Tobias Armbrüster: Die EU-Kommission operiert normalerweise mit leisen diplomatischen Tönen. Selten werden EU-Kommissare allzu laut oder allzu deutlich. Das scheint sich aber zu ändern. Spätestens mit der Kontroverse um die Abschiebung von Roma aus Frankreich scheint die EU-Kommission neues Selbstbewusstsein gefunden zu haben. Vor wenigen Tagen erklärte die EU-Kommissarin Viviane Reding, ihr gehe langsam die Geduld mit Frankreich aus. Gestern hat die Kommission nun gesagt, entweder Paris überdenke die Abschiebepraxis, oder die Kommission bringt das ganze vor den Europäischen Gerichtshof in Straßburg.
Am Telefon begrüße ich den deutschen EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger. Schönen guten Morgen, Herr Oettinger.
Günther Oettinger: Guten Morgen!
Armbrüster: Herr Oettinger, geht Ihnen auch die Geduld mit Frankreich aus?
Oettinger: Die Europäische Kommission ist ja kein Staatsanwalt und auch nicht der Gegner von Mitgliedsstaaten, sondern ist ein Partner für gemeinsame Ziele. Aber klar ist: Verträge müssen eingehalten werden und Gesetze ebenso. Deswegen müssen wir überwachen und die Einhaltung erwarten, wenn es um eindeutige Gesetze Europas geht, die durch die Mitgliedsstaaten umgesetzt und durch die Behörden vor Ort einzuhalten sind. Jetzt haben die französischen Partner drei Wochen Zeit, um nachzuweisen, wie sie handeln, und um gegebenenfalls ihr Vorgehen bei der Abschiebung von europäischen Unionsbürgern aus Frankreich heraus zu ändern. Dann, wenn dies geschieht, kann der Fall zu den Akten gelegt werden, zumal die offene Freizügigkeitsgesetzgebung in Frankreich jetzt anläuft und hoffentlich bald auch im Gesetzblatt steht. Wenn die Franzosen aber sich verweigern, oder wenn die Praxis vor Ort EU-rechtswidrig sein sollte, dann werden wir Ende Oktober gegen Frankreich vor dem Europäischen Gerichtshof klagen, um so dies durch das höchste europäische Gericht zu erzwingen.
Armbrüster: War die Entscheidung für dieses ziemlich knappe Ultimatum denn innerhalb der Kommission umstritten?
Oettinger: Sie war im Ergebnis einstimmig. Aber klar ist: Wir alle machen es uns nicht leicht. Frankreich ist ja nicht irgendwer, ist ein Gründungsmitglied der Europäischen Union, ein Land, das durch und durch rechtsstaatlich geprägt ist, ein weltoffenes Land, und deswegen wägt man gründlich ab. Und in der Tat ist es sinnvoll, jetzt nicht mit lauten und eher emotionalen Äußerungen von Paris nach Brüssel oder auch umgekehrt zu arbeiten, sondern entlang der Fakten. Da müssen die Franzosen die Karten auf den Tisch legen. Und klar ist: Wir, die Kommission, sind, wenn wir vor dem Europäischen Gerichtshof antreten, beweispflichtig. Also auch uns helfen nicht Vermutungen, Behauptungen, sondern nur Fakten und Nachweise.
Armbrüster: Nun erscheint dieses Ultimatum, glaube ich, ziemlich vielen Leuten als ziemlich laut, wenn man das so sagen darf. Wäre es nicht klüger gewesen, die Regierung in Frankreich in, sagen wir mal, Gesprächen möglicherweise auch in Hinterzimmern zum Einlenken zu bewegen?
Oettinger: Die gab es ja und die gibt es auch weiter. Aber es entstand ein Problem: Zwei Regierungsmitglieder Frankreichs haben letztendlich gegenüber der Kommission dargetan, alles sei in Ordnung, macht euch keine Sorgen, und es war eben nicht alles in Ordnung. Und dieser Erlass, der als Anweisung von Paris an die Behörden vor Ort das Vorgehen beschrieb, hat natürlich schon die Sinti und Roma an den Pranger gestellt. Man muss jetzt einfach die Vermutung prüfen, wird hier in jedem Einzelfall das europäische Recht angewandt, oder gab es letztendlich Abschiebungen in einer Zahl und in einer Pauschalität, die mit dem europäischen Recht nicht vereinbar gewesen wäre.
