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Österreichischer EU-Politiker
"Wir werden andere Routen ebenfalls schließen müssen"

Die Schließung der Westbalkan-Route sei eine Reaktion auf ein Versagen der EU, sagte der österreichische EU-Politiker Heinz K. Becker (ÖVP) im DLF. Die Mechanismen legaler Einwanderung seien unter anderem durch die Blockade einer Quotenregelung durch die EU-Mitgliedsstaaten gescheitert.

    Eine Menschenmenge steht hinter Absperrgittern in einer Schlange.
    Schon in der vergangenen Woche stauten sich tausende Flüchtlinge in Idomeni an der Grenze von Griechenland nach Mazedonien. (dpa / Michael Kappeler)
    Christiane Kaess: Die Bilder zeigen ein Meer von Zelten, die mittlerweile immer mehr im Schlamm versinken. Dennoch wollen die meisten Flüchtlinge in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze ausharren, in der Hoffnung, dass die Grenze doch noch geöffnet wird. Nichts sieht allerdings danach aus im Moment. Die Flüchtlingspolitik ist auch das bestimmende Thema beim Treffen der EU-Justiz- und Innenminister. Darüber sprechen möchte ich jetzt mit Heinz K. Becker. Er ist Mitglied der Österreichischen Volkspartei, Mitglied im Europäischen Parlament, dort unter anderem im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. Guten Tag, Herr Becker.
    Heinz K. Becker: Schönen guten Tag auch nach Deutschland.
    Kaess: Herr Becker, wie geht es Ihnen, wenn Sie die Bilder aus Idomeni sehen, wo die Zelte der Flüchtlinge mittlerweile im Schlamm versinken?
    Becker: Natürlich geht es niemandem gut. Es kann einem nicht gut gehen, wenn man derartige Bilder sieht. Insbesondere, wenn man über die Schicksale nachdenkt, wer sind diese Menschen, was wollen sie, warum gehen sie dorthin in zum Teil ausweglose Situationen. Angesichts der geschlossenen Balkan-Route ist vielen nicht bewusst, dass es kein Durchkommen geben wird. Das kann nur berühren, das kann nur besorgen, und demzufolge hat alles zu geschehen, um humanitär Situationen zu schaffen, die dieses Elend beenden.
    Kaess: Herr Becker, wenn ich mal kurz hier einhaken darf. Es ist aber dennoch mittlerweile der Eindruck entstanden, dass die österreichische Regierung diese Bilder auch nicht ganz ungern sieht, weil die ja schließlich in die Welt gehen und durchaus als Abschreckung auch empfunden werden.
    Becker: Die Wirkungsweise von politischen Maßnahmen ist insbesondere von der österreichischen Bundesregierung initiiert worden. Die gehören selbstverständlich zum Gesamtkomplex politischer Kommunikation. Die Erkenntnis für Hunderttausende oder mehr Menschen, die nach Europa drängen aus unterschiedlichen Gründen - und das sind nicht nur Menschen aus Syrien, in der letzten Zeit sogar weniger aus Syrien als aus anderen Regionen, und es sind nicht nur Flüchtlinge nach Konvention, sondern Wirtschaftsinteressenten, kann man sagen, die ein besseres Leben suchen, was absolut legitim ist, aber nicht in die derzeitige notwendige geordnete Form einer Einwanderung gehört, wie sie seit über 100 Jahren von den erfolgreichsten Einwanderungsstaaten der Welt, Kanada, USA und Australien, betrieben wird. Nämlich: gesicherte Außengrenzen - diese Außengrenzsicherung ist in Europa eine Absichtserklärung und nicht geschaffen - und dann Mechanismen legaler Einwanderung - dieser ist derzeit durch die Blockade der Regierungen der Mitgliedsstaaten für eine Quotenregelung oder einen anderen Verteilungsschlüssel gescheitert. Hoffen wir aufs Wochenende. Und darüber hinaus ist es klar, dass die humanitären Maßnahmen zu setzen sind. Aber all das muss aus dieser Warte betrachtet werden.
