"…aber es ist eine optische Täuschung. Also den Gläsern kann man auch nicht mehr trauen..."
Ein Bergbauernhof im südlichsten Zipfel Österreichs. Bad Eisenkappel in Kärnten, slowenisch: Železna Kapla. Zdravko Haderlap sitzt im Wintergarten und verteilt Schnapsgläser. Der 55-Jährige will gleich mit seinen 14 Besuchern die umliegenden Berge erkunden. Ein paar hundert Höhenmeter bergauf steigen und dann wieder begab. Davor aber soll auf das gemeinsame Erleben angestoßen werden – und zwar mit Hochprozentigem. In gar nicht so kleinen Schnapsgläsern.
Haderlap: "Aber es ist im Grund, ihr wisst eh, wie man sowas trinkt – eher eine Mundspülung. Es geht nicht ums Schlucken, sondern ums Schmecken - 'Sowas wie Odol'."
Widerstandsgeist der Partisanen
Zdravko Haderlap trägt strubbeliges graues Haar und einen Ohrring. Der in einem Tal gelegene Bauernhof gehört ihm, er hat ihn vor knapp zwei Jahrzehnten von seinem Vater übernommen. Seitdem arbeitet er als Landwirt. Einerseits. Denn Zdravko Haderlap versteht sich auch als Kulturarbeiter. Und er hat eine Mission. Jeden Sommer wandert er mit Interessierten durch das zweisprachige Kärnten und erzählt dabei von der Geschichte: den Grenzziehungen des 20. Jahrhunderts. Und den Partisanen, die sich hier in den Bergen versteckten, um gegen das Hitler-Regime zu kämpfen.
"Prost! Na zdravje! Dobrodošli! Herzlich willkommen. Ein Schluck Widerstandsgeist, das braucht man heute."
Im Wintergarten des Bergbauernhofs wird angestoßen. Widerstandsgeist, so heißt der Schnaps, den Haderlap selbst brennt. Widerstandsgeist mussten die Partisanen mitbringen. Widerstandsgeist, das ist aber auch eine Bezeichnung, die auf Zdravko Haderlap zutrifft. Er will nicht einfach nur über die Geschichte der Region erzählen. Er will was auslösen ihn den Köpfen seiner Besucher. Sie sollen nachdenken, welche Konflikte und Probleme Grenzen mit sich bringen. Geographische Grenzen, und jene in den Köpfen.
Erklärung zu Geologie und Pflanzen
Kärnten. Vielen Deutschen ist das südlichste Bundesland Österreichs bekannt, weil hier der Rechtspopulist Jörg Haider groß wurde. Die Freiheitlichen gewannen im Jahr 1999 die Wahl, mit mehr als 42 Prozent der Stimmen. Kritische Stimmen, noch dazu von Minderheiten, waren nicht erwünscht. Der Theatermacher und Kärntner Slowene Zdravko Haderlap zog damals weg. Er arbeitete als Theatermacher in Graz und später in Berlin.
Seit 2002 lebt Haderlap wieder im zweisprachigen Süden Kärntens. Er läuft nun den Berg hinter seinem Hof hinauf, gefolgt von seinen Besuchern. Es geht entlang eines Pfades, neben dem ein Rinnsal fließt, und Haderlap startet seine heutige Tour mit ein paar naturkundlichen Erklärungen.
"Wir wandern heute ja auch entlang eines ehemaligen Meer-Riffs, also es ist auch ein verkarstetes Gebiet. Ausgespült und ausgewaschen. Und deshalb bringt es mit sich, also wenn es regnet, ist da kein Wasserspeicher, sondern das Wasser kommt oben rauf und unten raus. Und solche Rinnsale wie der kleine Graben da unten, da kann es passieren, dass er in zwei Stunden zu einem reißenden Bach wird - also einem richtig gefährlichen Bach. Aber das ist ein Spezifikum generell in den Kalkalpen, mehr oder weniger."
Haderlap bleibt immer wieder stehen. Er wartet auf die Wandergruppe und setzt dann zu einer neuen Erklärung zu Geologie und Pflanzen an.
"Da sieht man auch was Spezielles. Es ist gerade abgeblüht: Alpenrosen. Was suchen die auf 850 Meter? Was macht der hier unten, der wächst ja erst über der Baumgrenze – "Normal ist er oben, ja" – Genau. Eben, und das ist der Punkt: Die Natur hat alles schon vorgebaut. Wenn sich das Klima ändert, plötzlich wird er woanders wachsen. Das verharrt hier hunderte Jahre oder tausend, das spielt keine Rolle. Das wartet und hat Zeit. Und irgendwann, wenn es gebraucht wird und wichtig ist, wächst es, wird es sich vervielfältigen. Sonst bleibt es so. Wir werden heute auch Kieferlatschen sehen auf 900 Meter Seehöhe. Wo du sagst, die sind auf 1500, 1600 Meter normal. Da hat die Natur schon alles vorgebaut, was wir uns gar nicht so denken können."
