Die Versammlung der russisch-zyprischen Handelskammer in Nikosia. Auch viele Repräsentanten von Banken sind in das noble Hotel gekommen. Sie vor allem warten gespannt auf den Auftritt von Finanzminister Vassos Shiarly. Doch ein Hilfegesuch seines Landes an den EU-Rettungsschirm will er noch nicht bestätigen. Shiarly versucht hingegen die anwesenden ausländischen Investoren zu beruhigen. Selbst wenn man die Hilfe des ESFS in Anspruch nähme, versichert er, wolle die Regierung an dem höchst attraktiven Satz von zehn Prozent Unternehmenssteuern festhalten:
"Auch Irland hätte nach Inanspruchnahme der Hilfen seine günstigen Unternehmenssteuern erhöhen sollen. Die Iren haben sich dagegen aber erfolgreich gewehrt. Ich versichere Ihnen: Wenn wir für unseren Bankensektor Hilfe aus dem EFSF in Anspruch nehmen sollten, wird die Unternehmenssteuer nicht angetastet."
Trotzdem ist ungewiss, ob die europäischen Partner Nikosia nach ihren Hilfszahlungen erlauben werden, weiterhin ein Steuerparadies zu bleiben. Die Zeit drängt. Das Land steckt in einer Rezession, die Arbeitslosigkeit wird in diesem Jahr wohl erstmals bei mehr als zehn Prozent liegen. Zudem leidet der Inselstaat unter einer Energiekrise, denn das größte Kraftwerk des Landes wurde im vergangenen Jahr bei einer Explosion zerstört. Inzwischen hat die schleichende Krise auch den zyprischen Tourismus erreicht. Allein im Februar gingen die Buchungen um elf Prozent zurück. Nur die Zahl der russischen Besucher hat sich seit dem vergangenen Jahr verdoppelt. Ohne die Russen geht im zyprischen Tourismus nichts mehr - und nicht bloß dort:
Mehr als 25 Prozent der Bankeinlagen und etwa ein Drittel der ausländischen Investitionen kommen aus Russland. Gewinne brauchen Ausländer in Zypern gar nicht zu versteuern. Nicht nur von russischen Geschäftsleuten, auch vom russischen Staat mache sich Nikosia immer abhängiger. Juri Pianykh vom Verband russischer Unternehmer in Zypern kennt diese Kritik, doch er sieht in Russland einen Helfer in der Not.
"Wie Sie wissen, hat die Russische Föderation Zypern bereits einen Kredit in Höhe von zweieinhalb Milliarden Dollar zu sehr guten Konditionen gewährt. Jetzt gibt es Gespräche über einen weiteren Kredit. Wir haben also sehr gute wirtschaftliche Beziehungen."
Der nächste Kredit soll fünf Milliarden US-Dollar betragen. Dass die zyprische Regierung kurz vor Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft öffentlich über Hilfen aus Russland nachdenkt, löst in Brüssel Kopfschütteln aus.
Manche sehen in der Hilfsbereitschaft Moskaus auch ein Dankeschön für die politische Unterstützung der zyprischen Regierung. Präsident Christofias hat noch zu Sowjetzeiten in Moskau studiert. Er unterstützte als einziger EU-Regierungschef die russische Invasion in Georgien 2008. US-Diplomaten beschreiben Christofias in auf WikiLeaks veröffentlichten Depeschen als begeisterten NATO-Kritiker. Im Hafen von Limassol sollen russische Frachter mit Waffen für Syrien abgelegt haben. Auch die russische Mafia soll auf Zypern aktiv sein. Dass es dubiose russische Geldquellen auf Zypern gibt – darüber werde in Nikosia zwar viel getuschelt, aber kaum offen gesprochen. Der Journalist Demetris Georgiades beklagt das, und er wählt seine Worte mit Bedacht:
"In der globalisierten Welt muss jeder früher oder später sein Haus in Ordnung bringen. Ich glaube, wir Zyprer sind auf dem richtigen Weg. Aber was die russischen Investitionen hier angeht … – ja, sicher, da ist bestimmt schmutziges Geld dabei."
Zypern braucht schnell viel Geld - vor allem für seine Banken. Bis Monatsende muss Zypern mindestens 1,8 Milliarden Euro auftreiben, um die Cyprus Popular Bank zu rekapitalisieren - eine Summe, die etwa zehn Prozent des zyprischen Bruttoinlandsprodukts entspricht.
Nicht allein die Cyprus Popular Bank, das zweitgrößte Geldhaus des Landes, steht unter hohem Druck. Finanzexperten wie Stelios Platis machen dafür vor allem Griechenland verantwortlich:
"Der zyprische Bankensektor hat sich zu sehr auf Geschäfte mit den griechischen Banken konzentriert. Wegen der Krise in Griechenland können unsere Banken die Wirtschaft nun nicht mehr mit Krediten unterstützen."
