Der Journalist Olaf Sundermeyer befasst sich mit Rechtsextremismus in Deutschland und berichtete in den letzten Wochen auch über die sogenannten Montagsdemonstrationen. Er geht davon aus, dass die AfD von der derzeitigen Energiekrise und der Unzufriedenheit mit der Russlandpolitik profitiert.
In jeder Krise könne sich die AfD profilieren, betont Sundermeyer. Sie setze derzeit erneut einen "harten Kontrapunkt zur Politik der Bundesregierung". So vertrete sie die Position, dass nicht Russland verantwortlich für den Krieg in der Ukraine sei, sondern der Westen und die Bundesregierung. Damit werde der Ampel-Koalition auch die Schuld für die Preissteigerungen zugeschoben. "Das erreicht zumindest in Ostdeutschland sehr, sehr viele Menschen, wo es ein gänzlich anderes Russland-Bild gibt als in weiten Teilen der westlichen Republik," so der Journalist, der auch für die ARD tätig ist.
Wenn die AfD als einzige Partei ein Ende der Russland-Sanktionen fordere und ein Öffnen der russisch-deutschen Pipeline Nord Stream II, seien das zunächst legitime Positionen - anschlussfähig auch im linken Milieu, erklärte Sundermeyer. Insofern sei der aktuelle Straßenprotest inhaltlich weder extremistisch noch homogen rechts, sondern die einzig wahrnehmbare fundamentale Opposition zur Politik der Bundesregierung. "Das treibt die AfD aktuell auf die Höhen in den Umfragen."
Innerhalb der Partei stellt Sundermeyer eine Verschiebung nach rechts fest. Die unverklausuliert völkische Rede von AfD-Thüringen-Chef Björn Höcke am 3. Oktober, in der er auch Putin gelobt hat, werde auch von Akteuren aus dem bislang eher gemäßigten Flügel inhaltlich mitgetragen. Dies sei auch deutlich bei der zentralen AfD-Kundgebung am 8. Oktober in Berlin zu sehen gewesen, bei der sich unterschiedliche Teile der Partei geschlossen gezeigt und auch hinter diese Position gestellt hätten.
Das Interview in voller Länge:
Philipp May: „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD. Das ist natürlich Scheiße, auch für unsere Kinder, aber wahrscheinlich erhellt uns das.“ – Das sind nicht meine Worte, sondern die Worte des ehemaligen AfD-Pressesprechers und Gauland-Vertrauten Lüth – Worte, die auch heute noch Bestand haben. Die AfD ist im Aufwind deutschlandweit. Jüngster Beleg das Wahlergebnis in Niedersachsen, wo die Partei ihr Ergebnis mit 10,9 Prozent fast schon verdoppelt hat, und das, obwohl der niedersächsische Landesverband zerstritten ist und es keinen prominenten Spitzenkandidaten gab. Hinter der AfD sammeln sich große Teile der Protestierenden gegen die hohen Energiepreise und gegen die allgemeine Russland-Politik. Warum kann sich die AfD in dieser Krise so gut profilieren, besser als beispielsweise die Linkspartei?
Olaf Sundermeyer: Die AfD kann sich in jeder Krise profilieren. Sie entstammt einer Krise, nämlich der Bankenkrise, hat auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise ihre größten Wahlerfolge erzielt und macht das gleiche jetzt wieder in der aktuellen Krise von Krieg und Preisteuerung: nämlich einen harten Kontrapunkt zur Politik der Bundesregierung zu setzen, als einzige Partei konsequent und flächendeckend. Nicht nur in den Parlamenten, sondern auch als parlamentarischer Arm der Straßenproteste, der sie seit vielen Jahren ist, zu verschiedenen Themen, zu Flüchtlingen, zu Corona. Und jetzt aktuell auch zu sagen, wir machen nichts mit. Unsere Position in Bezug auf den Krieg in der Ukraine ist die Position, Russland nicht als Kriegsschuldigen zu sehen, sondern die Schuldigen für diesen Krieg im Westen zu sehen, auch bei der Bundesregierung, und ihnen damit auch die Schuld für die Preisteuerung, Preissteigerung zu geben, die viele Menschen in Deutschland betrifft. Das erreicht zumindest in Ostdeutschland sehr, sehr viele Menschen, wo es ein gänzlich anderes Russland-Bild gibt als in weiten Teilen der westlichen Republik.
May: Verlängerter Arm der Protestbewegung, haben Sie gesagt. Wie äußert sich das auf den Demonstrationen? Machen Sie da Veränderungen fest im Vergleich zu früheren Jahren beispielsweise?
Sundermeyer: Die Menschen, die wir aktuell auf der Straße sehen, sind zum großen Teil - zum Beispiel am vergangenen Wochenende, am Samstag in Berlin, wo es eine zentrale Kundgebung der AfD gegeben hat - das Kernklientel der AfD: Menschen, die sich seit Jahren hinter dieser Partei versammeln, nicht nur aus der Partei selbst, sondern auch aus dem Pegida-Milieu, aus Teilen der rechtsextremistischen Szene, die immer wieder auch ein bisschen zusammengebracht werden.
Wir sehen aber auch die Anschlussfähigkeit bei diesem Thema, und das ist das ganz Entscheidende. Wenn die AfD ein Ende der Russland-Sanktionen fordert, als einzige Partei konsequent, wenn die AfD ein Öffnen von Nord Stream zwei, der russisch-deutschen Pipeline fordert, sind das Positionen, die auch in Teilen, sage ich mal, des linken Milieus, zumal in Ostdeutschland sehr stark anschlussfähig sind und per se keinerlei extremistische Positionen vertreten, sondern Positionen, die durchaus legitim sind. Insofern ist der Straßenprotest, den wir aktuell erleben, inhaltlich kein extremistischer, sondern die einzig wahrnehme fundamentale Opposition zur Politik der Bundesregierung, und das treibt die AfD aktuell auf die Höhen in den Umfragen.
