Den größten Teil ihres Lebens sollen Oktopoden Einzelgänger sein, die einander am ehesten als Mahlzeit schätzen - oder als Sexpartner. Das dachten Meeresbiologen zumindest. Aber Octopus tetricus scheint sie eines Besseren zu belehren: Zumindest in der Jervis-Bucht südlich von Sydney unterhalten Oktopoden anscheinend ein recht intensives, wenn auch nicht immer freundliches Gesellschaftsleben, erklärt der Meeresbiologe David Scheel von der Alaska Pacific University in Anchorage: "Diese Bucht ist ungewöhnlich, weil dort vor allem im Sommer recht viele Oktopoden zusammenkommen. Manchmal halten sich ein Dutzend und mehr Tiere auf einer Fläche von vielleicht drei mal vier Metern auf, die wir Oktopolis getauft haben. Um sie zu beobachten, haben Taucher Kameras aufgestellt. Die Videos zeigen erstaunliche Verhaltensmuster: Die Oktopoden kämpfen selten, aber es gibt viele Rempeleien und Einschüchterungen."
In Oktopolis senden die Tiere einander anscheinend regelmäßig Signale, durch Posen, die sie einnehmen und plötzliche Farbwechsel: Ein Oktopus, der seinem Nachbarn Angst einjagen will, färbt seinen Körper fast schwarz: "Er stellt sich so hoch es geht auf seinen Beinen auf, spannt seinen Mantel so weit wie möglich auf und hebt oft auch noch den hinteren Teil hoch über den Kopf. Wenn es geht, steht er dabei auf einer Erhöhung, um noch größer zu erscheinen. Sie haben ein ganzes Verhaltensrepertoire, das mit Aggression verknüpft ist", beschreibt der Philosoph Peter Godfrey-Smith von der University of Sydney. Er beschäftigt sich mit dem Oktopusbewusstsein. "Ist sein Gegenpart nicht an einem Kampf interessiert, wird er blass, kriecht in sich zusammen und flieht. Wir haben auch beobachtet, dass sich Tiere hell färben, um an einem aggressiven Nachbarn vorbei zu ihrem Unterschlupf zu huschen."
Die Signale dauern immer nur ein paar Sekunden. Aber aggressiv gestimmte Tiere wiederholen ihre Botschaften wieder und wieder. David Scheel: "Warum sie sich so verhalten, müssen wir erst noch herausfinden. Wahrscheinlich verteidigen sie einen Partner oder den Unterschlupf, in dem sie leben."
Oktopolis wächst von Jahr zur Jahr
Oktopolis liegt auf einer weiten Sandfläche, in der sich Oktopoden nirgends verstecken können - und in der Bucht schwimmen viele Räuber, die gerne Kopffüßer fressen. Diese Bucht ist gleichzeitig jedoch auch ein Schlaraffenland mit Muscheln in Hülle und Fülle. "Wir glauben, dass vor vielen Jahren irgendein Artefakt, vielleicht ein Anker, auf den weiten Sandboden der Bucht gefallen ist. Der bot ein paar Oktopoden Schutz. Sie fraßen Muscheln, sammelten die Schalen um sich herum an. Der Schalenhaufen wuchs, so dass mit der Zeit weitere Oktopoden darin Höhlen bauen konnten. Und so wächst Oktopolis von Jahr zu Jahr."
Der größte Teil des Verhaltens dürfte angeboren sein, vermutet Peter Godfrey-Smith. Aber die Tiere könnten auch individuelle Verhaltensweisen entwickelt haben. David Scheel: "Inzwischen gibt es viele Hinweise darauf, dass Oktopoden keineswegs die unsozialen Einzelgänger sind, für die wir sie lange gehalten haben. Vor Panama lebt eine Oktopus-Art, die gemeinsam Brutpflege betreibt. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Es sieht so aus, als ob die Tiere unter den richtigen Umständen sehr wohl zusammenleben und einander ertragen, ohne sich gegenseitig zu töten."
Für die Oktopoden in der Jervis-Bucht könnte das komplexe Verhaltensrepertoire große Vorteile mit sich bringen: Schließlich kosten Kämpfe nicht nur Energie, sondern durchaus auch mal einen Arm oder sogar das Leben.