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Ohne Schatten auf dem Problemboulevard

Simon Stephens, britischer Autor und 2008 zum Dramatiker des Jahres gewählt, erzählt gerne. So auch in seinem neuen Stück "Wastwater". Die Regisseurin Katie Mitchell hat es inszeniert: emotionslos mit dröhnenden Flugzeugmotoren.

Von Hartmut Krug |
    Vor einigen Jahren erklärte die Regisseurin Katie Mitchell, dass sie nicht mehr damit zufrieden sei, wie well made plays unsere Erfahrungen und Wahrnehmungen wiedergäben. Seitdem ist sie in Deutschland bekannt geworden mit multimedialen Stücke-Dekonstruktionen, also mit einer Art Live-Film-Geräusche-Herstellungs-Darstellung auf dem Theater. Doch nun das: Mit "Wastwater" von Simon Stephens, einem Routinier des well made plays, das sie Ende März am Londoner Royal Court Jerwood Theatre Downstairs zur Uraufführung brachte und jetzt bei den Wiener Festwochen präsentierte, zeigte sie sich wieder als solide Handwerkerin eines realistischen Erzähl- und Erklärtheaters.

    Simon Stephens schrieb ein reißbrettartiges Ping-Pong-Dialog-Stück. In drei Szenen mit jeweils zwei Personen werden innere und äußere Umbrüche gezeigt. Die Figuren wollen raus aus ihrem bisherigen Leben: Ein junger Mann verabschiedet sich von seiner Pflegemutter zum neuen Job nach Australien, ein anderer Mann versucht einen Seitensprung in einem Hotel, bevor er für ein Austauschjahr an eine ferne Uni geht, und ein dritter Mann wird bei der Übergabe eines fremdländischen kleinen Mädchens gezeigt, dass er sich gekauft hat, für familiäre Liebe oder sexuellen Missbrauch. Alle Szenen spielen in der Nähe des Flughafens von Heathrow. Flugzeuggeräusche überdröhnen drohend die Szenen, denn der geplante Bau einer dritten Startbahn droht auch die Natur und das normale Leben der Menschen zu zerstören. Die im normalen Plauderton vorgetragenen, recht geheimnislosen Szenen behaupten viel allzu offenbare und auftrumpfende tiefere existenzielle Bedeutung.

    Doch was bei "Motortown", Stephens Stück über einen Kriegsheimkehrer aus dem Irak, der in der Heimat vom Opfer zum Täter wird, noch als virtuos empfunden und wegen seiner angeblichen Untertöne gleich mit Büchner verglichen wurde, ist hier zu einer reinen Bedeutungs-Andeutungsmasche verkommen: Problemboulevard, so glatt und vorhersehbar in seinem Rhythmus von Enthüllungen, dass der Zuschauer nie überrascht wird, sondern immer nur gelassen bis gelangweilt "ja, ja" sagen kann. Keine Schattierungen, keine Ambivalenzen, keine Nuancen, nur Variationen. Stets beginnt es recht harmlos, wie bei dem Seitensprung-Paar im Hotelzimmer.

    Doch nach dem zugleich entspannten wie aufgeladenen 0berflächen-small-talk geht es zur tieferen Sache: die Frau, eine Polizistin, war Fixerin und hat zur Beschaffung wildeste Pornos gedreht, die sie dem Mann ausgiebig beschreibt. Und mit ihm wünscht sie sich gewalttätigen Sex, worauf sich ihr verstörter Seitensprung-Partner einzulassen scheint. Der "Wastwater"-See wird in einer Szene beschrieben als weite, still-gefährliche Fläche, unter der man Leichen vermuten kann. Bei Stephens lauert unter allen Dialogen immer schon die Gewalt, wie und warum auch immer. Dabei zeigt der Autor seine Figuren nur als Funktionsträger, nicht aber als psychologisch oder emotional realistisch entwickelte Figuren, - was im Festwochen-Programm als hyperrealistische Emotionalität bezeichnet wird. In der ersten Szene enthüllt ein junger Mann, während er von seiner überbesorgten Pflegemutter liebevoll verabschiedet wird, eine kriminelle Vergangenheit als Brandstifter. Ahnend, wissen oder denkend, das ihm ein Unglück widerfahren könnte, hat er dieses lieber selbst herbei geführt. Die letzte, in einem verlassenen Lagerhaus spielende Szene wirkt dann wie ein Fernsehkrimi-Klischee: Die junge Frau, die dem aufgeregten Käufer ein Mädchen als neues Familienmitglied übergibt, quält ihn zuvor leicht gewalttätig mit bösen Fragen und Drohungen. Und wie immer in solcherart Problemkrimis schwebt eine Andeutung von möglichem Kindsmissbrauch über der Handlung. Eine Ahnung, die Katie Mitchell, die die Dialoge in kleinen Bühnenfenstern recht bewegungslos, wenn auch sprachlich konzentriert inszeniert hat, mit einem hinzu erfundenen Schlussbild verstärkt. Noch einmal wird die schäbige Halle gezeigt. Jetzt ist sie leer, und der Stuhl, auf dem die Verkäuferin des vor dem Käufer zurückschreckenden Mädchens saß, ist umgefallen.

    Mit seinen ersten beiden Gastspielen, von Richard Maxwell und Katie Mitchell, hat das Schauspielprogramm der Wiener Festwochen doch arg enttäuscht.