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Özoguz: Weniger Konzepte, mehr Handeln

Man dürfe es nicht bei immer neuen Plänen belassen, kritisiert die Integrationsbeauftragte der SPD, Aydan Özoguz, vor dem 5. Integrationsgipfel der Bundesregierung. Wichtiger sei es, beschlossene Maßnahmen auch konsequent umzusetzen.

Aydan Özoguz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Im Juli 2006 hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel erstmals zum sogenannten Integrationsgipfel ins Kanzleramt eingeladen – ein Auslöser: Die erschreckend schlechten Pisa-Ergebnisse über die Leistungen deutscher Schüler, bei dem vor allem ein Ergebnis aufschreckte. In kaum einem anderen Land hängt der schulische Erfolg so sehr vom Elternhaus ab wie in Deutschland. Menschen mit Migrationshintergrund haben es da oft besonders schwer. Viermal kam man inzwischen zusammen, heute also das fünfte Treffen.
    Gerade eben habe ich sprechen können mit Aydan Özoguz. Sie ist stellvertretende SPD-Vorsitzende und Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion und sie habe ich zuerst gefragt, was denn die Integrationsgipfel der Bundesregierung bisher positiv bewirkt haben.

    Aydan Özoguz: Ich glaube, dass es am Anfang schon ein ganz gutes Zeichen war, dass man die Menschen ins Bundeskanzleramt eingeladen hat, all die Verbände, Migrantenverbände, auch die Einzelpersonen teilweise, dass man ihnen ein Gespräch angeboten hat, sich zusammenzusetzen und deutlich zu machen, hier wird etwas sehr ernst genommen. Ich glaube, dass das am Anfang eine sehr richtige und gute Sache war. Aber da muss natürlich dann eben auch etwas daraus folgen nach nun fast mehr als fünfeinhalb Jahren.

    Heckmann: Gab es denn bisher konkrete positive Schritte?

    Özoguz: Ich glaube, am Anfang stand ja das Ziel, diesen nationalen Integrationsplan zu erstellen. Der ist ja auch erstellt worden. Da sind ja nun viele, viele richtige Dinge zusammengetragen worden, die in der Gesellschaft einfach anliegen, ich sage mal aus den Bereichen der Bildungspolitik bis hin eben auch zu Sachen, die mit dem Zuwanderungsgesetz ja mal eingeführt wurden. Also all diese Sprachintegrationskurse, was bei Schülern anliegt, was auf dem Arbeitsmarkt anliegt, also alles mögliche, was vielleicht tatsächlich sehr, sehr wichtig ist, wurde dort zusammengetragen, es wurde eben auch von den Verbänden dort natürlich zur Sprache gebracht, und das war, ich glaube schon, erst mal eine gute Sache, das mal an einer Stelle zu sammeln.
    Der zweite Schritt war dann, aus diesem nationalen Integrationsplan einen Aktionsplan zu machen, und ich glaube, das ist der Punkt, an dem ich sehr kritisch bin und auch sagen muss, ein Plan ist ja erst mal gut, danach hätte es dann sehr konkrete Schritte einfach des Regierungshandelns geben müssen und nicht sozusagen einen Plan nach dem anderen, Hunderte Seiten wieder zu verfassen.

    Heckmann: Heute soll dieser nationale Aktionsplan der Integration – pardon, wenn ich Sie da unterbreche – ja vorgestellt werden. Das hört sich ja auch erst mal gut an. Aber Sie sind sich nicht sicher, ob uns das wirklich voranbringen wird?

    Özoguz: Ich bezweifele, dass man einfach bei diesen Plänen bleiben kann, dass man immer wieder sagen kann, wir nennen das eine so, das andere so und schreiben immer wieder alles neu auf, und im eigenen Regierungshandeln machen wir dann teilweise etwas ganz anderes. Das, glaube ich, kann auf Dauer einfach so nicht hinhauen. Es gibt viele, viele Dinge, die hier in den letzten Jahren einfach in den Fokus gerückt sind, wie beispielsweise die Sprachkurse, wie auch bestimmte Sachen an den Schulen mit den Abbrecherquoten, Berufsabschlüsse. Ob man jetzt auf Dauer neue Pläne dafür braucht, ist sehr fraglich, denn das wird ja ohnehin auch jetzt gemacht. Ich glaube, dass es langsam dazu übergehen müsste, bei diesen Gipfeln tatsächlich auch mal Prioritäten zu setzen und zu sagen, ja, wir werden zwei, drei Dinge in den Vordergrund rücken, die uns diese Verbände nennen, und dann auch ganz aktiv aus diesen Gipfeln in die Regierungsarbeit hineintragen.

    Heckmann: Frau Özoguz, im Öffentlichen Dienst sind die Migranten unterrepräsentiert, Migranten werden überdurchschnittlich in prekäre und schlecht bezahlte Jobs abgedrängt, bei Ausbildungsstellen benachteiligt, bei der Jobvergabe haben in Deutschland lebende Ausländer das Nachsehen, wenn jemand mit deutschem Pass auf der Liste steht. Das sind alles aber Probleme, die es auch schon gab, als die SPD an der Regierung war.

