Archiv

Oettinger zu Einigung bei EU-Gipfel
"Es zeigt sich, europäische Lösungen sind möglich"

EU-Haushaltskommissar Günter Oettinger hat die Einigung beim EU-Gipfel zur Migrationspolitik als "echten Durchbruch" begrüßt. Europäische Lösungen seien Alleingängen der einzelnen Staaten vorzuziehen, sagte er im Dlf. Er erwarte außerdem, dass die CSU die Einigung als großen Fortschritt anerkennen werde.

Günther Oettinger im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger
    EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger ist zufrieden mitder Einigung des EU-Gipfels zur Migrationspolitik, (AFP / John Thys)
    Tobias Armbrüster: Schönen guten Morgen, Herr Oettinger!
    Günther Oettinger: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Oettinger, das ist jetzt eine ganze Menge, was wir da hören an Gipfelbeschlüssen aus Brüssel. Ich fasse mal zusammen: Sammelstellen soll es geben für Flüchtlinge außerhalb der EU, also in Nordafrika. Außerdem geschlossene Lager für Flüchtlinge, die in Europa angekommen sind, in Südeuropa. Wie realistisch ist das alles?
    Oettinger: Ich glaube, dass die gründliche Vorarbeit von Präsident Juncker und der Bundeskanzlerin jetzt einen echten Durchbruch gebracht hat. Da ist noch vieles im Detail abzuarbeiten, aber es zeigt sich, europäische Lösungen sind möglich. Ich würde mal sagen: Das Ganze beruht auf einer freiwilligen Solidarität und Klugheit. Es geht darum, dass die Grenzen gemeinsam geschützt werden. Es geht darum, dass wir Menschen, die im Mittelmeer sind, aufnehmen und dann verteilen auf mehrere Länder und damit die Entlastung von Italien, Spanien, Griechenland, Malta, Zypern uns allen wichtig ist.
    Es geht darum, dass wir intensiv versuchen, innerhalb und außerhalb Europas kontrollierte Zentren aufzubauen, das heißt Unterbringungsstätten, die Menschenwürde beinhalten und die trotzdem Aufenthaltspflicht beinhalten. Und wir haben dann Gelder freigemacht. Endlich wurde für die zweite Tranche Türkei-EU das Paket von drei Milliarden für die 1,2 Millionen Menschen, die in der Türkei leben und dort Menschenwürde bekommen sollen, freigegeben. Wir haben für Afrika das 500-Millionen-Paket jetzt geschnürt. Ich glaube, das Ganze ist ein wichtiger und großer Schritt.
    Armbrüster: Herr Oettinger, lassen Sie uns zunächst mal bleiben bei den geschlossenen Lagern, die jetzt geplant sind für Flüchtlinge in Südeuropa, und der Verteilung der Flüchtlinge. Das ist alles seit Jahren schon immer im Gespräch gewesen, gerade bei der Verteilung haperte es, es hat nie richtig funktioniert. Auch diese geschlossenen Lager, da sagt jetzt schon der italienische Ministerpräsident, er wüsste gar nicht, ob man das in Italien überhaupt machen soll. Ist das nicht eigentlich auch wieder zum Scheitern verurteilt?
    Oettinger: Es zeigt, dass hier die Bereitschaft zur Solidarität deutlich gestiegen ist. Wir haben in den letzten Tagen gesehen die Bilder von Schiffen auf Hoher See, Menschen, die tagelang hin- und hergefahren werden. Und ich glaube, es haben gestern und heute Morgen alle den Willen nach Brüssel gebracht, daraus rauszukommen und hauptbetroffene Länder wie Italien zu entlasten.
    Mittelmeeranrainerstaaten: "Bereitschaft, diese Länder zu entlasten"
    Armbrüster: Aber angekündigt, Herr Oettinger, wird das wie gesagt seit Jahren. Funktioniert hat das noch nie!
    Oettinger: Europa ist bei Entscheidungen zwischen den Mitgliedsstaaten keine leichte Veranstaltung. Da muss der Druck erst wachsen. Da hat man gesehen, dass man lange Zeit geglaubt hat, Dublin III sei die weiterhin allein geltende Regelung. Aber klar ist: Dublin III ist in Jahren mit wenig Flüchtlingen machbar. Wenn aber viele kommen, wird dies für Italien, Griechenland, Bulgarien, Malta, Zypern und Spanien ein Problem, und deswegen ist jetzt endlich, aber immerhin die Bereitschaft, diese Länder zu entlasten und gemeinsam zu handeln, erklärt worden.
    Armbrüster: Können wir dann mit dem heutigen Tag sagen, Dublin III, dieses Abkommen ist tatsächlich Geschichte?
