Es war eine kurze, undramatische Szene und doch eine kleine Revolution. Karl VI., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und Souverän über die habsburgischen Erblande, hatte für morgens um zehn Uhr zwei Dutzend Minister und Berater in sein Arbeitszimmer geladen, führte sie an den kaiserlichen Schreibtisch und verfügte, wie der Schreiber notierte, dass nach seinem Tode die hinterlassenen Erbkönigreiche und Länder seinen ...
ehelichen mannlichen Leibserben nach dem Jure primo-geniturae, solang solche vorhanden, ohnzerteilt zu verbleiben haben, auf ihres mannlichen Stammes Abgang aber – so Gott gnädiglich abwenden wolle – auf die ehelich hinterlassende Töchter allezeit nach Ordnung und Recht der Primo-Genitur gleichmäßig ohnzerteilt kommen.
Künftig sollten also, wenn Söhne ausblieben, auch Töchter seine sämtlichen Königreiche und Länder erben können – wobei nichts darauf hindeutet, dass dabei der Gedanke der Gleichberechtigung eine Rolle gespielt hätte. Kaiser Karl hatte zwei andere Gründe für seinen allerhöchsten Erlass oder seine "Pragmatische Sanktion", wie man solche Verfügungen nannte: einen persönlichen und einen staatspolitischen.
Der persönliche Grund: Karl, damals 27, war schon fünf Jahre kinderlos verheiratet. Und auch sein verstorbener Bruder hatte nur zwei Töchter hinterlassen, keinen Sohn. Der politische: Europa erlebte soeben, was es hieß, wenn ein Herrscher keine Erben hatte. Nachdem in Spanien der König gestorben war, entwickelten die übrigen Mächte alle Appetit auf dessen verwaistes Reich - und ein grausamer Krieg war die Folge. Staatspolitik war Familienpolitik, erklärt die österreichische Historikerin Grete Walter-Klingenstein:
"Das waren akzeptierte Mittel der europäischen Politik: Ein Land zu verkaufen, ein Land zu verpfänden beziehungsweise ein Land zu tauschen, so wie eben eine Holding beziehungsweise ein Familienbetrieb eine Firma abstößt, verkauft oder darauf eine Hypothek aufnimmt."
Mit dem "ohnzerteilt" der "Pragmatischen Sanktion" war Österreich, das damals riesige Land zwischen dem Zusammenfluss von Oder und Neiße im Norden und der kroatischen Adriaküste im Süden, zwischen dem Bodensee im Westen und den Karpaten im Osten, nunmehr ein Staat geworden. Als Kaiser Karl 1740 starb, hinterließ er ihn seiner ältesten Tochter Maria Theresia. Dass sie tatsächlich auch regieren würde, war damit aber noch lange nicht ausgemacht.
"Das Erstaunliche ist, dass Maria Theresia mit ihren 23 Jahren, eine sehr kluge Frau mit guten Beratern, die Zügel fest in ihre Hand genommen hat und nicht ihren Gemahl herrschen hat lassen, sondern selbst die Eigenherrschaft übernommen hat über die Länder. Und das war beeindruckend."
Dass Österreich nun ein Staat war und von einer Frau geführt wurde, hatte - beides zusammengenommen - schwerwiegende Folgen für ganz Deutschland. Bisher waren die Erben des Hauses Habsburg fast immer zugleich auch zu deutschen Königen und zu römischen Kaisern gewählt worden. Maria Theresia war diese Wahl als Frau versperrt – Kaiser wurde nun mit dem Bayern Karl Albrecht zum ersten Mal nach mehr als 300 Jahren wieder ein Nicht-Österreicher. Erst nach dessen Tod 1745 schaffte es Maria Theresia, ihren Ehemann Franz Stephan als neuen Kaiser durchzusetzen.
"Sie war sehr skeptisch gegenüber dem Reich, vor allem den protestantischen Reichsfürsten gegenüber. Es war wichtig, dass ihr Gemahl zum Kaiser gewählt wurde, aber sie selbst war in allergrößter Distanz. Sie war die erste, die voll und ganz die Herrschaft des Hauses Österreich über die dem Haus Österreich zustehenden Länder durchgesetzt hat durch ihre Modernisierungsmaßnahmen."