Ein Viertel der Auslandsinvestitionen kam bislang aus Griechenland, ein Fünftel des Handels wickelt Zypern mit dem großen Bruder ab. Jeder dritte Euro auf einem zyprischen Bankkonto gehört einem Griechen. Die Auswirkungen sind gravierend: Nach Angaben des zyprischen Unternehmerverbandes müssen im Schnitt 60 Unternehmen und Geschäfte monatlich schließen. Die Folgen sind in Nikosia zu sehen. In manchen Straßen steht jedes zweite Geschäft leer.
Große Hoffnungen setzt Nikosia daher in überraschende Öl- und Gasfunde vor der Küste. Noch müssen die Zyprer Öl und Gas teuer importieren. Doch wenn die Bohrungen erfolgreich verlaufen, könnten ihnen spätestens ab 2020 allein 3,5 Billionen Kubikmeter Gas zur Verfügung stehen. Das sind Schätzungen, wenn sie richtig liegen wäre das weit mehr als das kleine Land selbst braucht.
Die Zyperngriechen haben zwar mit Staaten wie dem Libanon und Israel über die Ausbeutung der Erdölvorräte im östlichen Mittelmeer gesprochen, nicht jedoch mit den türkischen Zyprern. Das hat zu neuen Spannungen zwischen beiden Volksgruppen geführt.
Hier liegt das andere ungelöste Problem Zyperns. Auch wenn darüber, jetzt in der Wirtschaftskrise kaum noch jemand spricht: Die Teilung der Insel.
Das Zypern-Problem ist ein Erbe der britischen Kolonialherrschaft. Als sich das Ende in den 50er-Jahren abzeichnete, versuchten die beiden Volksgruppen mit Unterstützung ihrer jeweiligen "Mutterländer" ihre gegensätzlichen Ziele durchzusetzen. Die ursprüngliche Absicht der griechischen Mehrheit – sie stellt 80 Prozent der Bevölkerung - war "Enosis" - die Vereinigung mit Griechenland. Die türkische Minderheit, rund 18 Prozent der Bevölkerung, wollte die Teilung der Insel, auf Türkisch "Taksim" .
1960, nach Ende der britischen Herrschaft über die Insel, wurde die Republik Zypern gegründet – mit beiden Volksgruppen als gleichberechtigten Staatsvölkern. Großbritannien, Griechenland und die Türkei kam die Rolle von Garantiemächten zu. Doch 1963 brach ein Bürgerkrieg aus. Türken und Griechen, die bis dahin als gute Nachbarn gelebt hatten, wurden zu Feinden. Die Mehrheit der türkischen Zyprer musste fortan in Enklaven leben.
Als 1974 Athener Obristen gegen die Regierung Makarios einen Putsch anzettelten, sah die Garantiemacht Türkei die türkische Minderheit in Gefahr. Sie ließ Truppen auf der Insel landen. Seitdem sind 36 Prozent des Territoriums von der Türkei besetzt. 160.000 griechische Zyprer mussten in den Süden flüchten, Zehntausende Türken von dort in den Norden. Zwei sogenannte "ethnisch bereinigte" Zonen entstanden: ein türkisch besiedelter Nordteil und der griechische Süden.
Die türkischen Zyprer riefen im Norden die "Türkische Republik Nord-Zypern" aus. Sie wird aber nur von der Türkei anerkannt und ist wirtschaftlich völlig auf das Mutterland angewiesen. Besonders die Vereinten Nationen haben sich seitdem immer wieder um einen dauerhaften Frieden auf der Insel bemüht. Doch erst als die Europäische Union ins Spiel kam, keimte Hoffnung auf. Die südliche Republik Zypern sollte zum 1. Mai 2004 Mitglied der EU werden. Wenige Monate zuvor, im November 2003, waren der Türkei Beitrittsgespräche zugesichert worden. Der Lohn für die Reformpolitik der türkischen Regierung unter Tayyip Erdogan.
Auf Erdogans Druck hin öffnete die Regierung in Nord-Nikosia im Frühjahr 2003 die trennende "grüne Linie" zwischen Nord und Süd. Erstmals seit der Teilung konnten Griechen aus dem Süden den Norden besuchen – und umgekehrt. Nach monatelangen Verhandlungen legte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan im November 2003 einen detaillierten Wiedervereinigungsplan vor: Dessen Kern bildete der Vorschlag einer Föderation zweier Teilstaaten unter dem Dach der EU. Obwohl Teile davon immer wieder kritisiert worden sind, gilt dieser Plan bis heute als Blaupause für einen realistischen Lösungsansatz.