    Oettinger: Dublin III ist novellierungsbedürftig. Das war eine gute Regelung für Jahre mit wenig Flüchtlingen. Und jetzt werden wir mit Sicherheit – und das ist der Auftrag an die österreichischen Freunde – im zweiten Halbjahr beschleunigt die von der Kommission gemachten Vorschläge beraten und entscheiden müssen, um Dublin III zu modernisieren, an die heutigen Verhältnisse anzupassen.
    Armbrüster: Mit dieser Resolution, die in der vergangenen Nacht verabschiedet wurde, soll jetzt unter anderem noch einmal ein Anlauf gemacht werden, Flüchtlinge innerhalb der EU zu verteilen. Was machen Sie mit solchen Staaten, vor allen Dingen haben wir das in Osteuropa erlebt, die da nicht mitmachen wollen?
    Oettinger: Da haben wir zwar die im europäischen Recht stehende Quote, aber die mit der Brechstange durchzusetzen, ist nicht zwingend sinnvoll. Deswegen glauben wir, dass eine vergleichbare Solidarität sinnvoll ist. Das heißt: Länder, die weniger Flüchtlinge aufnehmen, sollten mehr Grenzschutzbeamte abordnen, und wir sollten auch Geld im Einzelfall geben, um so das, was wir insgesamt leisten müssen, kozufinanzieren und herbeizuführen.
    "Da müssen wir etwas restriktiver vorgehen"
    Armbrüster: Das alles, was wir da jetzt gesehen haben, läuft hinaus, wenn es tatsächlich so kommt, auf eine deutliche Verschärfung des europäischen Asylrechts. Können wir sagen, die Rechtspopulisten, die EU-Gegner, die haben sich jetzt in Europa durchgesetzt?
    Oettinger: Es gelten unverändert die Genfer Flüchtlingskonvention und die Menschenrechtskonvention. An die halten wir Europäer uns. Klar ist: Wir haben andere Zeiten! Wir haben Instabilität in Nordafrika. Wir haben einen Bürgerkrieg, der sich wieder verschärft, in Syrien. Und die Zahl der Menschen, die nach Europa will, ist weit höher als jemals zuvor. Da müssen wir etwas restriktiver vorgehen, müssen reagieren, um nicht die Akzeptanz zur Aufnahme in Europa insgesamt zu befördern.
    Armbrüster: Und, Herr Oettinger, wir haben auch immer mehr europäische Regierungen, die von Populisten gestellt werden. Haben die sich jetzt durchgesetzt?
    Oettinger: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass alle Regierungen, egal warum sie gewählt wurden, wann sie gewählt wurden, welches Programm sie haben, erkennen: Es geht nur europäisch. Ich glaube, die beste Botschaft von heute Morgen ist: Die europäischen Lösungen sind vorzugswürdig und 28 oder 27 Alleingänge wären der falsche Weg.
    "Es gibt gute Gründe, dass die CSU dies als einen großen Fortschritt anerkennt"
    Armbrüster: Herr Oettinger, dieser Konflikt, den wir da erleben, der wird ja an zwei Orten ausgetragen: zum einen bei der Europäischen Union. Wir haben das erlebt in der Nacht in Brüssel bei diesem Gipfel. Der andere ist innerhalb Ihrer Partei, in der Union. Kann so ein Kompromiss, wenn er denn tatsächlich kommt, kann so eine Resolution, wie wir sie jetzt haben, kann die Frieden stiften zwischen CDU und CSU?
    Oettinger: Jetzt wird die Bundeskanzlerin heute Nachmittag, nachdem heute Morgen endlich auch andere Themen bearbeitet werden können, nach Berlin zurückfliegen und dann dies uns allen erklären, Bundestagsabgeordneten, dem Deutschen Bundestag insgesamt, dem Präsidium Sonntag, der CSU, Horst Seehofer und seinen Kollegen Söder und Dobrindt. Und ich glaube, es gibt gute Gründe, dass die CSU dies als einen großen Fortschritt anerkennt. Wir in der CDU werden es als einen großen Fortschritt anerkennen, und dann die Frist am 1. Juli nichts auslöst, sondern diese europäischen Lösungen anerkannt werden, ein wichtiger Fortschritt anerkannt wird und weitere Schritte vor uns liegen und die abgewartet werden.
    Armbrüster: Ganz kurz noch, Herr Oettinger. Was glauben Sie denn, wie lange dauert das, bis diese ganzen Vorschläge, die da gemacht wurden, diese Punkte, bis die Realität werden?
    Oettinger: Unser Kommissarskollege Avramopoulos berichtet uns fast jede Woche über die Beratungen im Rat, im Rat der Innenminister, und es ist mit dem Beschluss von heute Morgen ein klarer Auftrag der Regierungschefs da, diese Beratungen zu Ende zu führen. Ich hoffe, dass im September mit den Österreichern als Präsidierende die Umsetzung dieser sieben Gesetzgebungsvorschläge entscheidende Schritte bekommt und die meisten verabschiedet werden und bis Jahresende alles unter Dach und Fach gebracht wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.