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Österreich vor der Wahl (1/5)
"Die FPÖ macht was für uns"

Wels ist mit rund 60.000 Einwohnern die Nummer zwei in Oberösterreich. Verkehrsknotenpunkt, Messestadt und Industriestandort. 70 Jahre lang in der Hand der Sozialdemokraten, ist das Rathaus seit zwei Jahren blau - regiert von den Rechtspopulisten der FPÖ. Und das ist gut, finden die Rentner, die sich in der Markthalle treffen.

Von Tom Schimmeck |
    Rentner stehen vor einem Stand in der Markthalle von Wels in Österreich zusammen
    An ganz normalen Werktagen gehört die Markthalle in Wels den Rentnern, den "Pensionisten", die hier bei einem Glas Most oder Wein zusammenstehen und nicht selten über "die Politik" schimpfen (Deutschlandradio/ Tom Schimmeck)
    Franz, ein schlanker, älterer Herr mit Schiebermütze, nimmt einen Kaffee:
    "Ich bin sehr bescheiden aufgewachsen und für mich gab’s von Jahr zu Jahr nur mehr Wohlstand. Und heute leb’ ich im Überfluss."
    Er war Kraftfahrer.
    "Also, es ging immer nur aufwärts, gerade für meine Generation."
    Auch das Pärchen am Most-Stand wirkt rundum zufrieden:
    Er: "Mir geht es zu gut."
    Sie: "Sehr gut!"
    Er: "Kommt alles aus Österreich, alles aus Österreich."
    Nur einig ist es nicht:
    Sie: "Sehr glücklich, sehr glücklich."
    Er: "Na, nicht glücklich."
    Sie: "Glücklich!"
    Er: "Glücklich."

