"Österreich 2016 ist ein Land mit einer Hauptstadt, die man als milde sozialistisch bezeichnen kann (vielleicht gilt das sogar für das Land insgesamt), Österreich 2016 ist ein Sozialstaat, der im Großen und Ganzen noch vorbildlich funktioniert. Die Symptome seiner beginnenden Krise sind allerdings nicht zu verbergen: Zweiklassenmedizin, zerstörte Universitäten, privilegierte, aber moralisch ungefestigte Eliten; und die Einkommensschere öffnet sich auch hierzulande immer weiter."
Wie in seinen Leitartikeln, Glossen und Kolumnen spielt Armin Thurnher auch in seinem aktuellen Buch jene Qualitäten aus, die seine Fans seit jeher an ihm schätzen: Thurnher verbindet einen kritischen Blick auf die schwarzen Flecken der österreichischen Seele mit einer humanistisch-aufklärerischen Agenda.
Armin Thurnher: "Ach, Österreich! Europäische Lektionen aus der Alpenrepublik"
Paul Zsolnay Verlag, 176 Seiten, 16,00 Euro.
Paul Zsolnay Verlag, 176 Seiten, 16,00 Euro.