Zwei Randregionen ohne Perspektive
Haderlap blickt in die Runde, dann schultert er seinen Rucksack und macht sich auf zum Gamssteig - einer schmalen Steigung, man ist hier besser trittfest. Kurz bevor es im Gänsemarsch losgeht, versammelt sich die Wandergruppe erneut. Und Haderlap beginnt, von der Geschichte zu erzählen. Die heutige Grenze zwischen Österreich und Slowenien entstand vor knapp hundert Jahren. Damals, nach dem Ersten Weltkrieg, stimmten die Südkärntner ab: Sollte ihre Region zu Österreich gehören oder dem Königreich Jugoslawien zugeschlagen werden?
Fast 60 Prozent stimmten für einen Verbleib bei Österreich. Für die Menschen in der Region, erklärt Haderlap, bedeutete das, dass die Grenze quer durch Familien und Grundstücke gezogen wurde. Aus einem zentralen Lebensraum seien so zwei Randregionen geworden. Zwei Randregionen ohne Perspektive. Haderlap nennt das die erste Zäsur in der Geschichte der Region.
"Die zweite Zäsur war dann der Zweite Weltkrieg, also wo es hier in dieser Region kaum ein Haus gibt, wo nicht aus einer Familie Leute zur selben Zeit bei der Wehrmacht waren, teilweise auch bei der SS, und bei den Partisanen, entweder ausgesiedelt oder im KZ. Und das ging auch quer durch die Familien. Die Grundlage war, dass die Grenzziehung 1920, diese Grenze nicht nur als Verwaltungsgrenze angesehen wurde, sondern diese Grenze ist durch die ganzen Jahrzehnte, praktisch fast ein ganzes Jahrhundert ideologisch und nationalistisch missbraucht worden [er sagt: wurde]. Und das am Rücken dieser Menschen und dieser Familien, die getrennt wurden dadurch."
Widerstandsgeist gegen Grenzen im Kopf
Die Konflikte zogen sich nicht entlang der Sprachgrenzen, sondern gingen quer durch die Familien. Das ist Haderlap wichtig. Seine heutige Tour nennt er "Bunkerwanderung": Denn es geht zu den ehemaligen Bunkern der Partisanen im Zweiten Weltkrieg. Die bewaffneten Kämpfer versteckten sich jahrelang in den Bergen. Hunderte leisteten auf österreichischem Gebiet militärischen Widerstand gegen das NS-Regime, unterstützt von zahlreichen politischen Aktivisten und Zivilisten. Und die Nazis bekämpften sie. Haderlap hat eine persönliche Anekdote zu erzählen.
"Es gibt einen schönen Dokumentarfilm über das Leben am Rhein. Meine Freundin hat diesen Dokumentarfilm gemacht. Und da interviewt sie einen alten Fischer. Und dann, wo die Kamera ausgeschaltet war - sie hat auch einen Film über den Graben hier gemacht, also über den Mikrokosmos Eisenkappel als Anatomie, wie ein Krieg funktioniert - dann sagt der Alte, der Interviewte: 'Ja, ich war auch in Kärnten, hab sehr schöne Erinnerungen.' Er hat begonnen zu schwärmen. Und seine Erinnerungen basierten darauf, dass er für sämtliche Verdienste bei der Wehrmacht mit einem Sonderurlaub beschenkt wurde. Und da konnte man nach Kärnten gehen auf Partisanenjagd. Und er hat gesagt: Überall hat es Regeln gegeben, nur bei den Partisanen, da hat es keine gegeben. Und es war wie jagen gehen. Also das hat es gegeben."
Haderlap spricht bei seiner Wanderung über das Wesen des Krieges, über Misstrauen, Hass und Empathielosigkeit auf allen Seiten. Er erklärt aber auch die Natur und legt – 600 Höhenmeter weiter oben – eine Pause ein, damit man den Ausblick genießen kann. Südkärnten ist nicht nur geschichtsträchtig, sondern auch wunderschön.
Dann geht es wieder den Berg hinunter – und es kommt zu einer Abkürzung: Ein Gasthof ist näher als ein weiterer Partisanenbunker. Geschichte darf an diesem Tag Geschichte bleiben. Und so endet die Tour bei einem Bier auf einer Sonnenterrasse. Der Blick schweift über die weite Landschaft und die Karawanken, das Grenzgebirge zwischen Österreich und Slowenien. Die Grenze existiert nur mehr auf dem Papier, Slowenien ist seit 15 Jahren Mitglied der Europäischen Union. Und gegen die, die die Grenze noch in den Köpfen tragen, hat Zdravko Haderlap seinen Widerstandsgeist.