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Österreich vor der Präsidentschaftswahl
"Ich kann die Wut der Menschen verstehen, aber nicht ihre Reaktion"

In Österreich liegt nach Ansicht des Schriftstellers Robert Menasse politisch einiges im Argen. Daher könne er verstehen, wenn die Menschen wütend seien. Doch selbst mit der größten Wut könne man nicht eine ausländerfeindliche, rassistische Partei wie die FPÖ wählen, sagte Menasse im DLF.

Robert Menasse im Gespräch mit Christine Heuer |
    Der Schriftsteller Robert Menasse , aufgenommen am 10.10.2012 auf der 64. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.
    Norbert Hofer von der FPÖ sei ein Kandidat, "der mit faschistischen Symbolen seine Kampagne und seine politische Karriere macht": der österreichische Schriftsteller Robert Menasse (dpa/Arno Burgi)
    Die Stimmung in Österreich vor der Präsidentschafts-Stichwahl am Sonntag sei gespalten - wie das Land selbst, sagte Robert Menasse. Die Anhänger der FPÖ "beginnen bereits sehr triumphalisch herumzuspazieren" und seien überzeugt davon, dass ihr Kandidat Norbert Hofer gewinnen werde. Das habe etwas Bedrohliches, so Menasse. Er bekomme Hassmails mit dem Tenor: "Bald sind wir dran, dann habt ihr Staatskünstler ausgedient."
    Er könne die Wut vieler Menschen wirklich verstehen, betonte Menasse. Auch er kritisiere die "Apathie und die katastrophale politische Situation" in Österreich mit einer zerstrittenen Regierungskoalition und einer in sich zerstrittenen mitregierenden ÖVP. "Was ich nicht verstehe ist, dass sie ihrer Wut glauben Ausdruck verleihen zu müssen, indem sie einem Kandidaten nachlaufen, der seine Kampagne und politische Karriere mit faschistischen Symbolen macht."

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: In Österreich versuchen sie es kommenden Sonntag noch einmal. Nach der wegen organisatorischer Schlamperei annullierten Präsidentschaftswahl vom Mai und dem zweiten Versuch, der im Oktober an fehlerhaften Briefwahlumschlägen scheiterte, wählen die Österreicher nun wohl endlich einen neuen Bundespräsidenten. Es ist eine Richtungswahl.
    Wieder treten der grüne Allparteienkandidat Alexander Van der Bellen und der Rechtspopulist Norbert Hofer von der FPÖ gegeneinander an, und wieder wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet. Wie in Frankreich, Deutschland und anderen europäischen Ländern fürchten sich die Liberalen vor einem Sieg der Rechtspopulisten. - Am Telefon ist der österreichische Schriftsteller Robert Menasse, kein Freund Norbert Hofers, um das vorwegzuschicken. Guten Morgen, Herr Menasse.
    Robert Menasse: Guten Morgen.
    "Es gibt wirklich ein Aufbäumen der Zivilgesellschaft"
    Heuer: Wie erleben Sie die Stimmung in Österreich, so kurz vor der Wahl?
    Menasse: Die Stimmung ist, genau wie das Land, gespalten. Die Konservativen oder die Freiheitlichen-Anhänger beginnen bereits, sehr triumphalisch herumzuspazieren, und sie sind ziemlich überzeugt, dass Hofer die Wahl gewinnen wird. Und das hat was Bedrohliches, weil ich kann zum Beispiel berichten, dass ich dann zum Beispiel E-Mails bekomme oder Postings, worin steht, bald sind wir dran und dann geht’s euch nicht mehr so gut, dann habt ihr Staatskünstler ausgedient, dann werdet ihr alle weggejagt. Oder: Du Missgeburt, geh' nach Israel und so weiter. Das häuft sich, und das zeigt, dass die sich ihrer Sache sehr sicher sind.
    Aber die andere Hälfte Österreichs ist entweder jetzt besonders kämpferisch. Es gibt wirklich ein Aufbäumen der Zivilgesellschaft. Das spürt man auch. Und manche sind bereits apathisch. Denen dauert das Ganze schon zu lang. Das verstehe ich auch. Das erträgt man nicht mehr, dass man noch einmal und noch einmal und noch einmal zum Beispiel diese Fernsehduelle sieht. Man weiß alles, was die zu sagen haben. Man kennt die Gesichter, man kennt ihre Aussagen, und es ist noch einmal und noch einmal und noch einmal, jeden Tag in einem anderen Fernsehkanal, jeden Tag in den Zeitungen. Und das macht müde.