    "Maßnahmen im Grenzschutz und in der Flüchtlingsregelung wurden nicht umgesetzt"
    Kaess: Aber, Herr Becker, noch mal zurück zu der Situation, mit der wir jetzt im Moment konfrontiert sind und mit der die EU irgendwie umgehen muss. Sie würden zustimmen, dass Österreich schon eine gewisse Verantwortung trifft, weil es am Anfang dieser Kettenreaktion stand, dass die Westbalkan-Route geschlossen wurde, und dass durchaus diese Bilder von Österreich mit der abschreckenden Wirkung gern in Kauf genommen werden.
    Becker: Das gestehe ich nicht zu, sondern das behaupte ich entschlossen. Es ist eine ganz klare Reaktion Österreichs auf ein Versagen der Regierungen der EU. Und es war nicht die Kommission und schon gar nicht das Parlament, die seit 2015 über 100 Einzelmaßnahmen im Grenzschutz, in der Flüchtlingsregelung, in der Asylgewährung etc. vorbereitet haben, im Parlament beschlossen haben, und die Mitgliedsstaaten haben es unterschrieben. Und sie haben es nicht umgesetzt, das ist der Punkt.
    Kaess: Wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie gerade, Österreich nimmt eine humanitäre Katastrophe dafür gern in Kauf.
    Becker: Nein! Österreich unterstützt massiv die humanitären Zielsetzungen, die jetzt verfolgt werden. Österreich ist sogar ganz vorne im humanitären Hilfsbereich. Schon begonnen, wie alle vielleicht wissen, dass Österreich sogar mehr Menschen aufgenommen hat als Deutschland. In den letzten Monaten seit dem vergangenen Sommer ist Schweden an erster und Österreich an zweiter Stelle. Und wir machen alles in Richtung humanitärer Unterstützung, und genauso klar wie wir dort helfen und helfen müssen und Geld auftreiben und hinunterschicken, Hunderte Millionen im europäischen Kontext mit vielen zehn Millionen aus Österreich, genauso entschlossen muss Außengrenzensicherung die Priorität Nummer eins sein und eine Klarheit an alle Menschen, die nach Europa wollen, dass das nicht geht ohne geordnete regulierte geprüfte Registration, Identitätsfeststellung und dann die Entscheidung, ob überhaupt ein Flüchtlingsstatus vorliegt. Und wenn kein Flüchtlingsstatus vorliegt, müssen andere Regularien greifen, wie sie die USA, Kanada und Australien seit Jahrzehnten erfolgreich betreiben und dadurch zu den größten Einwanderungsstaaten wurden.
    Kaess: Herr Becker, dennoch wird ja das Problem nur verschoben. Jetzt hat Österreichs Innenminister Mikl-Leitner gesagt, wenn Europa beim Schließen der Balkan-Route konsequent bleibe, dann werde auch der Migrationsdruck aus der Türkei nach Griechenland sinken. Was für eine Einschätzung ist das? Die Menschen fliehen nach wie vor zum größten Teil vor Krieg und die Türkei liegt neben Syrien, wo seit fünf Jahren ein schrecklicher Krieg tobt.
    Becker: Wir dürfen nicht vergessen, dass Griechenland einer der Versagerstaaten war in allem, was in den letzten Monaten zu geschehen hätte sollen. Es gab Vereinbarungen und absolut verpflichtende Aktionen mit Geld der EU für die Schaffung von 50.000 Asylplätzen in Griechenland. Das ist nicht geschehen. Es hätte Ende letzten Jahres abgeschlossen werden müssen.
    "Aus Nordafrika gibt es neue Meldungen von Hunderttausenden Menschen, die kommen wollen"
    Kaess: Und das ist jetzt die Quittung an Griechenland?