    Özoguz: Also ich glaube zunächst einmal, dass diese ständige Diagnose Migrationshintergrund da uns auch ein bisschen den Blick vernebelt. Tatsächlich kann man ja die Sachen sich sehr direkt anschauen, und die Ursachen liegen einfach auf der Hand. Nach Deutschland sind nicht massenhaft Menschen gekommen, die ohnehin schon gut ausgebildet waren und die über selbst sehr gute Hintergründe verfügten, was ihre eigene Bildungssituation beispielsweise angeht. Also wir müssten schon tatsächlich mal genauer hingucken, wo es hapert, und da ist beispielsweise durchaus ein sehr ernst zu nehmender Punkt, dass wir Menschen, die fremd klingende Namen haben, sehr selten in unserem Land in Bewerbungsgesprächen wiederfinden. Da können nicht immer nur die Menschen etwas dafür, die eben diese fremd klingenden Namen haben, und bei solchen Dingen muss man vielleicht auch noch mal den Rest der Gesellschaft einbeziehen und stärker dahinter schauen, was sich denn dort tut, warum bekommen die weniger Chancen. Und dann kann man sagen, okay, auf der einen Seite müssen wir mehr tun, wie ja auch Pisa uns schon genügend zeigt, diese ganzen Pisa-Studien, wenn die Menschen wenig Bildungshintergrund haben, wenn sie vielleicht auch schlechter sozial gestellt sind, dass man dort mehr Anstrengungen braucht. Wir sehen, es geht, man kann Abbrecherquoten tatsächlich ja auch senken, man kann besser mit Berufsabschlüssen die Menschen auch ausstatten, wenn man sich noch mehr Mühe gibt. Und auf der anderen Seite müssen wir aber auch schauen, ist die Gesellschaft auch bereit, tatsächlich diese Menschen aufzunehmen, auch wenn sie ganz fremd klingende Namen haben, und vielleicht sich nicht immer dahinter zu verstecken zu sagen, na, passt das zu uns, ist das auch in unsere Kultur integrierbar. Also ich glaube, da gehören ganz viele Seiten zu.

    Heckmann: Aber meine Frage, Frau Özoguz, die zielte ja auf die Verantwortung der SPD. Hat also Ihre Partei dieses Thema auch jahrzehntelang verschlafen?

    Özoguz: Nein, verschlafen würde ich nicht sagen. Dass auch die SPD nicht immer alles richtig gemacht hat, ist klar. Aber wir haben einfach doch sehr viele sehr wichtige Themen angepackt. Ich glaube, das darf man einfach auch nicht vergessen. Man überlege sich nur mal die Diskussion um das neue Zuwanderungsgesetz, und die Sprach- und Integrationskurse, die es heute gibt, sind das Produkt des Zuwanderungsgesetzes. Das wird ja gerne mal vergessen. Und wenn die CDU heute sagt, dass sie das alles so toll machen würde, dann sollte sie mal dazu sagen, wie schwer es damals war, sie dazu zu bewegen, dieses Zuwanderungsgesetz nun mit abzustimmen. Das Schauspiel damals im Bundesrat, das ist doch vielen noch sehr präsent. Also ich glaube, wir haben schon ganz häufig auf die richtigen Themen gesetzt und auch durchaus ja häufig mal dafür Prügel kassiert, man denke an kommunales Wahlrecht, man denke an doppelte Staatsbürgerschaft, was Herr Koch damals in seinem Wahlkampf daraus gemacht hat. Aber ich sage trotzdem nicht, dass wir jetzt immer alles richtig gemacht hätten. Natürlich braucht man immer und überall mehr Anstrengung, man braucht sie vor allen Dingen vereint. Es nützt an der Stelle einfach nichts, sich ständig zwischen den Parteien zu streiten. Aber die CDU muss sich eben auch stärker bewegen, und mit Gipfeln allein wird das alles nicht funktionieren.

    Heckmann: Frau Özoguz, die Mordserie der rechtsextremen NSU hat die Öffentlichkeit schockiert. Die türkische Gemeinde, die ja auch Mitglied des Gipfels heute im Kanzleramt ist, möchte heute auch über Rassismus sprechen. Sehen Sie das auch so, oder meinen Sie, dass es der falsche Ort?

    Özoguz: Nein, das ist ganz sicher nicht der falsche Ort, denn es ist der Punkt, den ich erwähne, damit, wenn ich sage, wir müssen auch über den Rest der Gesellschaft sprechen. Natürlich ist es ganz wichtig zu sagen, was tut sich eigentlich in unserer Gesellschaft, und zwar eben nicht nur am Rand irgendwo, sondern in der Mitte, werden Menschen eigentlich faire Chancen gegeben, oder gibt es schon einen Unterschied, wenn ich einen fremd klingenden Namen habe. Man stelle sich mal wirklich die Situation ja doch vor, wie sie tagtäglich erlebt wird: bekomme ich eine Mietwohnung, kann ich ein Haus kaufen, bekomme ich eine Arbeit, einen Arbeitsplatz, oder einen Ausbildungsplatz, oder bekomme ich es häufig auch mal nicht, nur aufgrund meines kulturellen Hintergrundes, in den ja mitunter auch mal sehr viel mehr Eigenartiges hineininterpretiert wird, als dann da ist. Man hört das doch bei ganz vielen, die am Ende ein sehr, sehr harmonisches Verhältnis mit ihrem Umfeld haben und vorher viele, viele Barrikaden bei Seite räumen mussten. Ich glaube, da muss schon noch etwas in der gesamten Gesellschaft sich bewegen, und ich fände es gut, wenn eben auch die Bundesregierung sich dem ein Stück stellen würde.

    Heckmann: Über den Integrationsgipfel im Kanzleramt haben wir gesprochen mit Aydan Özoguz. Sie ist stellvertretende SPD-Vorsitzende und Mitglied des Gipfels heute in Berlin.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.