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Ohne Schulabschluss in den Job

60.000 Jugendliche verlassen in Deutschland jedes Jahr die Schule ohne Abschluss. Die Aussichten auf eine Lehrstelle und einen Beruf sind damit mehr als schlecht. Helfen können sogenannte Berufseinstiegsbegleiter. Sie betreuen derzeit rund 10.000 Schüler bundesweit.

Von Anja Nehls |
    Pünktlich um Viertel nach zwölf kommt Gamze zur Bank auf den Schulhof. Dort wartet ihre Berufseinstiegsbegleiterin. Anne Willmann betreut die 18-jährige Gamze seit gut einem Jahr.

    "Dann hast du mir noch erzählt, dass du bei einer AG mitmachst?" - "Näh-AG. Wir nähen so Sachen, Herzen." - "Ach so, richtig so gegenständliche Sachen?"- "Ja, und dann müssen wir per Hand erst die Sticke lernen und dann Maschine."

    Das Nähen möchte Gamze ausprobieren. Ob es mal etwas mit ihrem künftigen Beruf zu tun haben will steht noch nicht fest. Gamze ist 18 Jahre alt und hat eine leichte Lernbehinderung. Bisher hat es mit einem Hauptschulabschluss nicht geklappt. Hier an der Förderschule will sie das jetzt nachholen, denn ein Schulabschluss ist Vorraussetzung für eine Ausbildung und einen Beruf.

    Die Berufseinstiegsbegleiter Anne Willmann und ihre Kollegin Antje König vom Berliner Bildungsträger Quadriga betreuen viele Jugendliche wie Gamze. Fast alle haben ausländische Wurzeln und alle haben große Probleme:

    "Also, es sind schulische Probleme, wo eben viele Fehlzeiten vorhanden sind. 20,30 Fehlzeitentage oder Verspätungen sind keine Seltenheit. Kernfächer, Mathe, Deutsch, Vier, die anderen Fächer zum Teil Fünf, und das ist mit so einem Schulabschluss dann schwierig eine Ausbildung zu kriegen."

    Die Berufseinstiegsbegleiter sollen dafür sorgen, dass es doch noch klappt. Seit 2009 gibt es das Programm, ins Leben gerufen von der Agentur für Arbeit, vom Bildungsministerium und vom Ministerium für Arbeit und Soziales. Betreut werden deutschlandweit fast 10.000 Schüler an über 1000 Schulen – allesamt Schüler, die abzurutschen drohen. Eine der ersten Aufgaben für die Berufseinstiegsbegleiter ist es, herauszufinden, was für ein Beruf für den einzelnen Schüler passen könnte, sagt Irena Büttner von Quadriga.

    "Passt eine betriebliche Ausbildung zu ihm oder ist er noch nicht so weit, passt noch eine weitere Schulausbildung, weil er oder sie gerne den MSA, also den mittleren Schulabschluss machen möchte, dann gibt’s auch den Wechsel an das Oberstufenzentrum, passt eher eine Berufsvorbereitungsmaßnahme, die gemeinsam mit dem zuständigen Berufsberater dann organisiert wird, weil die Berufseinstiegsbegleiter und auch die Schüler und auch die Eltern sagen, ich weiß noch gar nicht, was ich werden will."

    Die Berufseinstiegsbegleiter machen dann Tests, gehen mit zur Berufsberatung oder vermitteln Praktika. Gamze weiß deshalb schon, dass sie später wahrscheinlich doch nicht nähen möchte. Sie hat einen anderen Traum:

    "Erzieherin, weil es mir mit Kindern Spaß macht. Erst will ich meinen Hauptschulabschluss erreichen, dann will ich ein Jahr MSA noch machen. Ich will dann so weiter machen. Ich mag Kinder, kleine Kinder."

    Vielleicht schafft Gamze das sogar, aber ganz realistisch ist der Wunsch nicht. Die Berufseinstiegbegleiter haben aber Alternativen parat. Statt Erzieherin kommt vielleicht Sozialassistentin infrage. Auch das wäre für Gamze und die Berufseinstiegsbegleiter ein Erfolg. Bei vielen anderen Schülern verlaufen aber alle Anstrengungen im Sande:

    "Also man buttert oft viel rein, und am Ende kommt dann nicht unbedingt das Ergebnis. Ja, mangelnde Kooperation, die ja auch schon in der Schule zu bemängeln ist im Grunde, als dass dann eben Termine nicht eingehalten werden. Man möchte gerne unterstützen und bekommt dann aber nicht die Möglichkeit."

    In vielen Elternhäusern gibt es für die Berufseinstiegsbegleiter keinerlei Unterstützung. Dennoch: Zehn bis 15 Prozent der Schüler können sie in eine betriebliche Ausbildung vermitteln, viele andere in eine schulische. Sie trainieren Vorstellungsgespräche, begleiten die Jugendlichen zu Ämtern, halten Kontakt zu Eltern, Lehrern, Berufsberatern und der Agentur für Arbeit. Betreut werden die Jugendlichen dann auch noch während ihrer Ausbildung. Noch hat kein Jugendlicher aus dem Programm die Ausbildung abgeschlossen, weil erst vor zwei Jahren damit gestartet wurde. Im Bildungsministerium wird das Programm aber schon jetzt als Erfolg gewertet, sagt Katarina Koufen:

    "Das Instrument ist so gut geeignet, Jugendliche, Jugendliche vor dem Schulabbruch zu bewahren und ihnen zu helfen, ihren Abschluss zu schaffen, dass es nun auch in den Regelkatalog der Bundesagentur für Arbeit aufgenommen wird, dass es jetzt auch als reguläres Förderinstrument durch die Bundesagentur für Arbeit co-finanziert wird."

    Mit 500 Millionen Euro bis 2014 fördert zunächst das Bildungsministerium die Berufseinstiegsbegleiter. Bis dahin hat Gamze mindestens ihren erweiterten Hauptschulabschluss und arbeitet hoffentlich längst in einem Kindergarten.