Sonntagabend, 20 Uhr, in der Hamburger "Markthalle". Der Konzertsaal ist fest in ukrainischer Hand, viele der rund 1000 Okean-Elzy-Fans haben die gelb-blaue Flagge mitgebracht, einige junge Frauen tragen Blumenkränze im Haar, ihre männlichen Begleiter weiße Hemden mit traditionellen Stickereien. Mehrfach wird die ukrainische Nationalhymne angestimmt, der Saal singt inbrünstig.
Mit einer Stunde Verspätung betritt Swjatoslaw Wakarchuk die Bühne, schmächtig, mittelgroß, ohne Star-Allüren, gefolgt von seiner Band: Schlagzeug, Bass, Gitarre und Keyboard. Das Publikum haben die fünf Musiker sofort auf ihrer Seite, und obwohl das neue Album "Zemlya" noch nicht lange auf dem Markt ist: Die Halle ist textsicher dabei – auf ukrainisch, denn Okean Elzy singen ausschließlich ukrainisch. Kein Wunder: Frontmann Wakarchuk stammt aus Lemberg in der eher proeuropäischen Westukraine, sein Vater war Rektor der Lemberger Universität und ukrainischer Bildungsminister.
Gefühl vor Politik
Bei Okean Elzy geht es geht es vor allem um das große Gefühl: Liebe, Sehnsucht, Herzschmerz. Das Ganze verpackt in sehr eingängigen, melodiösen Rock mit vielen Moll-Klängen. Sänger Wakarchuk, von seinen Fans fast zärtlich "Slawa" genannt", hüpft, tanzt, rennt über die Bühne. Singt er Balladen, liebt er die große Geste.
Auf politische Statements verzichtet Frontmann Wakarchuk offenbar ganz bewusst, Songtitel wie "Vstavaj" – "Steh Auf!" – sprechen für sich - so auch "Stina", "Mauer", die aktuelle Okean-Elzy-Single, bei der Slawa Wakarchuk dann doch mit ukrainischer Flagge um die Schultern über die Bühne rennt.
2004 unterstützte der promovierte Physiker Wakarchuk die Orangene Revolution und war danach sogar Abgeordneter in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament in Kiew. Auch in der aktuellen Krise ist seine Meinung gefragt: Er gehörte zu den Rednern auf dem Kiewer Maidan und gilt vielen in seiner Heimat als eine Art "Gewissen der Ukraine". Davon will der bodenständige Rockstar nicht viel wissen, plädiert aber wo es geht für Mäßigung und den Zusammenhalt aller Ukrainer, zuletzt in einem Pressegespräch zum Tourauftakt in Westeuropa:
"Ich sage das heute, und habe das schon immer gesagt: Die Ukraine ist kein geteiltes Land. Dieses ganze Gerede von Osten gegen Westen ist völlig konstruiert, konstruiert von Politikern vor der Orangenen Revolution 2004, um ihr Wahlvolk zu mobilisieren. Wenn Sie Bergarbeiter aus der Ost- und Westukraine bei einer Flasche Wodka zusammenbringen, dann gibt es da natürlich Unterschiede, aber das Verbindende ist viel stärker. Ich plädiere dafür, die aktuelle Situation als historische Chance zu begreifen, als Chance durch Bedrohung von außen im Innern enger zusammenzurücken. Denn der Ukraine wird es am Ende nur als Einheit gut gehen."
Nationale Einheit über Abstammung
Eine Einheit, zu der laut Wakarchuk auch russisch-stämmige und russisch-sprachige Ukrainer genauso wie alle anderen gehören. Wakarchuk selbst hat enge Kontakte nach Russland, Okean Elzy sind auch dort bekannt, geben regelmäßig Konzerte in großen Hallen und Stadien von Moskau bis Wladiwostok. Einige der aktuellen Tourkonzerte in Russland jedoch wurden jetzt abgesagt – wegen angeblich antirussischer Statements der Band, so die offizielle Begründung.
"Das Wichtigste ist, dass alle Seiten Ruhe bewahren. Es muss einen friedlichen Weg geben, wie auch immer die Entwicklung in der Ukraine, auf der Krim weitergeht. Ich sage aber auch: Die Ukraine ist ein großes und starkes Land, das bereit ist, sich im Notfall zu verteidigen."
An den Ernstfall mag an diesem Abend in Hamburg wohl niemand denken, auch Vadim und Alex nicht. Die beiden jungen Ukrainer, die in der Hansestadt leben, haben ein großes Transparent dabei: "Vereinte Ukraine" haben sie auf gelb-blauen Untergrund geschrieben, zweisprachig: auf Ukrainisch und Russisch. Auch Vadim und Alex machen sich große Sorgen um die Zukunft ihrer Heimat, das Konzert von Okean Elzy-Sänger Wakarchuk gibt den beiden aber einen Funken Hoffnung:
"Ich glaube der hat mehr Macht als die Politiker. Ja, er hat heute direkt nichts gesagt, aber er hat auf ukrainisch gesungen, die Leute haben's gespürt, dass wir hier zusammenkommen, alle Ukrainer und Nichtukrainer, die aber das Land unterstützen."
Das Publikum grölt an diesem Abend nicht umsonst besonders laut bei einem der bekanntesten Hits der Band mit: "Vse bude dobre", "Alles wird gut".
Konzertstationen im März sind Berlin, Nürnberg, Stuttgart und Frankfurt.