Dazu gehörten Verwaltungsreformen, die in Österreich aus der alten Hausmacht des Kaisers einen modernen Staat machten. Schon wegen des Bedeutungsverlusts war klar, dass aus dem alten Reich, dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, nun kein Staat mehr zu machen war. Das Projekt Deutschland war für mehr als hundert Jahre vertagt.
ehelichen mannlichen Leibserben nach dem Jure primo-geniturae, solang solche vorhanden, ohnzerteilt zu verbleiben haben, auf ihres mannlichen Stammes Abgang aber – so Gott gnädiglich abwenden wolle – auf die ehelich hinterlassende Töchter allezeit nach Ordnung und Recht der Primo-Genitur gleichmäßig ohnzerteilt kommen.
Künftig sollten also, wenn Söhne ausblieben, auch Töchter seine sämtlichen Königreiche und Länder erben können – wobei nichts darauf hindeutet, dass dabei der Gedanke der Gleichberechtigung eine Rolle gespielt hätte. Kaiser Karl hatte zwei andere Gründe für seinen allerhöchsten Erlass oder seine "Pragmatische Sanktion", wie man solche Verfügungen nannte: einen persönlichen und einen staatspolitischen.
Der persönliche Grund: Karl, damals 27, war schon fünf Jahre kinderlos verheiratet. Und auch sein verstorbener Bruder hatte nur zwei Töchter hinterlassen, keinen Sohn. Der politische: Europa erlebte soeben, was es hieß, wenn ein Herrscher keine Erben hatte. Nachdem in Spanien der König gestorben war, entwickelten die übrigen Mächte alle Appetit auf dessen verwaistes Reich - und ein grausamer Krieg war die Folge. Staatspolitik war Familienpolitik, erklärt die österreichische Historikerin Grete Walter-Klingenstein:
"Das waren akzeptierte Mittel der europäischen Politik: Ein Land zu verkaufen, ein Land zu verpfänden beziehungsweise ein Land zu tauschen, so wie eben eine Holding beziehungsweise ein Familienbetrieb eine Firma abstößt, verkauft oder darauf eine Hypothek aufnimmt."
Mit dem "ohnzerteilt" der "Pragmatischen Sanktion" war Österreich, das damals riesige Land zwischen dem Zusammenfluss von Oder und Neiße im Norden und der kroatischen Adriaküste im Süden, zwischen dem Bodensee im Westen und den Karpaten im Osten, nunmehr ein Staat geworden. Als Kaiser Karl 1740 starb, hinterließ er ihn seiner ältesten Tochter Maria Theresia. Dass sie tatsächlich auch regieren würde, war damit aber noch lange nicht ausgemacht.
"Das Erstaunliche ist, dass Maria Theresia mit ihren 23 Jahren, eine sehr kluge Frau mit guten Beratern, die Zügel fest in ihre Hand genommen hat und nicht ihren Gemahl herrschen hat lassen, sondern selbst die Eigenherrschaft übernommen hat über die Länder. Und das war beeindruckend."
Dass Österreich nun ein Staat war und von einer Frau geführt wurde, hatte - beides zusammengenommen - schwerwiegende Folgen für ganz Deutschland. Bisher waren die Erben des Hauses Habsburg fast immer zugleich auch zu deutschen Königen und zu römischen Kaisern gewählt worden. Maria Theresia war diese Wahl als Frau versperrt – Kaiser wurde nun mit dem Bayern Karl Albrecht zum ersten Mal nach mehr als 300 Jahren wieder ein Nicht-Österreicher. Erst nach dessen Tod 1745 schaffte es Maria Theresia, ihren Ehemann Franz Stephan als neuen Kaiser durchzusetzen.
"Sie war sehr skeptisch gegenüber dem Reich, vor allem den protestantischen Reichsfürsten gegenüber. Es war wichtig, dass ihr Gemahl zum Kaiser gewählt wurde, aber sie selbst war in allergrößter Distanz. Sie war die erste, die voll und ganz die Herrschaft des Hauses Österreich über die dem Haus Österreich zustehenden Länder durchgesetzt hat durch ihre Modernisierungsmaßnahmen."
Dazu gehörten Verwaltungsreformen, die in Österreich aus der alten Hausmacht des Kaisers einen modernen Staat machten. Schon wegen des Bedeutungsverlusts war klar, dass aus dem alten Reich, dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, nun kein Staat mehr zu machen war. Das Projekt Deutschland war für mehr als hundert Jahre vertagt.