Armbrüster: Sie hören die "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit Günther Oettinger, dem deutschen EU-Kommissar für Energie. – Herr Oettinger, die EU-Kommission hat gestern auch einen Plan für schärfere Regeln beschlossen für Euro-Mitgliedsländer, die sich zu hoch verschulden. Unter anderem ist geplant, dass Defizitsünder in der Union künftig 0,2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung quasi als Pfand bei der Kommission abgeben müssen. Hat die Kommission das Vertrauen in die Regierungen in Europa verloren?
Oettinger: Wir alle, auch die Mitgliedsstaaten, haben gemerkt, dass Vertrauen das eine ist, aber dass wir in den Haushaltsberatungen vor Ort und im Haushaltsvollzug in den letzten Jahren zu lasch gewesen sind. Wir standen ja im Mai in einer ganz schwierigen Lage, als nur durch den europäischen Rettungsschirm die Währung und das Vertrauen in die europäischen Haushalte und das Vertrauen der Gläubiger in die Anleihen und Schulden gefährdet war. Deswegen war, nachdem dieser Rettungsschirm im Mai beschlossen worden ist und jetzt auch wohl hält und vielleicht gar nicht gebraucht wird, notwendig, gegenüber dieser Maßnahme der europäischen Solidarität die zweite Stufe aufzubauen, nämlich mehr Stabilität für Haushalte. Dies geht nur, wenn es zum einen ganz klare Vorgaben gibt. Dies geht nur, wenn wir die Haushalte nicht erst am Ende, nach der Abrechnung überwachen – dann ist es zu spät -, sondern wenn wir vorgelagert schon die Haushaltsentwürfe bewerten dürfen und in die Haushaltsberatungen mit ganz konkreten kritischen Anmerkungen eingreifen können, und es geht nur mit Sanktionen.
Manchmal ist eben eine Strafe notwendig, um das richtige Verhalten zu erzwingen, und in der Tat sind diese Strafgelder, die weitgehend automatisch kommen, sicher ein wirksames Mittel. Kein Land verliert gerne Geld und kein Land gibt gerne Geld in die Europäische Union, ohne etwas dafür zu haben. Das kommt auch beim Wähler schlecht an. Deswegen glauben wir, dass das Paket, das gestern beraten und beschlossen worden ist und jetzt den Mitgliedsstaaten vorgelegt wird, die richtige Konsequenz aus der Währungs- und Haushaltskrise Europas vom Mai dieses Jahres und aus den ganzen letzten Jahren ist.
Armbrüster: Und Sie müssen deshalb in das Haushaltsrecht der Mitgliedsländer eingreifen?
Oettinger: Ja, genau. Die Mitgliedsländer sind Mitglied der europäischen ...
Armbrüster: Das heißt, dieses Haushaltsrecht ist eigentlich nichts mehr wert?
Oettinger: Das Haushaltsrecht der Länder bleibt gewahrt. Wir mischen uns überhaupt nicht ein, ob sie Lehrer einstellen oder Polizeibeamte, ob sie investieren oder ob sie Steuern senken.
Armbrüster: Aber Sie wollen kontrollieren, wie viel Geld sie wofür ausgeben?
Oettinger: Nein, nicht wofür! Wir wollen wissen, dass die Ausgaben unterm Strich die Einnahmen nicht übersteigen und dass die vor zehn Jahren gemeinsam beschlossenen Währungskriterien - namentlich für die Staatsverschuldung - eingehalten werden. Damals galt, maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind an Schulden erlaubt und maximal 60 Prozent überhaupt. Wenn Sie jetzt sehen, dass wir im Schnitt der Mitgliedsstaaten bei 90 Prozent Gesamtverschuldung angekommen sind und dass in diesem Jahr praktisch kein Land die drei Prozent einhält, dann sind dringend konsequente Maßnahmen notwendig. Nicht im Detail, aber für die Gesamthaushaltsstruktur muss die Europäische Union überwachen, was die Mitgliedsstaaten sich selbst auferlegt haben.
Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk war das Günther Oettinger, der deutsche EU-Kommissar für Energie. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Oettinger.
Oettinger: Ich danke auch. Guten Tag!
Am Telefon begrüße ich den deutschen EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger. Schönen guten Morgen, Herr Oettinger.
Günther Oettinger: Guten Morgen!
Armbrüster: Herr Oettinger, geht Ihnen auch die Geduld mit Frankreich aus?
Oettinger: Die Europäische Kommission ist ja kein Staatsanwalt und auch nicht der Gegner von Mitgliedsstaaten, sondern ist ein Partner für gemeinsame Ziele. Aber klar ist: Verträge müssen eingehalten werden und Gesetze ebenso. Deswegen müssen wir überwachen und die Einhaltung erwarten, wenn es um eindeutige Gesetze Europas geht, die durch die Mitgliedsstaaten umgesetzt und durch die Behörden vor Ort einzuhalten sind. Jetzt haben die französischen Partner drei Wochen Zeit, um nachzuweisen, wie sie handeln, und um gegebenenfalls ihr Vorgehen bei der Abschiebung von europäischen Unionsbürgern aus Frankreich heraus zu ändern. Dann, wenn dies geschieht, kann der Fall zu den Akten gelegt werden, zumal die offene Freizügigkeitsgesetzgebung in Frankreich jetzt anläuft und hoffentlich bald auch im Gesetzblatt steht. Wenn die Franzosen aber sich verweigern, oder wenn die Praxis vor Ort EU-rechtswidrig sein sollte, dann werden wir Ende Oktober gegen Frankreich vor dem Europäischen Gerichtshof klagen, um so dies durch das höchste europäische Gericht zu erzwingen.
Armbrüster: War die Entscheidung für dieses ziemlich knappe Ultimatum denn innerhalb der Kommission umstritten?
Oettinger: Sie war im Ergebnis einstimmig. Aber klar ist: Wir alle machen es uns nicht leicht. Frankreich ist ja nicht irgendwer, ist ein Gründungsmitglied der Europäischen Union, ein Land, das durch und durch rechtsstaatlich geprägt ist, ein weltoffenes Land, und deswegen wägt man gründlich ab. Und in der Tat ist es sinnvoll, jetzt nicht mit lauten und eher emotionalen Äußerungen von Paris nach Brüssel oder auch umgekehrt zu arbeiten, sondern entlang der Fakten. Da müssen die Franzosen die Karten auf den Tisch legen. Und klar ist: Wir, die Kommission, sind, wenn wir vor dem Europäischen Gerichtshof antreten, beweispflichtig. Also auch uns helfen nicht Vermutungen, Behauptungen, sondern nur Fakten und Nachweise.
Armbrüster: Nun erscheint dieses Ultimatum, glaube ich, ziemlich vielen Leuten als ziemlich laut, wenn man das so sagen darf. Wäre es nicht klüger gewesen, die Regierung in Frankreich in, sagen wir mal, Gesprächen möglicherweise auch in Hinterzimmern zum Einlenken zu bewegen?
Oettinger: Die gab es ja und die gibt es auch weiter. Aber es entstand ein Problem: Zwei Regierungsmitglieder Frankreichs haben letztendlich gegenüber der Kommission dargetan, alles sei in Ordnung, macht euch keine Sorgen, und es war eben nicht alles in Ordnung. Und dieser Erlass, der als Anweisung von Paris an die Behörden vor Ort das Vorgehen beschrieb, hat natürlich schon die Sinti und Roma an den Pranger gestellt. Man muss jetzt einfach die Vermutung prüfen, wird hier in jedem Einzelfall das europäische Recht angewandt, oder gab es letztendlich Abschiebungen in einer Zahl und in einer Pauschalität, die mit dem europäischen Recht nicht vereinbar gewesen wäre.