Laut dem Annan-Plan sollte jeder Landesteil sein eigenes Parlament bekommen. Auf gesamtstaatlicher Ebene waren ein Unter- und ein Oberhaus vorgesehen. Im Unterhaus sollten die Zyperngriechen zwei Drittel, die Zyperntürken ein Drittel der Abgeordneten stellen. Der Senat sollte jeweils zur Hälfte aus Vertretern beider Volksgruppen bestehen. Bei Streitfragen sollte ein hohes Gericht angerufen werden können, dem neben Vertretern beider Volksgruppen auch ein Bürger eines neutralen Drittstaates angehören sollte.
Der Annan-Plan sah auch vor, dass der türkisch-zyprische Norden rund sechs Prozent seines Territoriums an den Süden abtreten sollte. Damit war die türkische Seite genauso einverstanden, wie mit der Entmilitarisierung: Die Zahl der türkischen Soldaten sollte von 35.000 auf 6000 verringert werden, Griechenland hätte ebenfalls 6000 Soldaten auf Zypern stationieren können. Griechenland und die Türkei sollten neben der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien Garantiemächte bleiben.
Beim Referendum über den Annan-Plan im April 2004 stimmte eine Mehrheit der Türken dafür, die Griechen jedoch mehrheitlich dagegen. Ihr damaliger Präsident Tassos Papadopoulos hatte den Plan mit ausgehandelt, geißelt ihn in den Tagen vor der Abstimmung aber plötzlich als "selbstzerstörerisch".
Dennoch wurde die südliche Republik Zypern einen Monat später in die EU aufgenommen. Anhänger der Versöhnung gerieten danach auf beiden Seiten der Grenze in die Defensive, Hardliner hatten wieder das Sagen. Im Süden betonten die Nationalisten, die türkischen Zyprer seien doch mit einem Minderheitenstatus in einer griechisch dominierten Republik gut bedient. Im Norden breitete sich nach der Ablehnung des Annan-Plans durch die Griechen eine trotzige Haltung aus.
Die EU reagierte darauf lange hilflos. Seit die Republik Zypern der Europäischen Union angehört, kann Süd-Nikosia die Zypern-Politik Brüssels bestimmen. Initiativen der EU-Kommission zugunsten der türkischen Zyprer hat sie wieder und wieder blockiert, etwa die Idee, den Türken durch Direkthandel wirtschaftlich zu helfen. Überdies nutzen die Gegner einer türkischen EU-Mitgliedschaft den Stillstand auf Zypern um die türkische Beitrittsfähigkeit in Frage zu stellen.
Der türkisch-zyprische Politikwissenschaftler Erol Kaymak ist ziemlich ernüchtert. Er sagt, die Jahre seit dem Annan-Plan seien verlorene Jahr gewesen:
"Nach dem Scheitern des Annan-Plans 2004 sollte die Versöhnung auf anderen Wegen vorangetrieben werden, die türkischen Zyprer sollten wirtschaftlich stärker beteiligt und in EU-Prozesse eingebunden werden. Doch das ist nicht passiert. Stattdessen kehrten beide Seiten zu ihren alten Gewohnheiten zurück. Sie schotteten sich ab. Was wir bräuchten wäre eine neue Art von Verhandlungen, Verhandlungen die den Alltag der Menschen berücksichtigen."
Immerhin gibt es inzwischen gemischte Historikerkommissionen, türkisch-griechische Fraueninitiativen oder grenzübergreifende Sportveranstaltungen. Doch die offiziellen Wiedervereinigungsgespräche unter Vermittlung der UN dümpeln vor sich hin – nur die Besetzung wechselt. Kommt auf der einen oder der andere Seite eine neue Regierung an die Macht, werden die erzielten Teilergebnisse meistens wieder in Frage gestellt. Der Unterhändler der griechischen Seite, Giorgos Jakovou beschuldigt die Türken kein Interesse mehr an den Verhandlungen zu haben. Seit März seien sie nicht an den Verhandlungstisch zurück gekehrt.
"Ziel der Verhandlungen ist eine Föderation aus zwei politisch gleichberechtigten Zonen, in der beiden Volksgruppen eine politische Teilhabe garantiert ist – aber gewichtet nach ihrer jeweiligen Größe. Nach außen hin wird die Föderation durch eine Regierung vertreten und es gibt eine gemeinsame Staatsbürgerschaft. Das ist und bleibt das Ziel der Verhandlungen."
Doch der Teufel liegt im Detail, sagen die türkischen Zyprer. Zwar haben sich beide Seiten in dem wichtigen Bereich Machtverteilung auf eine rotierende Präsidentschaft beider Volksgruppen geeinigt. Doch wie soll der angestrebte bizonale Staat genau aussehen' Die Griechen betrachten ihn als eine Fortsetzung der existierenden Republik Zypern, der die türkische Volksgruppe sozusagen wieder beitritt. Die türkischen Zyprer dagegen wollen gleichberechtigte Gründer eines neuen Staates sein.