Regierende Politik soll sich nicht von Umfragewerten der AfD treiben lassen
May: Sie haben die Anschlussfähigkeit angesprochen. Die haben wir jetzt auch in Niedersachsen gesehen, vor allem bei den bürgerlichen Parteien allerdings, FDP und CDU. Tino Chrupalla hofft, diese Menschen halten zu können, dass es nicht nur eine Protestwahl gewesen ist. Ist das im Bereich des Möglichen oder verschwinden die auch dann wieder, wenn der Krieg möglicherweise vorbei ist?
Sundermeyer: Das lässt sich gar nicht sagen. Wir haben jetzt auf ganz lange Sicht keine Wahlen. Das war in der Vergangenheit anders. Es hat schon mal einen heißen politischen Herbst gegeben, 2015 nämlich. Den hat damals noch die Parteivorsitzende Frauke Petry und Alexander Gauland auch in einer AfD-Kampagne ausgerufen. Es hat dann einige Monate gedauert, bis es wichtige Wahlen gab an einem Wahltag in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zeitgleich, wo die AfD im Prinzip flächendeckend auch im Westen der Republik auf die parlamentarische Landkarte kam. Solche Termine stehen jetzt nicht aus und wenn die Krise vorbei ist, was kein Mensch weiß, wie es sich entwickelt - für das kommende Jahr ist eine Rezession prognostiziert -, dann werden auch die Umfragen der AfD wieder runtergehen. Insofern wäre man gut beraten, seitens der regierenden Politik, sich jetzt nicht von diesen Ausschlägen bei den Umfragewerten der AfD treiben zu lassen.
May: Anlass beziehungsweise Hauptgrund für die Proteste sind die Russland-Sanktionen, ist die Russland-Politik der Bundesregierung. Wie homogen rechts sind denn diese Demonstrationen?
Sundermeyer: Sie sind nicht homogen rechts. Das ist ganz unterschiedlich von Ort zu Ort. Es ist eine dezentrale Welle, die auch deswegen relativ erfolgreich ist und funktioniert, weil es überall lokale Akteure gibt, in Thüringen, in Gera zum Beispiel ist es die AfD sehr stark, in anderen Städten, Frankfurt/Oder zum Beispiel, wo sich montags für montags Menschen auf die Straße bringen, sind es lokale Gruppen, die allerdings inhaltlich anschlussfähig sind an die AfD. In vielen anderen Städten, in Schwerin, Leipzig, überall dort gehen Leute auf die Straße. Der Blick auf den Osten ist ganz wesentlich auch für die AfD, weil dort die Unzufriedenheit mit der Demokratie insgesamt und die Zustimmung für die Politik der Bundesregierung in Bezug auf den Krieg in der Ukraine sehr, sehr, sehr niedrig sind, und dieses Milieu findet dort über diese Proteste zusammen - übrigens auch einen öffentlichen Widerhall in der Medienberichterstattung, und darüber möchte die AfD die mit der Politik der Bundesregierung unzufriedenen Menschen insgesamt erreichen. Das gelingt ihr zunehmend, wie gesehen bei der Landtagswahl in Niedersachsen am vergangenen Sonntag.
Inhaltliche Position Björn Höckes wird von der Mitte der AfD mitgetragen
May: Wir müssen noch mal über die AfD selbst sprechen, die mittlerweile weiter nach rechts gerückt ist, viel weiter nach rechts auch im Vergleich beispielsweise noch zu 2017. Jetzt hat Björn Höcke, AfD-Thüringen-Chef, am 3. Oktober eine wirklich bemerkenswerte unverklausulierte völkische Rede gehalten - wir haben hier auch darüber berichtet im Deutschlandfunk -, in der er sich klar auf die Seite Russlands gestellt hat, indem er Putin gelobt hat: Steht er damit in der Mitte der Partei, der AfD?
Sundermeyer: Ja, unbedingt! Diese inhaltlichen Aussagen, die Höcke bei dieser Rede getroffen hat, sind in ihren Argumentationsbausteinen das gleiche, was wir überall hören bei den Straßenprotesten, die es momentan in vielen ostdeutschen Städten gibt. Im Übrigen auch in Redebeiträgen der Co-Vorsitzenden Alice Weidel, die sich ganz anders positioniert, die auch die Befindlichkeiten der Menschen in Ostdeutschland ganz anders trifft und abholt als beispielsweise ihr Vorgänger Jörg Meuthen - wir erinnern uns, der Co-Vorsitzende, der Anfang des Jahres sich getrennt hat von der AfD oder sich die AfD von ihm getrennt hat, weil er diese radikalen Positionen nicht mitgetragen hat. Insofern sage ich, dass nicht Björn Höcke nur als Person, sondern die inhaltliche Position, die er dort vorträgt, die Mitte der Partei darstellt, die von allen möglichen, auch von Akteuren aus dem bislang eher gemäßigten Flügel inhaltlich mitgetragen werden. Das haben wir auch deutlich bei der zentralen AfD-Kundgebung am vergangenen Samstag in Berlin gesehen, wo sich die unterschiedlichen Teile der Partei geschlossen gezeigt haben und auch hinter diese Position gestellt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.