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Ohne Papiere, ohne Identität

Adresse, Telefonnummer, Personalausweis - sie gehören zu einer gesellschaftlichen Identität. Wer all das nicht hat, existiert für den Staat praktisch nicht. Von dem Leben ohne Papiere erzählt Björn Bicker alias Polle Wilbert in seiner aktuellen Produktion: "Illegal" ist an den Münchner Kammerspielen zu sehen und wird außerdem als Hörspiel ausgestrahlt.

Moderation: Frank Olbert | 14.06.2008
    Frank Olbert: Zunächst mal die Frage zu Ihrer eigenen Identität - soll ich Sie Herr Bicker oder Herr Wilbert nennen?
    Björn Bicker: Polle Wilbert ist mein Autorenname.
    Olbert: In dem Stück "Illegal" werden konkrete Biografien erzählt, zum Beispiel von der Frau aus Südamerika, die für ihre Einreise nach Deutschland 6000 Dollar bezahlte, oder von der Lehrerin, die als Prostituierte arbeitet. Sind das authentische Geschichten oder sind sie so, wie sie erzählt werden, erfunden?
    Bicker: Alle Geschichten, die in dem Stück erzählt werden, gehen auf Recherchen zurück.
    Olbert: Wie haben Sie recherchiert?
    Bicker: Das war ein sehr langer Weg. Ich habe zunächst mal alle Leute kontaktiert, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben. Auf diesem Weg habe ich den Kontakt zu einer Institution bekommen, die sich "Café 104" nennt. Das ist eine Münchner Anlaufstelle für Leute ohne Aufenthaltstitel, wo man über "Ärzte der Welt" und den Bayerischen Flüchtlingsrat sowohl medizinische Hilfe bekommt als auch eine Beratung. Dort habe ich hospitiert und konnte bei Beratungsgesprächen dabei sein.
    Olbert: Die Texte der illegalen Immigranten werden von deutschen Schauspielern gesprochen, also ohne Akzent. Wie sind Sie zu dieser Entscheidung gekommen?
    Bicker: Es war von vorneherein klar, dass es für Leute, die illegal leben sehr schwierig ist, öffentlich zu sprechen. Und genau da feiert Theater seine Geburtstunde: Einer spricht für einen anderen, der selber nicht sprechen kann.
    Olbert: Das Hörspiel ist sehr musikalisch, sehr rhythmisch geschnitten. Wie sind Sie an das Projekt als Hörspiel herangegangen?
    Bicker: In dem Hörspiel werden drei Biografien erzählt. Ich habe versucht, die Interviews, die ich geführt habe, in eine künstlerische Form zu übertragen. Mir war wichtig, für die einzelnen Sprechsituationen jeweils eine eigene Form zu finden. Zu dieser Form gehört eine bestimmte Art zu sprechen. Diese Biografien sind verschnitten mit einem chorischen Text, in dem allgemeine Aussagen getroffen werden. Es ging mir nicht darum, eine Illusion von geschlossener Figurenerzählung herzustellen, sondern die Vielstimmigkeit dieses Chores von Menschen, die sehr viele sind und die wir gar nicht kennen, abzubilden.