Bizonalität würde auch bedeuten: Jede Zone – oder jeder Landesteil - behält eine eigene Verwaltung und sogar eine eigene Polizei. Aber wäre es in einem EU-Mitgliedsstaat zulässig, dass ein Bürger von einem Teil des Landes in den anderen nicht umziehen darf? Die türkische Seite möchte dieses Recht einschränken. Denn sie fürchtet, dass die wohlhabenderen Griechen den Norden einfach aufkaufen.
Und was ist mit dem Grund und Boden, den Griechen bei ihrer Flucht aus dem Norden 1974 zurücklassen mussten? Auf vielen Grundstücken der fast 160.000 Griechen, die vor den türkischen Truppen flohen, wohnen heute türkische Zyprer, Siedler vom türkischen Festland oder Ausländer.
Nach einer Aufforderung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat die türkische Regierung im Norden eine unabhängige, international besetzte Schlichtungskommission eingesetzt. Dort können Griechen auf Entschädigung oder Rückgabe ihres Besitzes klagen. Hunderte haben dies auch schon getan, und in vielen Fällen kam es zu gütlichen Einigungen. Doch die Regierung im Süden hat solche außergerichtlichen Einigungen für null und nichtig erklärt.
Eine verfahrene Situation. Hugh Pope beobachtet die Entwicklungen auf Zypern für die Politikstiftung "International Crisis Group". Er hält einen Durchbruch für unwahrscheinlich, solange ein zentraler Akteur an den Verhandlungen nicht beteiligt ist:
"Das Wichtigste wäre eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den griechischen Zyprern und der Türkei. … Beide Seiten sprechen nicht einmal miteinander! 40 Jahre nach der Teilung, nach der türkischen Invasion. Dabei wird der Ansatz einer permanente Trennung der Insel auch von der griechischen Seite nicht mehr ausgeschlossen. Aber das ist so lange politisch nicht durchsetzbar, solange Ankara nicht die Ängste der griechischen Zyprer vor der übermächtigen Türkei versteht. Das zu überwinden wird Jahre dauern, weil es ein psychologisches Problem ist."
Doch direkte Gespräche mit der Türkei lehnen die griechischen Zyprer mit dem Hinweis ab, dass nach wie vor über 30.000 türkische Soldaten auf der Insel stationiert sind. Die Türkei hat wiederholt vorgeschlagen, wenigstens Vierergespräche zu führen - mit beiden Volksgruppen sowie Griechenland und der Türkei. Doch auch das weisen die griechischen Zyprer zurück. In ihren Augen würde damit der illegale Staat ihrer türkischen Landsleute aufgewertet. Dennoch, sagt der griechisch-zyprische Unterhändler Giorgos Jakovou, sei man auf die Türken immer wieder zugegangen:
"Wir haben in den vergangenen Jahren den Weg der Türkei in die EU unterstützt. Nur hat Ankara darauf nie positiv reagiert! Wir blockieren derzeit zwar einige Kapitel in den Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei, aber 2004 haben wir die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen nicht blockiert, obwohl uns das möglich gewesen wäre."
Die Türkei hat klar gemacht, dass sie die türkischen Zyprer nie für eine EU-Mitgliedschaft opfern würde. Zudem wächst die wirtschaftliche und politische Bedeutung der Türkei in der Region. Die Türkei boomt wirtschaftlich, ist Mitglied der G-20 stärksten Wirtschaftsnationen und übt großen Einfluss auf die arabischen Reformstaaten aus. Frieden und Entwicklung im östlichen Mittelmeer ist ohne die Türkei nicht denkbar.
Erol Kaymak hat die Stimmung in beiden Volksgruppen untersucht. Ergebnis: Nur noch zehn Prozent der griechischen und 12 Prozent der türkischen Zypern hoffen nach wie vor, dass die Wiedervereinigung gelingen kann. Kaymak sieht sein Heimatland auf dem Wege der endgültigen Teilung. Der türkische Norden könnte eine vom übrigen Europa geduldete De-facto-Unabhängigkeit erreichen.
Hinzu komme, so Kaymak, dass die junge Generation auf beiden Seiten langsam das Interesse an einer Lösung verliere:
"Je weiter die Zeit voranschreitet, desto unwahrscheinlicher wird es, dass die junge Generation von Zyprern Kompromissen zustimmen wird, die ihre Vorväter bereits abgelehnt haben. Auch die geopolitischen Veränderungen in der Region arbeiten gegen eine Lösung. Etwa die Entfremdung zwischen der EU und der Türkei. Auf diese Weise wird der Status Quo, die Teilung zur akzeptierten Normalität. Wenn die Gespräche erneut scheitern, dann steht die Frage im Raum: Ist das Ziel einer bi-zonalen Föderation überhaupt noch realistisch?"