    "Das ist entweder Blindheit oder Dummheit"
    Heuer: Das macht müde und besorgt. Sie haben über den Triumphalismus der FPÖ-Anhänger gesprochen. Wie ist das denn so bei dem normalen österreichischen Bürger, der möglicherweise sich entscheidet, Norbert Hofer und die FPÖ zu wählen? Wie groß ist die Wut dieser Menschen?
    Menasse: Ich kann die Wut vieler Menschen wirklich nachvollziehen und wirklich verstehen. Was ich nicht verstehen kann ist, dass sie ihrer Wut glauben, Ausdruck verleihen zu müssen, indem sie einem Kandidaten nachlaufen, der mit faschistischen Symbolen seine Kampagne macht und seine politische Karriere macht. Ich kann nicht verstehen, dass man bei der größten Wut, die man haben kann, eine Partei wählen kann, die ausländerfeindlich, rassistisch, eindeutig, ist. Die bereits einmal in Regierungsverantwortung gezeigt hat, dass die halbe Partei oder die Mitglieder der halben Regierung anschließend vor Gericht gelandet sind wegen Korruptionsfällen und anderen Sachen, also von der Regierungsbank auf die Anklagebank gekommen sind.
    Ich kann verstehen, wenn Menschen wütend sind, weil in diesem Land politisch wirklich einiges im Argen ist, aber ich kann die Reaktion nicht verstehen. Das ist entweder Blindheit, man will bestimmte Signale nicht sehen, man möchte einfach nur den Protest so schmerzhaft für die anderen wie möglich ausdrücken, aber das ist Blindheit. Oder es ist Dummheit, dass sie einfach nicht begreifen, was sie da tun.
    "Die ÖVP blockiert sich innerparteilich ununterbrochen selbst"
    Heuer: Wenn Sie sagen, politisch liegt einiges im Argen, dann steuere ich jetzt mal zur Erklärung in Kurzform tatsächlich und von außen betrachtet bei, dass die ÖVP und die SPÖ, die ja in einer Großen Koalition regieren, das Land politisch in so etwas wie einen Stillstand geführt haben. Und nun erleben wir aber, dass die ÖVP, die Konservativen - das ist sozusagen die CDU Österreichs -, dass die anfängt, zu flirten mit Norbert Hofers FPÖ.
    Menasse: Na gut, es gab in der ÖVP immer schon einen Flügel, der mit den Freiheitlichen mehr Übereinstimmung sieht als möglichem Koalitionspartner als mit den Sozialdemokraten. Deswegen gab es ja schon einmal eine schwarz-blaue Regierung unter Wolfgang Schüssel im Jahr 2000. Aber die Apathie und die katastrophale politische Situation in Österreich hat zwei Ursachen.
    Das eine ist natürlich die Regierungskoalition, wo zwei weltanschauliche Lager eigentlich nie wirklich zusammenkommen können, aber gemeinsam regieren sollen und sich wechselseitig ununterbrochen blockieren. Wenn eine Partei was vorschlägt, kommt von der anderen ein Nein. Das geht seit Jahren oder Jahrzehnten so. Der letzte wirkliche Modernisierungsschub, den Österreich erlebt hat, die letzte sozusagen politisch auch glückende Zeit war, als Bruno Kreisky die absolute Mehrheit hatte.
    Heuer: Na das ist ein Weilchen her, Herr Menasse.
    Menasse: Das ist wirklich lange her. Und seither gibt es nur Stillstand. Das ist die eine Seite. Und die andere Seite betrifft dann jetzt auch die ÖVP ganz konkret, den einen Koalitionspartner, die in sich auch so gespalten ist, dass die Partei sich innerparteilich ununterbrochen selbst blockiert.
    "Bei den Parlamentswahlen wird die ÖVP viel verlieren an die Freiheitlichen"
    Heuer: Aber wohin, Herr Menasse, führt denn dieser Flirt der ÖVP mit der FPÖ? Wir hören, dass der Fraktionschef der ÖVP öffentlich sagt, er werde Hofer wählen. Wir hören, dass der Außenminister Sebastian Kurz mit Norbert Hofer sympathisiert. Da ändert sich doch was in Ihrem Land. Das war doch vorher nicht so möglich, dass man gesagt hat, das ist der Kandidat, den wir unterstützen.