    Es ist eine hübsche Stadt. Beinahe dörflich. Im Innersten ein bisschen Puppenstube. Wer mehr von Wels wissen, gar etwas über den Zustand von Österreichs Volksseele erfahren will, sollte einen kleinen Spaziergang machen; zur Markthalle, an der Dr.-Salzmann-Straße, Ecke Dragonerstraße. Nur ein paar Schritte vom Kaiser-Josef-Platz entfernt, wo die Busse fahren.
    Er: "Aber für die älteren Leute müsste man mehr machen. Die machen eh schon viel, aber es gehört immer noch ein bisschen mehr gemacht."
    Sie: "Ich bin net der Meinung. Es geht uns sehr gut."
    Er: "Aber sie könnten noch mehr machen."
    Sie: "Jaja, jaja."
    Er: "Verstehst mi?"
    Sie: "Jaja."
    Wels ist mit rund 60.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Oberösterreich. Eine hübsche Stadt, beinahe dörflich.
    Wels ist mit rund 60.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Oberösterreich. Eine hübsche Stadt, beinahe dörflich. (Deutschlandradio/ Tom Schimmeck)
    Rentner-Debatten in der Markthalle
    Heute, an einem ganz normalen Werktag, haben in der Markthalle die Rentner, die Pensionisten, das Sagen. Sie beherrschen die Café-Bar, das Bierbeisl, den Wein- und den Moststand. Zwischen Paradeisern, Presswurst und frischen Schwammerln, also: Pilzen, stößt man auf diese wohl landestypische Mischung aus persönlichem Wohlbefinden und ganz prinzipieller Grantigkeit:
    Ein Mann sagt: "Es könnte uns besser gehen!"
    Ein anderer: "Meckern tut jeder, obwohl dass es ihm gut geht."
    Reporter: "Ist das ein Volkssport?"
    "Ja. Ja, sicher. Meckern tut a jeder."
    Er war Maurer, dann Fernfahrer. Und sie?
    "Ich war immer im Service. Bei uns sagt man Kellnerin."
    Die Dame sagt, sie gehe nicht mehr wählen: "Naa, eigentlich nimmer. Stimmt. Fällt mir auf."
    "Warum soll man denn wählen gehen", fragt einer. "Kommt doch eh immer das gleiche raus. Ändert sich ja nichts."
    "Die Blauen machen was für uns"
    70 Jahre lang hat die sozialdemokratische SPÖ Wels regiert. Länger als Kaiser Franz Joseph Österreich. Seit 2015 nun ist ein FPÖ-Mann-Bürgermeister. Ein Blauer.
    "Das is auch gut so. Weil die Blauen machen was für uns. Die anderen nicht. Die Roten nicht und die Schwarzen schon überhaupt nicht. Die haben nur geschaut, dass sie schön bei der vollen Schüssel sitzen."
    So propagiert es die FPÖ seit 31 Jahren, seit ihr Anführer Jörg Haider Österreichs ambivalente Freidemokraten zu einer rechtspopulistischen Bewegung umformte: Dass Sozialdemokraten wie Konservative immer nur lügen und betrügen würden, während sie, die "Freiheitlichen", allein zum Wohle des Volkes wirkten.
    "Die Roten haben bei uns nur, glaube ich, in die eigene Tasche geschoben."
    Dabei waren längst auch die "Blauen" hier und dort an der Macht und haben sich prächtige Skandale geleistet. Doch die Erzählung vom selbstlosen Kampf der FPÖ für alle guten, treuen, fleißigen Österreicher ist zu einer Art Volksmärchen geworden. Slogans wie "Er hat euch nicht betrogen" ließ Haider schon früh plakatieren und: "Einfach ehrlich, einfach Jörg".
    Der Pärchen hat Schnaps bestellt.
    Sie: "Nussgeist."
    Reporter: "Nussgeist?"
    Sie: "Mhmm, gibt’s da am Stand."
    Er: "Da bleibt die Nuss da und der Geist bei ihnen."
    Als die Dame ihren Namen verrät - Monika - kippt plötzlich die gute Stimmung:
    "Des darfst net sagen. Des darfst nicht sagen", sagt der Mann.
    Ein Dritter fordert: "Jetzt hört’s mal auf."
    "Ja genau: Mir reicht’s jetzt, finito."
    Ein anderer Most-Trinker mischt sich ein.
    "Wiederschaun. Wiederschaun! Wiederschaun!"
    Sticheleien gegen Migranten
    Sonntag wird gewählt. Draußen stehen die Wahlplakate. Die SPÖ von Kanzler Christian Kern führt ihre "Erfahrung" ins Feld, die FPÖ ruft nach "Fairness". Die konservative ÖVP, angeführt vom 31-jährigen Sebastian Kurz, findet: "Es ist Zeit!"
    Drinnen wirbt der duftende Bräthähnchen-Stand: "Ob im Osten oder Westen, Gamperl-Hendl sind die besten." Daneben mahnt ein Schild: "Olle sand brav" - "Alle sind brav". Es soll hier wiederholt Schlägereien zwischen übernächtigten Zechern und frisch geduschten Frühaufstehern gegeben haben.
    "Ja mei, über Politik brauchen wir net reden, da haben wir überall dasselbe", sagt ein Mann.
    Drüben am Weinstand hat sich eine Pensionsten–Traube gebildet:
    "Alle Parteien sind glücklich, ja. Auch die lieben Freunde, die uns besuchen. Es sind 25 Prozent Freunde, die wir haben."
    Das Gespräch kommt auf die Migranten, die "lieben Gäste", wie einer der Herren immer wieder stichelt. Stören sie ihn?
    "Nein! Nein, die haben hier ihren eigenen Bereich, nicht, die lieben Gäste, die bei uns sind. In der Noitzmühl’ draußen."
    "Ach so", sagt ein anderer, jo, Little Istanbul."
    "Do hat man sie ein bisserl konzentriert."
    Die Noitzmühle, ein Hochhausviertel.
    "Diese Türken, die wo's zu uns kommen, die brauchen sie zu Hause auch nicht. Die sind zu Hause zu faul zum Arbeiten und bei uns auch."
    Dzevad aus Bosnien: "Das Leben ist schön."
    Mittendrin: Doro, Geiger und Musiklehrer aus Rumänien.
    "Najo, ich bin mehr in Österreich als in Rumänien."
    Er kam 1979 hierher, mit 28. Auch er ist jetzt Rentner. Und gut Freund mit allen.
    "Ich bin hier mit Kollege trinken Most. Weil ist sehr guter Most."
    Und da steht auch Dzevad aus Bosnien, mit einem österreichischen Kumpel.
    "Ich wohne hier mit meinen zwei Kindern, den Enkelkindern, meiner Frau. Das Leben ist schön."
    Dzevad ist Schweißer von Beruf. Lebt schon ewig hier. Fremdenfeindlichkeit? Er mag die Frage nicht:
    "Das geht mich nix an, ist nicht mein Kaffee. Ich bin gut mit den Kollegen."
    Der elegante Herr Architekt, Jahrgang 1939, ergreift das Wort:
    "Also, Sie müssen wissen, wir Österreicher sind eigentlich die besseren Deutschen."
    Ein Spötter.
    "Wir sind schlau. Wir haben aus Hitler einen Deutschen gemacht und aus Beethoven einen Österreicher. Gewusst wie!"