"Auch Irland hätte nach Inanspruchnahme der Hilfen seine günstigen Unternehmenssteuern erhöhen sollen. Die Iren haben sich dagegen aber erfolgreich gewehrt. Ich versichere Ihnen: Wenn wir für unseren Bankensektor Hilfe aus dem EFSF in Anspruch nehmen sollten, wird die Unternehmenssteuer nicht angetastet."
Trotzdem ist ungewiss, ob die europäischen Partner Nikosia nach ihren Hilfszahlungen erlauben werden, weiterhin ein Steuerparadies zu bleiben. Die Zeit drängt. Das Land steckt in einer Rezession, die Arbeitslosigkeit wird in diesem Jahr wohl erstmals bei mehr als zehn Prozent liegen. Zudem leidet der Inselstaat unter einer Energiekrise, denn das größte Kraftwerk des Landes wurde im vergangenen Jahr bei einer Explosion zerstört. Inzwischen hat die schleichende Krise auch den zyprischen Tourismus erreicht. Allein im Februar gingen die Buchungen um elf Prozent zurück. Nur die Zahl der russischen Besucher hat sich seit dem vergangenen Jahr verdoppelt. Ohne die Russen geht im zyprischen Tourismus nichts mehr - und nicht bloß dort:
Mehr als 25 Prozent der Bankeinlagen und etwa ein Drittel der ausländischen Investitionen kommen aus Russland. Gewinne brauchen Ausländer in Zypern gar nicht zu versteuern. Nicht nur von russischen Geschäftsleuten, auch vom russischen Staat mache sich Nikosia immer abhängiger. Juri Pianykh vom Verband russischer Unternehmer in Zypern kennt diese Kritik, doch er sieht in Russland einen Helfer in der Not.
"Wie Sie wissen, hat die Russische Föderation Zypern bereits einen Kredit in Höhe von zweieinhalb Milliarden Dollar zu sehr guten Konditionen gewährt. Jetzt gibt es Gespräche über einen weiteren Kredit. Wir haben also sehr gute wirtschaftliche Beziehungen."
Der nächste Kredit soll fünf Milliarden US-Dollar betragen. Dass die zyprische Regierung kurz vor Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft öffentlich über Hilfen aus Russland nachdenkt, löst in Brüssel Kopfschütteln aus.
Manche sehen in der Hilfsbereitschaft Moskaus auch ein Dankeschön für die politische Unterstützung der zyprischen Regierung. Präsident Christofias hat noch zu Sowjetzeiten in Moskau studiert. Er unterstützte als einziger EU-Regierungschef die russische Invasion in Georgien 2008. US-Diplomaten beschreiben Christofias in auf WikiLeaks veröffentlichten Depeschen als begeisterten NATO-Kritiker. Im Hafen von Limassol sollen russische Frachter mit Waffen für Syrien abgelegt haben. Auch die russische Mafia soll auf Zypern aktiv sein. Dass es dubiose russische Geldquellen auf Zypern gibt – darüber werde in Nikosia zwar viel getuschelt, aber kaum offen gesprochen. Der Journalist Demetris Georgiades beklagt das, und er wählt seine Worte mit Bedacht:
"In der globalisierten Welt muss jeder früher oder später sein Haus in Ordnung bringen. Ich glaube, wir Zyprer sind auf dem richtigen Weg. Aber was die russischen Investitionen hier angeht … – ja, sicher, da ist bestimmt schmutziges Geld dabei."
Zypern braucht schnell viel Geld - vor allem für seine Banken. Bis Monatsende muss Zypern mindestens 1,8 Milliarden Euro auftreiben, um die Cyprus Popular Bank zu rekapitalisieren - eine Summe, die etwa zehn Prozent des zyprischen Bruttoinlandsprodukts entspricht.
Nicht allein die Cyprus Popular Bank, das zweitgrößte Geldhaus des Landes, steht unter hohem Druck. Finanzexperten wie Stelios Platis machen dafür vor allem Griechenland verantwortlich:
"Der zyprische Bankensektor hat sich zu sehr auf Geschäfte mit den griechischen Banken konzentriert. Wegen der Krise in Griechenland können unsere Banken die Wirtschaft nun nicht mehr mit Krediten unterstützen."
