Archiv

Österreich vor Neuwahlen
Start in einen langen Wahlkampf

Mit dem Termin für die Neuwahlen Ende September hat in Österreich der Wahlkampf begonnen. Die SPÖ unter der Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner hat es noch nicht geschafft, aus dem Sturz der Regierung Kurz Kapital zu schlagen.

Von Clemens Verenkotte |
Pamela Rendi-Wagner auf dem 44. Bundesparteitag der SPÖ. Sie spricht in ein Mikrofon.
SPÖ-Vorsitzende Rendi-Wagner kämpft gegen das Stimmunsgtief (Barbara Gindl/APA/dpa )
"Heute wird in wenigen Minuten eine neue Bundesregierung angelobt, die bis zur Ernennung dann der nächsten, neuen Bundesregierung nach den Wahlen zum Nationalrat im Amt sein wird."
Sagt Alexander Van der Bellen. Ausnahmen sind zur Routine geworden, Premieren rufen inzwischen nur noch Achselzucken hervor: Österreichs politische Welt, in der allein Bundespräsident Van der Bellen die beruhigend gelassene und souverän agierende Konstante blieb, hat seit dem 17. Mai drei Regierungen erlebt, Rücktritte, Entlassungen, Vereidigungen.
"In der Politik weiß man oft nicht, was am nächsten Tag kommt."
Obgleich der Lehrsatz Van der Bellens für viele seiner Landsleute jetzt nachvollziehbar ist: Zumindest steht nunmehr fest, womit sich Österreichs Politik in den kommenden dreieinhalb Monaten bis zum 29. September beschäftigen wird, dem Termin für die vorgezogenen Wahlen zum Nationalrat: mit dem Wahlkampf.
Grummeln in der SPÖ
Es wäre die Stunde der größten Oppositionspartei gewesen, von dem Zerfall der schwarz-blauen Bundesregierung zu profitieren. Hatten die Sozialdemokraten unter Führung ihrer Parteichefin Pamela Rendi-Wagner bei den EU-Wahlen nicht gut abgeschnitten und ebenfalls nicht von dem Ende der Kurz-Kanzlerschaft profitiert, so kam es anschließend noch dicker: SPÖ-Granden in den Bundesländern grummelten vernehmbar über die Entscheidung der Parteichefin, zusammen mit den Rechtspopulisten die Minderheitsregierung unter Kanzler Kurz abzuwählen. Pamela Rendi-Wagner gegenüber dem ORF in dieser Woche:
"Ich bin seit September designierte, und seit November gewählte Vorsitzende, erste weibliche Vorsitzende der Sozialdemokratie in Österreich. Und seit Anbeginn gab es Diskussionen bezüglich meiner Entscheidungen, die ich personeller Natur getroffen habe. Beginnend mit dem Bundesgeschäftsführer, und selbst jetzt war es ein großes Thema, der Wahlkampfleiter, den ich für die kommende Wahlkampfauseinandersetzung mir hier ausgesucht habe und für den ich mich letzte Woche am Freitag entschieden habe. Und dazwischen gab es viele andere Diskussionen. Kaum eine Entscheidung, die nicht intern, aber auch medial in der Öffentlichkeit diskutiert wird."
Für die Journalistin Nina Horaczek von der Wochenzeitung "Der Falter" bleibt den Sozialdemokraten nicht viel Zeit, um aus dem deutlichen Stimmungstief bis Ende September herauszukommen:
"Die SPÖ scheint relativ weit neben sich selbst zu stehen in dieser ganzen Krise. Ich hatte auch den Eindruck, dass da doch mehr möglich sein müsste. Wir haben es zum ersten Mal quasi, dass eine Regierung zurücktreten muss, in der Form, dass ein Kanzler abgewählt wird. Das hat die SPÖ bis jetzt nicht zu ihren Gunsten umgesetzt. Also bis Herbst ist es noch lang, aber wenn sie nicht langsam anfangen, holen sie das nicht mehr auf."
Volkspartei in Umfragen weiter vorne
Die Demoskopen sprechen bereits eine eindeutige Sprache: Die Volkspartei unter Führung von Ex-Bundeskanzler Kurz wird bei circa 38 Prozent der Stimmen gesehen, SPÖ und FPÖ dagegen bei rund 20 bis 18 Prozent. Kurz, der nicht immer den Eindruck gemacht hatte, als habe er seit dem Ibiza-Video die machtpolitischen Konsequenzen für seine Regierung jederzeit abgeschätzt, erlegt sich zunächst einmal eine mediale Ruhepause auf - während zeitgleich sein Team unmittelbar nach dem Machtverlust auf Wahlkampf umgestellt hat.
Auf den Wahlplakaten, die am Dienstag dieser Woche von der Volkspartei gestellt worden sind, ist die Stoßrichtung bereits zu erkennen, wen die Wählerinnen und Wähler für das Polit-Chaos der vergangenen Woche verantwortlich machen sollen: "Rot-Blau hat bestimmt" - so lautet das Motto auf den Plakaten. Von einer neuen SPÖ-FPÖ-Achse ist die Rede. Auch bei der Festlegung des 29. September als Wahltermin stimmten Sozialdemokraten und Freiheitlichen gemeinsam für den späteren Urnengang, während die Volkspartei auf einen etwas früheren Termin gedrungen hatte. ÖVP-Fraktionschef August Wöginger gegenüber dem ORF:
"Hier zeigt sich ganz klar, eine rot-blaue Achse, und dieser Rendi-Kickl-Deal beschert uns einen langen Wahlkampf und ist gegen den Willen des Bundespräsidenten."