    Menasse: Es wird sich nichts ändern, aus dem einfachen Grund: Karl Kraus hat schon geschrieben, Österreich ist das einzige Land, wo die Menschen aus Schaden dumm werden. Was wir jetzt sehen ist: Die ÖVP glaubt, mit dem Flirt mit den Freiheitlichen oder mit einer Koalition mit den Freiheitlichen, dass sie davon profitieren wird, und vom Übernehmen freiheitlicher politischer Losungen und des freiheitlichen Programms. Aber wir wissen ja ganz konkret, wie das wirklich ist. Erstens einmal: Die erste, unter Schüssel gebildete Koalition der Schwarzen mit den Blauen hat dazu geführt, dass dann ein Sozialdemokrat wieder Stärkster wurde. Die ÖVP hat massiv verloren am Ende.
    Heute sehen wir im Bundesland Oberösterreich, wo die ÖVP im Land eine Koalition mit den Freiheitlichen eingegangen ist, dass in den Meinungsumfragen die Freiheitliche Partei die ÖVP bereits überholt hat. Das heißt, in dem Augenblick, wo eine Partei die Losungen der Freiheitlichen übernimmt, sagen die Leute, die Freiheitlichen haben also Recht, jetzt sagen es auch schon die anderen, und wählen erst recht und vermehrt die Freiheitlichen.
    Deswegen sage ich Ihnen oder prophezeie ich Ihnen, nach der nächsten Nationalratswahl - es kann sein, dass Hofer jetzt Bundespräsident, aber wichtiger sind die Parlamentswahlen -, und bei den Parlamentswahlen wird die ÖVP, wenn das jetzt so weitergeht, die Entwicklung, so viel verlieren an die Freiheitlichen, dass sich eine Koalition der Freiheitlichen mit der ÖVP gar nicht mehr ausgehen wird.
    "Dann wird man mit 33 Prozent und nicht mit einer Mehrheit Reichskanzler - wie Hitler"
    Heuer: Und das heißt? Das ist die Frage, leider nur kurz zum Schluss, Herr Menasse: Wo sehen Sie Ihr Land in ein, zwei Jahren?
    Menasse: Ich bin kein Hellseher. Aber eines weiß ich sozusagen aus politikgeschichtlichen Gründen. Wenn eine Bewegung den Eindruck erweckt, sie ist nicht mehr aufzuhalten, dann wird das ein Selbstläufer, und dann ist sie wirklich nicht mehr aufzuhalten. Dann wird man auch mit 33 Prozent und nicht mit einer Mehrheit, dann wird man mit 33 Prozent Reichskanzler - wie Hitler. Weil der Eindruck entstanden ist, die sind sowieso nicht mehr aufzuhalten. Wenn aber eine solche Bewegung in kurzer Zeit hintereinander zweimal Wahlen verliert, dann ist die Bewegung gebrochen. Weil wenn sie so knapp davor sind, vor dem Griff an die Macht, wenn sie sich so sicher sind, und plötzlich verlieren sie zweimal hintereinander, und das kann jetzt passieren in Österreich.
    Wenn der Hofer nicht Präsident wird, sondern Van der Bellen, und die haben schon geglaubt, sie haben das Amt gewonnen, und wenn anschließend bei den Nationalratswahlen die Freiheitlichen nicht so viel bekommen, dass sich eine Koalition mit der ÖVP nicht ausgeht, und sie unter Strache wieder nicht Kanzler wird, dann sind die zwei Niederlagen besiegelt. Und dann werden die Menschen sich neu orientieren. Und die Sozialdemokratie in Österreich tut das ja bereits. Und es ist gut möglich, dass das dann eine Wende in Österreich einleitet, die auch diesen Stillstand und diese Apathie und auch diese Wut, die hier noch herrscht, die hier herrscht, endlich beendet.
    Heuer: Da sind wir gespannt, wie es ausgeht. Der österreichische Schriftsteller und Essayist Robert Menasse war das. Vielen Dank für das Gespräch und einen guten Tag.
    Menasse: Ja gerne. Ihnen auch einen guten Morgen. Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.