Ein Viertel der Auslandsinvestitionen kam bislang aus Griechenland, ein Fünftel des Handels wickelt Zypern mit dem großen Bruder ab. Jeder dritte Euro auf einem zyprischen Bankkonto gehört einem Griechen. Die Auswirkungen sind gravierend: Nach Angaben des zyprischen Unternehmerverbandes müssen im Schnitt 60 Unternehmen und Geschäfte monatlich schließen. Die Folgen sind in Nikosia zu sehen. In manchen Straßen steht jedes zweite Geschäft leer.
Große Hoffnungen setzt Nikosia daher in überraschende Öl- und Gasfunde vor der Küste. Noch müssen die Zyprer Öl und Gas teuer importieren. Doch wenn die Bohrungen erfolgreich verlaufen, könnten ihnen spätestens ab 2020 allein 3,5 Billionen Kubikmeter Gas zur Verfügung stehen. Das sind Schätzungen, wenn sie richtig liegen wäre das weit mehr als das kleine Land selbst braucht.
Die Zyperngriechen haben zwar mit Staaten wie dem Libanon und Israel über die Ausbeutung der Erdölvorräte im östlichen Mittelmeer gesprochen, nicht jedoch mit den türkischen Zyprern. Das hat zu neuen Spannungen zwischen beiden Volksgruppen geführt.
Hier liegt das andere ungelöste Problem Zyperns. Auch wenn darüber, jetzt in der Wirtschaftskrise kaum noch jemand spricht: Die Teilung der Insel.
Das Zypern-Problem ist ein Erbe der britischen Kolonialherrschaft. Als sich das Ende in den 50er-Jahren abzeichnete, versuchten die beiden Volksgruppen mit Unterstützung ihrer jeweiligen "Mutterländer" ihre gegensätzlichen Ziele durchzusetzen. Die ursprüngliche Absicht der griechischen Mehrheit – sie stellt 80 Prozent der Bevölkerung - war "Enosis" - die Vereinigung mit Griechenland. Die türkische Minderheit, rund 18 Prozent der Bevölkerung, wollte die Teilung der Insel, auf Türkisch "Taksim" .
1960, nach Ende der britischen Herrschaft über die Insel, wurde die Republik Zypern gegründet – mit beiden Volksgruppen als gleichberechtigten Staatsvölkern. Großbritannien, Griechenland und die Türkei kam die Rolle von Garantiemächten zu. Doch 1963 brach ein Bürgerkrieg aus. Türken und Griechen, die bis dahin als gute Nachbarn gelebt hatten, wurden zu Feinden. Die Mehrheit der türkischen Zyprer musste fortan in Enklaven leben.
Als 1974 Athener Obristen gegen die Regierung Makarios einen Putsch anzettelten, sah die Garantiemacht Türkei die türkische Minderheit in Gefahr. Sie ließ Truppen auf der Insel landen. Seitdem sind 36 Prozent des Territoriums von der Türkei besetzt. 160.000 griechische Zyprer mussten in den Süden flüchten, Zehntausende Türken von dort in den Norden. Zwei sogenannte "ethnisch bereinigte" Zonen entstanden: ein türkisch besiedelter Nordteil und der griechische Süden.
Die türkischen Zyprer riefen im Norden die "Türkische Republik Nord-Zypern" aus. Sie wird aber nur von der Türkei anerkannt und ist wirtschaftlich völlig auf das Mutterland angewiesen. Besonders die Vereinten Nationen haben sich seitdem immer wieder um einen dauerhaften Frieden auf der Insel bemüht. Doch erst als die Europäische Union ins Spiel kam, keimte Hoffnung auf. Die südliche Republik Zypern sollte zum 1. Mai 2004 Mitglied der EU werden. Wenige Monate zuvor, im November 2003, waren der Türkei Beitrittsgespräche zugesichert worden. Der Lohn für die Reformpolitik der türkischen Regierung unter Tayyip Erdogan.
Auf Erdogans Druck hin öffnete die Regierung in Nord-Nikosia im Frühjahr 2003 die trennende "grüne Linie" zwischen Nord und Süd. Erstmals seit der Teilung konnten Griechen aus dem Süden den Norden besuchen – und umgekehrt. Nach monatelangen Verhandlungen legte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan im November 2003 einen detaillierten Wiedervereinigungsplan vor: Dessen Kern bildete der Vorschlag einer Föderation zweier Teilstaaten unter dem Dach der EU. Obwohl Teile davon immer wieder kritisiert worden sind, gilt dieser Plan bis heute als Blaupause für einen realistischen Lösungsansatz.
Laut dem Annan-Plan sollte jeder Landesteil sein eigenes Parlament bekommen. Auf gesamtstaatlicher Ebene waren ein Unter- und ein Oberhaus vorgesehen. Im Unterhaus sollten die Zyperngriechen zwei Drittel, die Zyperntürken ein Drittel der Abgeordneten stellen. Der Senat sollte jeweils zur Hälfte aus Vertretern beider Volksgruppen bestehen. Bei Streitfragen sollte ein hohes Gericht angerufen werden können, dem neben Vertretern beider Volksgruppen auch ein Bürger eines neutralen Drittstaates angehören sollte.