Armbrüster: Sie hören die "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit Günther Oettinger, dem deutschen EU-Kommissar für Energie. – Herr Oettinger, die EU-Kommission hat gestern auch einen Plan für schärfere Regeln beschlossen für Euro-Mitgliedsländer, die sich zu hoch verschulden. Unter anderem ist geplant, dass Defizitsünder in der Union künftig 0,2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung quasi als Pfand bei der Kommission abgeben müssen. Hat die Kommission das Vertrauen in die Regierungen in Europa verloren?
Oettinger: Wir alle, auch die Mitgliedsstaaten, haben gemerkt, dass Vertrauen das eine ist, aber dass wir in den Haushaltsberatungen vor Ort und im Haushaltsvollzug in den letzten Jahren zu lasch gewesen sind. Wir standen ja im Mai in einer ganz schwierigen Lage, als nur durch den europäischen Rettungsschirm die Währung und das Vertrauen in die europäischen Haushalte und das Vertrauen der Gläubiger in die Anleihen und Schulden gefährdet war. Deswegen war, nachdem dieser Rettungsschirm im Mai beschlossen worden ist und jetzt auch wohl hält und vielleicht gar nicht gebraucht wird, notwendig, gegenüber dieser Maßnahme der europäischen Solidarität die zweite Stufe aufzubauen, nämlich mehr Stabilität für Haushalte. Dies geht nur, wenn es zum einen ganz klare Vorgaben gibt. Dies geht nur, wenn wir die Haushalte nicht erst am Ende, nach der Abrechnung überwachen – dann ist es zu spät -, sondern wenn wir vorgelagert schon die Haushaltsentwürfe bewerten dürfen und in die Haushaltsberatungen mit ganz konkreten kritischen Anmerkungen eingreifen können, und es geht nur mit Sanktionen.
Manchmal ist eben eine Strafe notwendig, um das richtige Verhalten zu erzwingen, und in der Tat sind diese Strafgelder, die weitgehend automatisch kommen, sicher ein wirksames Mittel. Kein Land verliert gerne Geld und kein Land gibt gerne Geld in die Europäische Union, ohne etwas dafür zu haben. Das kommt auch beim Wähler schlecht an. Deswegen glauben wir, dass das Paket, das gestern beraten und beschlossen worden ist und jetzt den Mitgliedsstaaten vorgelegt wird, die richtige Konsequenz aus der Währungs- und Haushaltskrise Europas vom Mai dieses Jahres und aus den ganzen letzten Jahren ist.
Armbrüster: Und Sie müssen deshalb in das Haushaltsrecht der Mitgliedsländer eingreifen?
Oettinger: Ja, genau. Die Mitgliedsländer sind Mitglied der europäischen ...
Armbrüster: Das heißt, dieses Haushaltsrecht ist eigentlich nichts mehr wert?
Oettinger: Das Haushaltsrecht der Länder bleibt gewahrt. Wir mischen uns überhaupt nicht ein, ob sie Lehrer einstellen oder Polizeibeamte, ob sie investieren oder ob sie Steuern senken.
Armbrüster: Aber Sie wollen kontrollieren, wie viel Geld sie wofür ausgeben?
Oettinger: Nein, nicht wofür! Wir wollen wissen, dass die Ausgaben unterm Strich die Einnahmen nicht übersteigen und dass die vor zehn Jahren gemeinsam beschlossenen Währungskriterien - namentlich für die Staatsverschuldung - eingehalten werden. Damals galt, maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind an Schulden erlaubt und maximal 60 Prozent überhaupt. Wenn Sie jetzt sehen, dass wir im Schnitt der Mitgliedsstaaten bei 90 Prozent Gesamtverschuldung angekommen sind und dass in diesem Jahr praktisch kein Land die drei Prozent einhält, dann sind dringend konsequente Maßnahmen notwendig. Nicht im Detail, aber für die Gesamthaushaltsstruktur muss die Europäische Union überwachen, was die Mitgliedsstaaten sich selbst auferlegt haben.
Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk war das Günther Oettinger, der deutsche EU-Kommissar für Energie. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Oettinger.
Oettinger: Ich danke auch. Guten Tag!