    Becker: Jetzt geht es um 30.000, die in Griechenland sind, und diese Lager werden tatsächlich von den Griechen nun errichtet, und zwar in einer Qualität, wie wir sie für richtig halten auf humanitär hohem Niveau. Erst jetzt! Glauben Sie mir bitte, dass die griechische Regierung hier eindeutig erst durch Druck zum Einlenken gezwungen wurde. Ich bedauere das, aber ich sehe keine andere Alternative, und der Weg, den wir jetzt vorgezeichnet sehen, kann nur lauten: Weg von derartigen Mitteln, die wir natürlich jetzt sogar mit Erfolg gegenüber Griechenland durchsetzen können, hin zu einer europäischen Lösung, denn das ist nur mit allen Mitgliedsstaaten gemeinsam zu lösen in Zukunft. Denn wir dürfen nicht vergessen: Aus Nordafrika gibt es neue Meldungen von Hunderttausenden Menschen, die kommen wollen, und niemand hat noch gesagt, was wahrhaftig an Millionen Fluchtinteressierten aus der Subsahara-Zone droht, wenn Europa nicht rasche Wege findet. Und dazu dient selbstverständlich auch dieser klare Druck, dass die Balkan-Route geschlossen ist, und das funktioniert, wie man weiß, tatsächlich und wir werden andere Routen ebenfalls schließen müssen, ob die sogar über den Polarweg, über Norwegen gehen oder sehr bald über Italien. Italien übrigens auch ein Land, das hier nichts geleistet hat.
    "Die Solidarität unter den europäischen Regierungen ist das Problem"
    Kaess: Herr Becker, ich möchte noch einmal einhaken, weil Sie gerade noch von der europäischen Lösung gesprochen haben. Es gibt dieses Angebot der Türkei, das auf dem letzten EU-Gipfel auf den Tisch gelegt worden ist. Jetzt sagt Österreichs Innenministerin Mikl-Leitner, dass sie große Zweifel hätte an diesem Angebot. Sie halte es für äußerst fragwürdig, wenn Ankara eine regierungskritische Zeitung unter Zwangsverwaltung stellt und drei Tage später die Europäische Union konfrontiert mit einer Wunschliste. Ist das ein Anzeichen dafür, dass Österreich den Plan mit der EU nicht mittragen wird?
    Becker: Jetzt kann ich die Innenministerin nicht kommentieren. Ich habe das selbst heute Morgen gehört, das Interview. Ich erkenne ganz berechtigt die Klageführung über die innenpolitische Entwicklung unter dem Erdogan-Regime, das langsam grenzwertig absolut gegen die Wünsche der Türken nach einem Abkommen mit der EU oder sogar einem Beitritt, den ich sowieso für ausgeschlossen halte derzeit, weiter forcieren möchte. Das ist ein krasser Widerspruch. Das zeigt sie auf, berechtigt. Europa hat auch Werte zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite denke ich persönlich aus meiner Beurteilung, dass eine Vereinbarung mit der Türkei eine große Hilfe wäre für die Lösung dieser jetzigen und absehbaren Problemlagen in der Ägäis, inklusive NATO-Einsatz, aber auch dem türkisch-griechischen Zusammenarbeitsfortschritt, der derzeit erst erkennbar ist. Nach Monaten sitzen endlich die Griechen und Türken auch einmal zusammen. Das ist jetzt alles so bizarr. Und daher: Es geht nur so offenbar. Daher stehe ich auch dazu für die kurze Zeit. Für die lange Zeit absolut klar: europäische Lösungen. Das heißt aber auch die Beendigung der unsolidarischen Haltung einiger osteuropäischer Staaten und anderer, die auch noch keinen einzigen Finger gerührt haben. Die Solidarität unter den europäischen Regierungen ist das Problem und kein anderes Problem.
    Kaess: … sagt Heinz K. Becker. Er ist Mitglied der Österreichischen Volkspartei und Mitglied im Europäischen Parlament. Danke für dieses Gespräch heute Mittag, Herr Becker.
    Becker: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.