Der Annan-Plan sah auch vor, dass der türkisch-zyprische Norden rund sechs Prozent seines Territoriums an den Süden abtreten sollte. Damit war die türkische Seite genauso einverstanden, wie mit der Entmilitarisierung: Die Zahl der türkischen Soldaten sollte von 35.000 auf 6000 verringert werden, Griechenland hätte ebenfalls 6000 Soldaten auf Zypern stationieren können. Griechenland und die Türkei sollten neben der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien Garantiemächte bleiben.
Beim Referendum über den Annan-Plan im April 2004 stimmte eine Mehrheit der Türken dafür, die Griechen jedoch mehrheitlich dagegen. Ihr damaliger Präsident Tassos Papadopoulos hatte den Plan mit ausgehandelt, geißelt ihn in den Tagen vor der Abstimmung aber plötzlich als "selbstzerstörerisch".
Dennoch wurde die südliche Republik Zypern einen Monat später in die EU aufgenommen. Anhänger der Versöhnung gerieten danach auf beiden Seiten der Grenze in die Defensive, Hardliner hatten wieder das Sagen. Im Süden betonten die Nationalisten, die türkischen Zyprer seien doch mit einem Minderheitenstatus in einer griechisch dominierten Republik gut bedient. Im Norden breitete sich nach der Ablehnung des Annan-Plans durch die Griechen eine trotzige Haltung aus.
Die EU reagierte darauf lange hilflos. Seit die Republik Zypern der Europäischen Union angehört, kann Süd-Nikosia die Zypern-Politik Brüssels bestimmen. Initiativen der EU-Kommission zugunsten der türkischen Zyprer hat sie wieder und wieder blockiert, etwa die Idee, den Türken durch Direkthandel wirtschaftlich zu helfen. Überdies nutzen die Gegner einer türkischen EU-Mitgliedschaft den Stillstand auf Zypern um die türkische Beitrittsfähigkeit in Frage zu stellen.
Der türkisch-zyprische Politikwissenschaftler Erol Kaymak ist ziemlich ernüchtert. Er sagt, die Jahre seit dem Annan-Plan seien verlorene Jahr gewesen:
"Nach dem Scheitern des Annan-Plans 2004 sollte die Versöhnung auf anderen Wegen vorangetrieben werden, die türkischen Zyprer sollten wirtschaftlich stärker beteiligt und in EU-Prozesse eingebunden werden. Doch das ist nicht passiert. Stattdessen kehrten beide Seiten zu ihren alten Gewohnheiten zurück. Sie schotteten sich ab. Was wir bräuchten wäre eine neue Art von Verhandlungen, Verhandlungen die den Alltag der Menschen berücksichtigen."
Immerhin gibt es inzwischen gemischte Historikerkommissionen, türkisch-griechische Fraueninitiativen oder grenzübergreifende Sportveranstaltungen. Doch die offiziellen Wiedervereinigungsgespräche unter Vermittlung der UN dümpeln vor sich hin – nur die Besetzung wechselt. Kommt auf der einen oder der andere Seite eine neue Regierung an die Macht, werden die erzielten Teilergebnisse meistens wieder in Frage gestellt. Der Unterhändler der griechischen Seite, Giorgos Jakovou beschuldigt die Türken kein Interesse mehr an den Verhandlungen zu haben. Seit März seien sie nicht an den Verhandlungstisch zurück gekehrt.
"Ziel der Verhandlungen ist eine Föderation aus zwei politisch gleichberechtigten Zonen, in der beiden Volksgruppen eine politische Teilhabe garantiert ist – aber gewichtet nach ihrer jeweiligen Größe. Nach außen hin wird die Föderation durch eine Regierung vertreten und es gibt eine gemeinsame Staatsbürgerschaft. Das ist und bleibt das Ziel der Verhandlungen."
Doch der Teufel liegt im Detail, sagen die türkischen Zyprer. Zwar haben sich beide Seiten in dem wichtigen Bereich Machtverteilung auf eine rotierende Präsidentschaft beider Volksgruppen geeinigt. Doch wie soll der angestrebte bizonale Staat genau aussehen' Die Griechen betrachten ihn als eine Fortsetzung der existierenden Republik Zypern, der die türkische Volksgruppe sozusagen wieder beitritt. Die türkischen Zyprer dagegen wollen gleichberechtigte Gründer eines neuen Staates sein.
Bizonalität würde auch bedeuten: Jede Zone – oder jeder Landesteil - behält eine eigene Verwaltung und sogar eine eigene Polizei. Aber wäre es in einem EU-Mitgliedsstaat zulässig, dass ein Bürger von einem Teil des Landes in den anderen nicht umziehen darf? Die türkische Seite möchte dieses Recht einschränken. Denn sie fürchtet, dass die wohlhabenderen Griechen den Norden einfach aufkaufen.
Und was ist mit dem Grund und Boden, den Griechen bei ihrer Flucht aus dem Norden 1974 zurücklassen mussten? Auf vielen Grundstücken der fast 160.000 Griechen, die vor den türkischen Truppen flohen, wohnen heute türkische Zyprer, Siedler vom türkischen Festland oder Ausländer.
Nach einer Aufforderung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat die türkische Regierung im Norden eine unabhängige, international besetzte Schlichtungskommission eingesetzt. Dort können Griechen auf Entschädigung oder Rückgabe ihres Besitzes klagen. Hunderte haben dies auch schon getan, und in vielen Fällen kam es zu gütlichen Einigungen. Doch die Regierung im Süden hat solche außergerichtlichen Einigungen für null und nichtig erklärt.
Eine verfahrene Situation. Hugh Pope beobachtet die Entwicklungen auf Zypern für die Politikstiftung "International Crisis Group". Er hält einen Durchbruch für unwahrscheinlich, solange ein zentraler Akteur an den Verhandlungen nicht beteiligt ist:
"Das Wichtigste wäre eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den griechischen Zyprern und der Türkei. … Beide Seiten sprechen nicht einmal miteinander! 40 Jahre nach der Teilung, nach der türkischen Invasion. Dabei wird der Ansatz einer permanente Trennung der Insel auch von der griechischen Seite nicht mehr ausgeschlossen. Aber das ist so lange politisch nicht durchsetzbar, solange Ankara nicht die Ängste der griechischen Zyprer vor der übermächtigen Türkei versteht. Das zu überwinden wird Jahre dauern, weil es ein psychologisches Problem ist."
Doch direkte Gespräche mit der Türkei lehnen die griechischen Zyprer mit dem Hinweis ab, dass nach wie vor über 30.000 türkische Soldaten auf der Insel stationiert sind. Die Türkei hat wiederholt vorgeschlagen, wenigstens Vierergespräche zu führen - mit beiden Volksgruppen sowie Griechenland und der Türkei. Doch auch das weisen die griechischen Zyprer zurück. In ihren Augen würde damit der illegale Staat ihrer türkischen Landsleute aufgewertet. Dennoch, sagt der griechisch-zyprische Unterhändler Giorgos Jakovou, sei man auf die Türken immer wieder zugegangen:
"Wir haben in den vergangenen Jahren den Weg der Türkei in die EU unterstützt. Nur hat Ankara darauf nie positiv reagiert! Wir blockieren derzeit zwar einige Kapitel in den Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei, aber 2004 haben wir die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen nicht blockiert, obwohl uns das möglich gewesen wäre."
Die Türkei hat klar gemacht, dass sie die türkischen Zyprer nie für eine EU-Mitgliedschaft opfern würde. Zudem wächst die wirtschaftliche und politische Bedeutung der Türkei in der Region. Die Türkei boomt wirtschaftlich, ist Mitglied der G-20 stärksten Wirtschaftsnationen und übt großen Einfluss auf die arabischen Reformstaaten aus. Frieden und Entwicklung im östlichen Mittelmeer ist ohne die Türkei nicht denkbar.
Erol Kaymak hat die Stimmung in beiden Volksgruppen untersucht. Ergebnis: Nur noch zehn Prozent der griechischen und 12 Prozent der türkischen Zypern hoffen nach wie vor, dass die Wiedervereinigung gelingen kann. Kaymak sieht sein Heimatland auf dem Wege der endgültigen Teilung. Der türkische Norden könnte eine vom übrigen Europa geduldete De-facto-Unabhängigkeit erreichen.
Hinzu komme, so Kaymak, dass die junge Generation auf beiden Seiten langsam das Interesse an einer Lösung verliere:
"Je weiter die Zeit voranschreitet, desto unwahrscheinlicher wird es, dass die junge Generation von Zyprern Kompromissen zustimmen wird, die ihre Vorväter bereits abgelehnt haben. Auch die geopolitischen Veränderungen in der Region arbeiten gegen eine Lösung. Etwa die Entfremdung zwischen der EU und der Türkei. Auf diese Weise wird der Status Quo, die Teilung zur akzeptierten Normalität. Wenn die Gespräche erneut scheitern, dann steht die Frage im Raum: Ist das Ziel einer bi-zonalen Föderation überhaupt noch realistisch?"